home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Juden. Geld. Eine Vorstellung“ im Jüdischen Museum Frankfurt

Das Klischee vom Reichtum der Juden als antisemitisches Stereotyp

Von Hans-Bernd Heier

Mit „Juden. Geld. Eine Vorstellung“ thematisiert das Jüdische Museum Frankfurt im Jubiläumsjahr ein äusserst heikles, weil klischeebehaftetes Thema. Obwohl das verbindende „und“ im Titel fehlt, und so ganz bewusst zwischen beiden Begriffen eine Verbindung vermieden wird, dürfte es in der Vorstellung von vielen selbstverständlich als eins gesetzt werden. Gibt es ein solches „und“ – und wie wäre es zu verstehen?

Die Ausstellung zeichnet die ökonomische Geschichte der Juden in Deutschland und Österreich nach, sofern diese sich auf die Finanzwirtschaft bezieht. Dabei werden mittelalterliche Geldverleiher, Hofjuden, Bankiers des 19. und 20. Jahrhunderts sowie Theoretiker des Kapitalismus vorgestellt. Gleichzeitig werden Vorurteile und Einstellungen zum Geld sichtbar, die seit dem Mittelalter das Bild eines „reichen Juden“ geprägt haben – ein Bild, das bis heute aktuell ist.

Mit dieser Präsentation, so erklärt Professor Raphael Gross, Direktor des Jüdischen Museum, „wird eine der zentralsten antisemitischen Vorstellungen in den Fokus einer Ausstellung gerückt: ein Kristallisationspunkt antisemitischer Klischees, der sich bis in unsere Gegenwart hinein als immer wieder abrufbar und virulent erweist. Wie aber zeigt man Emotionen, Bilder, Vorstellungen, die zum Judenhass, zum Antisemitismus gehören? Kann man sich damit überhaupt beschäftigen, ohne dass man das, was man bekämpft, geradezu reproduziert und damit tradiert?“

Die Kuratorin Professor Liliane Weissberg knüpft an die Doppeldeutigkeit des Begriffs „Vorstellung“ an, die nicht nur das Vorurteil „jüdisch und reich“ bedient. Weissberg führt den Begriff vielmehr in das Theater zurück. Damit hat sie einen geschickten Weg gefunden, indem sie die Schau auf neun „Bühnen“ (Themenräumen) inszeniert – umrahmt von einem Prolog und Epilog. Dabei führt die vom Atelier Markgraph, Frankfurt am Main, gestaltete theatralische Inszenierung den Blick des Betrachters immer wieder hinter die Bühne: an den Ort, an dem die Vorstellungen entstehen und produziert werden. Über 200, teils sehr wertvolle Objekte ab dem 13. Jahrhundert – darunter Schuldurkunden und Hauptbücher, Gemälde, Skulpturen, Karikaturen, Filme und Fotografien – zeichnen die Spuren einer Wirtschafts- und Finanzgeschichte nach, die seit dem Mittelalter ein wesentlicher Teil jüdischer Existenz gewesen ist.

Otto Rouvel als Nathan, Städtische Bühnen Frankfurt am Main, 1971, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg; © Günter Englert

Den Besucher empfangen zu Beginn der Präsentation gleich zwei Theaterfiguren, die ganz massgeblich das Bild vom Juden mitgeprägt haben: die Figur des Shylock aus Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ und die des Nathan aus Lessings „Nathan der Weise“. Diese beiden Protagonisten werden zu Leitfiguren der Ausstellung. Sie scheinen zunächst einander diametral entgegengesetzt: Shylock repräsentiert den bösen, Nathan den guten Juden. Aber beiden ist auch etwas gemeinsam: Sie sind reich.

William Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ heisst Antonio. Er ist ein grosszügiger Geschäftsmann, der seinem Freund Bassanio, der um die reiche Portia werben möchte und deshalb Geld benötigt, gerne helfen will. Doch Antonio ist derzeit nicht flüssig, weil er sein Kapital gerade in einen Schiffshandel investiert hat. So kann er Bassanio nur mit einer Garantie beistehen, als dieser sich entschliesst, einen jüdischen Geldverleiher aufzusuchen. Der Geldverleiher Shylock weiss zwar um Antonios Abneigung Juden gegenüber, dennoch lässt er sich auf das Geschäft ein und borgt Bassanio 3.000 Dukaten. Shylock verlangt keine Zinsen, aber für den Fall, dass Antonio das Geld für seinen Freund nicht zurückzahlen könne, wolle er ein Pfund Fleisch aus Antonios Körper. Trotz des ungewöhnlichen Abkommens stimmt Antonio zu. Als seine Schiffe untergehen und er Shylocks Darlehen nicht tilgen kann, besteht dieser auf der Abmachung und geht deshalb als böser Jude in die Geschichte ein.

Zwei Jahrhunderte nach Shakespeare hat Gotthold Ephraim Lessing das Drama „Nathan der Weise“ verfasst. In dessen Zentrum steht ebenfalls ein reicher Jude, Nathan. Im fernen Jerusalem herrscht der freigiebige Sultan Saladin, der wieder einmal Geld benötigt, das Nathan ihm leiht. Als Gegenleistung für das grosszügige Darlehen verlangt Nathan nur, dass er am Orte geduldet sei. Saladin, der nicht nur vom Reichtum Nathans gehört hat, sondern auch von dessen Weisheit, stellt ihm die verfängliche Frage, welche Religion die wahre sei, das Christentum, das Judentum oder der Islam. Nathan antwortet daraufhin mit der weltberühmten Parabel von den drei Ringen.

Im Entree der Ausstellung liest Christoph Pütthoff vom Frankfurter Schauspiel Monologe aus beiden Stücken und stimmt so den Besucher auf die beeindruckende Inszenierung im ehemaligen Palais der legendären Rothschild-Familie ein.


Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen, 1779, Wilpert/Gühring; Foto: © Antiquariat Dr. Haack Leipzig / H.-P. Haack / wikimedia commons

Der erste Bühnenraum beleuchtet das Thema „Credo“ (Glaubensbekenntnis) und „Credit“ (Verleih eines Geldbetrages). Im Mittelalter war der Geldverleih eine religiöse Frage und wurde von Christen und Juden unterschiedlich bewerrtet. Das Kirchenrecht verbietet seit dem 12. Jahrhundert Christen Geld zu verleihen und dafür Zinsen zu nehmen. Die christliche Kirche geisselte Zinsen als Wucher, der Sünde war und in Hölle führte. Bildliche Darstellungen in Kirchen stützten die Agitation gegen den Wucher. Sie richten sich seit dem 13. Jahrhundert zunehmend gegen Juden.

Zünfte bestimmten im Mittelalter die Wahl des Handwerks und definierten die Berufe. Juden, die in Zünften generell keine Aufnahme fanden, standen deshalb nur wenige Berufe offen. Sie durften beispielsweise mit Gebrauchtwaren handeln und als Hausierer übers Land ziehen. Auch konnten sie eine Pfandleihe betreiben und als Geldverleiher fungieren. Diese Tätigkeiten wurden nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen ausgeübt. Mindestens ein Viertel der jüdischen Geldverleiher waren im Spätmittelalter Frauen.

Geldwechsler aus dem Wormser Mahzor, 1272; © Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden

Ins Scheinwerferlicht des nächsten Bühnenraumes treten die Hoffaktoren. Diese gewannen nach dem Dreissigjährigen Krieg, dem von 1618 bis 1648 währenden Religionskrieg, zunehmende Bedeutung. Denn grosse Teile des Landes waren verwüstet und viele grosse Fürstenhäuser verarmt. Um ihre Fürstentümer wirtschaftlich wieder aufzubauen, neue Heere aufzustellen, den Handel anzukurbeln, brauchten die Herrscher Geld, viel Geld. Aus diesem Grunde beriefen sie Hoffaktoren, die dieses Geld bereitstellen, Güter beschaffen und Handelsbeziehungen neu etablieren sollten. Die Landesherren beriefen auch Juden zu Hoffaktoren, weil diese lange Erfahrungen als Geldverleiher hatten. „Einige der bessergestellten jüdischen Geldverleiher wurden Hofjuden und liehen nun nicht mehr allein Privatpersonen Geld, sie machten Staatsanleihen. Daneben waren manche auch in anderer Hinsicht im Geldgeschäft tätig; sie handelten zum Beispiel nicht nur mit Gold, sondern waren auch für die Münzprägung zuständig“, schreibt Kuratorin Professor Liliane Weissberg in dem profunden, reich bebilderten Begleitband zur Ausstellung.

Die Rolle der Hoffaktoren war allerdings äusserst ambivalent: Als Hofjuden waren sie durchaus einflussreich und ihre aristokratisch wirkenden Porträts beeindrucken den Betrachter. Doch hinter den Kulissen erfährt er, dass sie zwar Geld, aber keine Bürgerrechte hatten. Und wie gefährlich sich die Lage für sie zuspitzen konnte, belegt ein Herrscherwechsel in Württemberg: Der neue Herrscher machte Joseph Süss Oppenheimer, den Geheimen Finanzrat seines Vorgängers, Herzog Karl Alexander, für dessen extravaganten Haushalt verantwortlich und liess ihn hinrichten.

Tafelaufsatz in Schiffsform, Geschenk des Kasseler „Hofjuden“ Feidel David an Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel (ca. 1780); © Museumslandschaft Hessen Kassel, Sammlung Angewandte Kunst; Foto: Arno Hensmanns

Die grosse Zeit der Hoffaktoren endete im späten 18. Jahrhundert. Einige Persönlichkeiten und Familien begründeten danach eine neue Ära als Bankiers oder Unternehmer.

In den beiden folgenden Räumen werden „Händler und Kommerz“ sowie „Börsen und Banken“ in Szene gesetzt. Der Verkauf von verschiedenen Waren unter einem Dach fand ab dem 19. Jahrhundert bei den Bürgern immer grösseren Anklang. Im Laufe der Jahre wurden immer prächtigere Warenhäuser errichtet. Ihre Besitzer wurden bewundernd „Warenhauskönige“ genannt und waren mit wenigen Ausnahmen jüdischer Herkunft, wie Wertheim, Tietz und Jandorf.

Warenhaus Wronker, Zeil; © Jüdisches Museum Frankfurt am Main

Noch mehr reiche Juden gründeten allerdings Privatbanken. Dies ist wohl aus der Geschichte der Hoffaktoren und deren langjährige Erfahrung mit Geldgeschäften erklärbar. „An der Entwicklung vom Geldverleih zur Privatbank, vom Hofjuden zum Bankier lässt sich eine Veränderung des Geld- und Banksystems festmachen. Nicht mehr mit dem schwergewichtigen Gold wurde nun gehandelt, sondern mit dem leichten, abstrakteren Papiergeld. Internationale Beziehungen waren so einfacher zu verfolgen, grössere Kredite konnten aufgenommen werden. Auch die Börse stand deshalb stärker im Mittelpunkt“, erläutert Liliane Weissberg.

Dabei stiess die Einführung von Papiergeld bei den Menschen zunächst auf grosse Vorbehalte. Ein Geldstück war damals sein Gewicht wert, anders war dies beim Papiergeld. Diese Bedenken hat auch Johann Wolfgang von Goethe in Faust II deutlich zum Ausdruck gebracht: Papiergeld wird dort als Erfindung des teuflischen Mephistopheles bezeichnet. Damit drückte der Dichterfürst das weitverbreitete Misstrauen gegen diese neue Form des Geldes aus (vgl. „Das Genie und das Geld“).

Die Entwicklung des Papiergeldes war jedoch nicht mehr zu stoppen, und so lange Politiker, Banken und Wirtschaft sich an die Regeln der Geldpolitik hielten, funktionierte das auf Vertrauen basierende System. Erst als der Staat die Gelddruckpresse anwarf und massenhaft Banknoten druckte, verlor das Geld seinen Wert. „Und in Zeiten, in denen dieses Vertrauen besonders auf die Probe gestellt wird – also in Zeiten von Börsenkrächen, Inflation oder Hyperinflation – schlug die Enttäuschung über die plötzlich verschwundenen Werte oftmals um in Aggressionen gegen Juden. Sie werden als angebliche Urheber dieses Geschehens betrachtet“, analysiert Gross.

Nathan von Rothschild, A Pillar of the Exchange; © Historisches Museum Frankfurt am Main; Foto: Horst Ziegenfusz

Keine Familie wird in Frankfurt so sehr mit jüdischem Reichtum in Zusammenhang gebracht wie die Rothschilds. Da die Ausstellung im ehemaligen Palais der Familie gezeigt wird, widmet das Museum der weltweit bekanntesten Bankiersfamilie eine besondere Sektion. Im prächtigsten Raum des Hauses werden Aufstieg aus der Frankfurter Judengasse, der internationale Erfolg und der märchenhaft anmutende Reichtum des Clans gezeigt. Der „Mythos Rothschild“ fand in Romanen, Theaterstücken, Filmen, Anekdoten, Karikaturen und Witzen breiten Niederschlag.

Ansicht des Bühnenraums „Von der Zedaka zum Mäzenatentum“; Foto: Hans-Bernd Heier

Im folgenden Bühnenraum ist der Fokus auf einen Bereich gerichtet, der in der öffentlichen Wahrnehmung häufig vernachlässigt wird: das Mäzenatentum. Unter dem Titel „Von der Zedaka (Wohltätigkeit) zum Mäzenatentum“ erfährt der Besucher über die breite Förderung kultureller und sozialer Einrichtungen durch reiche Juden. So verdanken viele deutsche Museen, Universitäten und Forschungseinrichtungen ihren besonderen Rang der Unterstützung durch reiche jüdische Mäzene und Mäzeninnen, die sich insbesondere vom späten 19. Jahrhundert bis zur NS-Diktatur für Kunst und Wissenschaft einsetzten.

Zedaka-Spendenbüchse; © Jüdisches Museum Frankfurt am Main

Die „Kapitalismusdebatten“ beleuchten die krude Gleichsetzung von Judentum und Kapitalismus. Für den jüdisch geborenen, aber protestantisch getauften Karl Marx waren Kapitalisten und Juden schlichtweg synonym. Obwohl beispielsweise renommierte Wirtschafts- und Geisteswissenschaftler wie Werner Sombart, Max Weber oder Georg Simmel in ihren Werken konträre Positionen vertraten, geistert Marx’ These als eines der hartnäckigsten Klischees noch immer durch die Köpfe vieler Zeitgenossen.

Der letzte Ausstellungsakt „Vernichtung“ thematisiert das unfassbare Schicksal und Leiden der Juden im Dritten Reich. Rechtsnationale und völkische Parteien machten Juden für Inflation und Finanzkrise verantwortlich. Zunächst riefen sie zum Boykott von Geschäften und Warenhäusern im jüdischen Besitz auf. Die systematische Hetze gegen das Judentum gipfelte in Vertreibung und gnadenloser Vernichtung.

Gerade die thematische Aufarbeitung dieses finalen Akts leidet unter der räumlichen Enge der für Wechselpräsentationen zur Verfügung stehenden Ausstellungsfläche. Mit dem von den Frankfurter Stadtverordneten bewilligten modernen Anbau für das Jüdische Museum wird das Haus am Untermainkai für Sonderaustellungen statt über 250 Quadratmeter dann über 600 Quadratmeter Fläche verfügen.

Die Besucher der sehenswerten Inszenierung werden mit den Klängen „Wenn ich einmal reich wär“ aus dem Musical „Anatevka“ und einem Epilog entlassen. Zu sehen ist der Fernsehfilm „Kaufmann von Venedig“ mit Fritz Kortner als Shylock. In seiner Interpretation gehen die Gestalten des Shylocks und die des Nathans ineinander über.

„Juden. Geld. Eine Vorstellung“, Jüdisches Museum Frankfurt, bis 6. Oktober 2013

Foto- / Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Jüdisches Museum Frankfurt

 

Comments are closed.