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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

55. Biennale Arte Venedig 2013 (4)

Der deutsche Pavillon – im französischen Haus (1)
Kein Gold für Ai Weiwei

Von Erhard Metz


Aus unserer Sicht ist es eine der wirklich grossartigen Arbeiten zur diesjährigen Biennale und vielleicht die eindrucksvollste überhaupt (andere mögen das gerne anders sehen):

Ai Weiwei, Bang, 2010-2013, 886 antike Hocker, 11 x 12 x 6,7 m, Installationansicht, Courtesy der Künstler und neugerriemschneider, Berlin

Es hatte sich herumgesprochen: Ai Weiwei bekommt den Hauptraum des Pavillons, eine Rieseninstallation wird den Saal ausfüllen. Vielleicht machte man sich schon ein klein wenig Hoffnung, etwa auf den Goldenen Künstler-Löwen dieser Biennale für den seit vielen Jahrzehnten, zuletzt unter schwierigsten Bedingungen arbeitenden Künstler, den zweifellos weltweit bekanntesten Chinesen dieser Zeit überhaupt, der keinen Pass hat, um zur Eröffnungsfeier reisen zu können, warum auch immer: Weil man ihn nicht ausreisen liess? Weil er vielleicht selbst gar nicht unbedingt ausreisen wollte in der Befürchtung, man liesse ihn nie wieder „hinein“ ins kommunistisch-kapitalistische Paradies?

Seine Mutter, die 82-jährige Gao Ying, kam statt seiner, ein bewegender Moment: Der Beifall Hunderter vor dem Pavillon brandete auf. Die Jury entschied jedoch, wie bekannt, anders, nicht jeder wird – und muss – mit deren Entscheidung glücklich sein. Die Mutter wird inzwischen ohne „Gold“ nach China zurückgekehrt sein. Ausser der Ehrenmitgliedschaft in der Londoner Royal Academy of Arts wurden Ai bislang noch keine gewichtigen Preise und Auszeichnungen zuteil. Wie das, fragen wir uns verdutzt angesichts der Inflation aller möglichen Kunstpreise an alle möglichen Kunstschaffenden (und an solche, die vom Zeitgeist dafür gehalten werden). Wird die Biennale Ai vielleicht dereinst wenigstens für sein Lebenswerk ehren – wenn er die achtziger, neunziger Lebensjahre erreicht haben und, wie dieses Jahr Maria Lassnig, nicht mehr in der Lage sein sollte, das goldene Tier persönlich in Empfang zu nehmen? Man wird im übrigen auch fragen dürfen nach manchen zu vermutenden kunst- und kulturpolitischen Hintergründen solcher Entscheidungen, aber das wäre ein Thema für sich.

Ai Weiwei’s Mutter, Gao Ying, kam zur Eröffnung des deutschen Pavillons im französischen Haus

Nicht gänzlich ohne Kritik wird die Präsentation des Weltkünstlers Ai Weiwei auf der diesjährigen Biennale betrachtet werden können. Hätte man sich, so fragen wir, vorstellen können, den „deutschen“ Auftritt zur Biennale allein auf Person und Werk Ai’s zu konzentrieren? Ai ist immerhin berufener (wenn auch nicht praktizieren könnender) Gastprofessor (finanziert von der renommierten Einstein-Stiftung) der Graduiertenschule an der Universität der Künste Berlin. Er ist ferner (wohl immer noch) dabei, im Berliner Stadtteil Oberschöneweide ein grosses Atelier auf- bzw. auszubauen. Aber hätte beispielsweise das Auswärtige Amt dabei wohl „mitgespielt“?

Und weiter: War es richtig, Ai’s Präsentation zur Biennale in Venedig auf drei verschiedene Standorte innerhalb der Stadt aufzusplitten? In der Chiesa di Sant‘ Antonin im Stadtteil Castello wird „S.A.C.R.E.D.“ gezeigt, von Ai’s Mutter Gao Ying eröffnet, eine recht plakative und deshalb vielleicht auch ein wenig vordergründig erscheinende, hyperrealistische Skulpturen-Arbeit, bei der in sechs Dioramen zwei unmittelbar neben Ai stehende uniformierte Bewacher den Künstler ununterbrochen beobachten, beim Essen, Schlafen und sogar Toilettensitzen. Und in der Zitadelle auf der Insel Giudecca trifft man auf die von früher bekannte, hier neu installierte grossartige Arbeit „Straight“, die auf das verhängnisvolle Erdbeben von 2008 in Sichuan rekurriert. Wäre also eine konzentrierte Präsentation von Werken Ai’s nicht sinnvoll gewesen, hätte sie vielleicht am Ende sogar die Jury überzeugen können?

Und noch ein Aspekt: Ai`s wuchtige, monumentale, raumfordernde und den Pavillon zweifellos beherrschende Installation steht in einem doch manche irritierenden Gegensatz zu den Arbeiten der drei anderen im deutschen Auftritt präsentierten Künstlerinnen und Künstler Santu Mofokeng, Romuald Karmakar und Dayanita Singh. Womit wir wieder zurück beim „deutschen“ Pavillon wären.

MMK-Direktorin und Biennale-Kuratorin Susanne Gaensheimer bei der Eröffnung des deutschen Pavillons

Über den Pavillontausch zwischen Deutschland und Frankreich aus Anlass des 50. Jahrestags des Élysée-Vertrags hatten wir bereits berichtet. Bekannt ist auch, dass, wie stets, der deutsche Beitrag im Auftrag des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) realisiert wurde.

Mit ihrer kuratorischen Konzeption setzt sich Susanne Gaensheimer, wie bekannt, mit der „Bedeutung der traditionellen Form nationaler Repräsentation in den Länderpavillons auf der Biennale in Venedig“ kritisch auseinander, wie dies bereits in den Jahren 2007 und 2009 Isa Genzken und Liam Gillick als Pavillon-Künstler unter der Kuratorenschaft von Nicolaus Schafhausen vorgezeichnet hatten. „Künstlerisches Schaffen in Deutschland“, so das Konzept, „ist heute von vielfältigen Formen der Zusammenarbeit zwischen Künstlern aus aller Welt und einem internationalen intellektuellen und kulturellen Klima geprägt“. Deshalb müsse Deutschland „nicht als hermetische nationale Einheit“, sondern als ein „aktiver Teil eines komplexen, weltweiten Netzwerkes“ verstanden werden.

Die vier Künstler, die sie für die Ausstellung berief, besitzen keinen deutschen Pass, arbeiten jedoch alle in jeweils einem engen Bezug zu Deutschland. Für Ai Weiwei haben wir diesen Bezug bereits oben dargelegt. Romuald Karmakar wurde in Deutschland geboren, wo er auch heute lebt und arbeitet und sich dabei mit deutscher Geschichte, deutschen Themen und deutscher Identität befasst. Dayanita Singh stellte vielfach in Deutschland aus: in Berlin, Dresden, Köln und München; sie arbeitet bei der Produktion ihrer Fotobücher eng mit dem Göttinger Steidl-Verlag zusammen. Santu Mofokeng schliesslich war mit seinen Arbeiten auf der Kasseler documenta 11 vertreten. Zuvor war er in Deutschland 1998 Stipendiat des Künstlerhauses Worpswede und später des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.

Auch über solche eher formalen Bezüge hinaus befassen sich die vier in ihrem künstlerischen Schaffen jeweils auf unterschiedliche Weise mit Fragen vermeintlicher nationaler, biologischer oder kultureller Identitäten. Und allesamt haben sie für die deutsche Präsenz neue Arbeiten geschaffen, die jetzt in Venedig zum ersten Mal zu sehen sind.

Gao Ying (Mutter Ai Weiwei’s), Kuratorin Susanne Gaensheimer, Santu Mofokeng, Dayanita Singh und Romuald Karmakar

„Deutschland ist ein Land“, sagt Elke aus dem Moore, Leiterin der Abteilung Kunst des Instituts für Auslandsbeziehung (ifa), „das von internationalen Bewegungen und Einflüssen geprägt ist und daraus schöpft. Susanne Gaensheimer widmet sich mit ihrem kuratorischen Konzept den zentralen Fragen unserer Zeit. Ihre Einladung ging an vier herausragende, international arbeitende Künstler, die in vielerlei Hinsicht mit Deutschland verbunden sind und die in ihren künstlerischen Arbeiten Fragen nach dem Miteinander in der Gesellschaft ins Zentrum stellen.“

„Die Zusammenarbeit mit den Künstlern für die Entwicklung dieser Ausstellung war mehr als aussergewöhnlich“, sagt Kuratorin Susanne Gaensheimer. „Nicht nur, dass sie grosszügig die Bedingungen einer Gruppenausstellung gemeinsam neu definiert haben, sie haben vor allen Dingen auch neue Arbeiten geschaffen. Arbeiten wie Karmakars Film 8. Mai, Singhs Projektion Mona and Myself, Weiweis Installation Bang oder Mofokengs Landschaften in der Provinz Mpumalanga im Nordosten von Südafrika, ermöglichen im Zusammenklang aller Arbeiten bewegende, verstörende und erhellende Querbeziehungen, die einen Erkenntnisgewinn im Ästhetischen anbieten, der weit über meine ursprünglichen Vorstellungen hinausgeht.“

Von dessen Eröffnung an: lange Warteschlangen vor dem deutschen Beitrag im französischen Haus

Dass die Frage der nationalen Repräsentanz in den Länderpavillons vielerorts gänzlich anders gesehen und entschieden wird, darf hier freilich nicht verschwiegen werden. Der aufmerksame Besucher wird sehr bald registrieren, wieviel Freude, Selbstbewusstsein und Stolz Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vieler Länderpavillons bei der Präsentation „ihrer nationalen“ Kunst vor der Weltöffentlichkeit an den Tag legen.

Im zweiten Teil der Folge „Der deutsche Pavillon – im französischen Haus“ werden wir auf die vier Künstler des deutschen Beitrags näher eingehen und einen Ausschnitt aus deren Arbeiten vorstellen.

Fotos: Erhard Metz

→ 55. Biennale Arte Venedig 2013 (5)

→ 55. Biennale Arte Venedig 2013 (1)

 

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