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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Archiv für Mai, 2013

„La Fanciulla del West“ von Giacomo Puccini an der Oper Frankfurt

2013, Mai 15.

Verlorene Illusionen – Goldgräber ohne Zukunft – Lobgesang auf die Liebe

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt

Ashley Holland (Jack Rance) und Eva-Maria Westbroek (Minnie); Foto © Monika Rittershaus

„… meine Begeisterung für den ‚Westen‘ lässt nicht nach, im Gegenteil! Ich denke darüber nach und bin gewiss, dass es eine zweite ‚Bohème‘ wird …“, das schrieb der Komponist Giacomo Puccini (1858 bis 1924) am 14. September 1907 in einem Brief (zitiert nach Programmheft). Knapp drei Jahre später ist die Oper „La Fanciulla del West“ (Das Mädchen aus dem Goldenen Westen) beendet. Mit Enrico Caruso als Bandit Ramerrez, Emmy Destinn als Minnie und am Pult Arturo Toscanini feierte sie 1910 an der New Yorker Metropolitan Opera (MET) ihre Uraufführung.

Eine zweite „Bohème“ (1896) wurde sie nicht, aber ein musikalisch interessantes Werk mit vielen Dissonanzen, fast experimentell anmutend, ohne einprägsame Melodien, sehr modern. Weiterlesen

Der KUNST-O-MAT in Dinkelsbühl

2013, Mai 13.

Wir kommen, wie aus dem Titel leicht geschlossen werden kann, von einer Reise unter anderem durch das Mittel- bis Tauberfränkische und haben, also in Dinkelsbühl, einst „tinkelspuhel“ genannt und seit 1274 Reichsstadt mit königlichen und kaiserlichen Privilegien, endlich etwas angetroffen, das wir schon länger gesucht haben: einen sogenannten „Kunstomaten“ – diesen Begriff hat sich ein gewisser Michael Müller als eingetragene „Wortmarke“ beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) für Waren und Dienstleistungen registrieren lassen. Wohl auch deshalb nennt sich das Dinkelsbühler Gerät denn auch KUNST-O-MAT (anderenorts soll es auch „Kunst-O-Nauten“ geben).

Einen Warenautomaten also haben wir vor uns, ein Ausgabegerät ehemals für Zigaretten oder allerlei anderes, umgebaut von witzig-findig-geistreichen Künstlern zu einem Verkaufsgerät für Kunst. Hier ist das gute Stück, montiert am Dinkelsbühler Spitalhof, vom Autor eigenhändig fotografiert:

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Kinder, Kinder … (3)

2013, Mai 9.

Von Robert Straßheim

Lieber Markus,

endlich schläft das Baby an meinem Bauch im Manduca1), bei einer göttlichen Kantate von Bach, so enthoben finde ich die Musse, dir weiter zu schreiben – strapaziert von Tagesdiensten, die hauptsächlich mich in Beschlag nehmen. Nicht, dass es eine anstrengende Arbeit wäre, es ist nur auf Dauer eintönig, immer dieselben Mühen, die Kinder morgens früh anzutreiben, sie zu beschäftigen, zu bändigen und so weiter und so weiter, du kennst ja noch all diese Geschäfte, bis sie abends endlich wonnig entschlummert sind. Wieder ein Tag weg, wieder ein Tag, an dem ich weder arbeiten noch viel lesen konnte, und was bleibt übrig vom Menschen, wenn er nicht lesen kann? Ein elendes Häuflein, innerlich verdorrend! Weiterlesen

Patrick Raddatz: „Before And After Science“

2013, Mai 7.

Eine Ausstellung fotografischer Arbeiten im Deutschen Wetterdienst

Wenn der Deutsche Wetterdienst in Offenbach eine Kunstausstellung eröffnet, so wird sie sich, könnte man kalauern, in irgend einer Weise um das Wetter drehen. Nun – wer Kunst und Wetter in einem Zusammenhang erleben will, ist derzeit im Frankfurter Kunstverein gut aufgehoben: Der Titel der dortigen, bis zum 19. Mai 2013 laufenden Kunstschau lautet “Vereinzelt Schauer – Formen von Wetter”. Sogar einen Tornado kann man dort erleben – allerdings im niedlichen „Bastelformat“. Dass das alles jedoch gar nicht so spassig daherkommt, wie es auf den ersten Blick vielleicht ausschauen mag, wird der Betrachter alsbald feststellen, wenn er sich auf die Ausstellung näher einlässt.

Aber zurück zum Deutschen Wetterdienst und zu Patrick Raddatz: So spielt – so könnte man meinen – auch dort in der laufenden Fotografie-Ausstellung das Wetter eine Rolle – konkret in Gestalt von Nebel. Doch Vorsicht ist geboten, denn: Was ist Nebel? Und überhaupt geht es ja allenfalls um die Fotografie von Nebel, also um eine mediale Vermittlung eines solchen Naturphänomens. Und vielleicht noch um einiges oder sogar um sehr viel mehr. Denn was – so fragen wir als Skeptiker – kann Fotografie denn überhaupt noch vermitteln?

Vergessen wir zunächst einmal alles Liebgewonnene um den Nebel, in der Lyrik etwa eines Adelbert von Chamisso oder Ferdinand Freiligrath, eines Eduard Mörike oder Theodor Storm, eines Charles Baudelaire, Theodor Fontane oder Hermann Hesse („Seltsam, im Nebel zu wandern …“). Vergessen wir all die unzähligen, Nebelschwaden und Nebelwallen in allen Variationen darstellenden Werke der Landschaftsmalerei. Unsere nebel-herbstlichen Spaziergänge am Bodensee oder im Alpenvorland. Die naturwissenschaftlichen Definitionen und Erklärungen des Phänomens Nebel als eines sich unter bestimmten Bedingungen bildenden Teils der Atmosphäre.

Denken wir einmal an einen ganz anderen Nebel: an Nebel aus einer Nebelmaschine! An Nebel erzeugt aus Nebelfluid, einem Gemisch zumeist aus Propylenglycol und destilliertem Wasser. Ist zwar nicht so romantisch, dafür aber modisch, bewährt auf Bühnen, in Diskotheken wie auf heimischen Parties. Nebelmaschinen können Sie, liebe Leserinnen und Leser, fast überall kaufen, schon mit einem Hunderter sind Sie mit einem ordentlichen Kleingerät für die Heimanwendung dabei.

Und wo wir nun schon diesen Bewusstseinsschritt vollzogen haben, können wir noch einen weiter gehen: hin zum Nebel als Kriegsgerät, zu den Nebelbomben und -granaten, die die kämpfende Menschheit so gerne einsetzt, um den Feind der Orientierung zu berauben und sich selbst vor Attacken des Gegners zu schützen. Die sind nun etwas teurer, für deren Erwerb setzen die Kriegs- und Verteidigungsministerien deshalb Steuergelder ein. Übrigens gibt es Nebelgranaten auch im übertragenen Sinne: Manche Politiker oder Verhandlungs“partner“ werfen gerne verbal die sprichwörtlichen „Nebelkerzen“, um Wahlvolk oder Konkurrenten über ihre wahren Absichten oder geschäftspolitischen Ziele zu täuschen.

Eines ist den Nebeln der Natur wie denen aus Propylenglycol oder den metaphorischen Nebelkerzen gemeinsam: Sie kaschieren, verhüllen, machen unsichtbar, blind, orientierungs- und hilflos.

Schlimm auch, wenn der Nebel lediglich den Boden verhüllt, uns gleichsam den Boden unter den Füssen entzieht, auf dem man möglichst mit beiden Beinen stehen sollte. Das Bodenlose beängstigt: Was lauert hinter dem nächsten Schritt ins Unsichtbare? Real wie metaphorisch?

Atelier S. Weiterlesen

„kunstansichten“ 2013 in Offenbach

2013, Mai 5.

Auch in Offenbach am Main „schlägt ’s 13“: Just im Jahr 2013 fanden dort die 13. „kunstansichten“ statt, ein „Festival der Kunst“ in der Nachbarstadt Frankfurts, 1998 ins Leben gerufen und seit 2009 nunmehr im zweijährigen Rhythmus veranstaltet. FeuilletonFrankfurt hat sich ein wenig umgesehen, hier und da die Kamera gezückt und eine kleine Auswahl aus einer Fülle von Sehens- und Berichtenswertem festgehalten. Über 120 Künstlerinnen und Künstler an 50 Standorten – in Ateliers und Atelierhäusern, Galerien und Museen, im öffentlichen Raum und im Off-Space – haben sich beteiligt, und manche Ausstellungen dauern über die Veranstaltungstage 26. bis 28. April hinaus an. Auch Gastkünstlerinnen und Gastkünstler von ausserhalb Offenbachs konnten auf Einladung ortsansässiger Kunstschaffender und Einrichtungen ihre Arbeiten präsentieren.

Werkstatthaus Offenbach (wh-o)

Ausschliesslich Qualität trafen wir – wie nicht anders zu erwarten – im von Bernd Fischer gegründeten Werkstatthaus Offenbach an, wo sich neben ihm Emmanuèle Barone, Thomas Ganter, Susana Ortiz Maillo, Nino Pezzella, Dagmar Rees, Max Markus Schröder, Renate Seidel, Sven Tadic, Friederike Walter und Katarzyna Zommer an den „kunstansichten“ beteiligten.

Nach Einnahme einer angemessenen Mittagsmahlzeit physisch gestärkt und innerlich gefestigt nähern wir uns den – ebenso faszinierenden wie provozierenden – Supermarkt-Tiefkühl“kost“-Bildern von Thomas Ganter. Gleichwohl verfestigt sich bei längerem Betrachten der Wunsch, innerhalb zumindest der nächsten Dekade dem Verzehr von Geflügelfleisch zu entsagen. Auch die Erinnerung an Lebensmittelskandale jüngster Zeit will sich nicht verdrängen lassen. Und Ostern mit all seinen niedlichen Eiern und Küken liegt doch noch gar nicht so lange zurück …

Ganter, 1974 in Limburg geboren, studierte nach seiner Ausbildung zum Lithografen Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Wiesbaden. Nach Lehrtätigkeit u. a. an dieser und an der Fachhochschule Mainz im Bereich Zeichnen und Aktzeichnen arbeitet er als Illustrator und Zeichentrickanimator und lehrt am Werkstatthaus Offenbach. Seine Arbeit widmet er der „Suche nach Antworten im täglichen Leben“.

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„Landschaft mit entfernten Verwandten“ von Heiner Goebbels: Erstaufführung der Frankfurter Fassung an der Oper Frankfurt

2013, Mai 4.

Mobilisierung aller Sinne

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus und Renate Feyerbacher

David Bennent (Schauspieler; von der Bildmitte aus nach hinten laufend) und Mitglieder des Ensemble Modern; Foto: © Monika Rittershaus

Es gibt keine Geschichte, die erzählt werden kann. Die Oper „Landschaft mit entfernten Verwandten“ von Heiner Goebbels hat keine lineare Handlung, sondern gesprochene und gesungene Texte von berühmten Schriftstellern. Die meisten stammen von der US-amerikanischen Schriftstellerin, Verlegerin und Kunstsammlerin Gertrude Stein (1874 bis 1946), die mit 29 Jahren nach Paris übersiedelte und dort einen Salon gründete. Hier trafen sich grosse Persönlichkeiten der Zeit. steins Texte sind modern und experimentell. Die Geschichte, die sich immer wiederholt, beschäftigt sie wie die anderen Autoren. Niemand will aus ihr lernen.

Da heisst es im 2.Akt mit dem Bild „Well Anyway“: „Nun jedenfalls das neunzehnte Jahrhundert weinte gern meinte gern ass gern strebte gern nach Evolution und hatte gern Krieg, Krieg und Frieden und Krieg und weiter nichts“ (aus Gertrude Stein: Wars /Have seen). Da sitzen die Frauen des Ensembles Modern in Rokoko-Kostümen und spielen ihre Instrumente. Weiterlesen

Paolo Iacchetti in der Frankfurter Westend Galerie

2013, Mai 2.

Opere recenti – neuere Arbeiten

Von Barbara Thurau
Frankfurter Westend Galerie

Als Paolo Iacchetti 1987 zusammen mit Fausto Bertasa, Tommaso Cascella und Enrico Pulsoni zum ersten Mal in der Frankfurter Westend Galerie vorgestellt wurde, bezeichnete der Titel „I Novissimi“ (Die Neuesten) eine junge Generation nach 1950 geborener Künstler. Diese grenzten sich von der erzählerischen, bildhaften Transavanguardia ab, die die Kunstszene Mitte der 1970er Jahre erobert hatte, und bezogen sich stattdessen wieder auf die abstrakten Tendenzen der 1950er Jahre. Iacchetti, damals Mitte 30, präsentierte sich als „kühner und lyrischer Kolorist“, der „die Bildfläche in musikalische Schwingungen“ versetzte, „Tiefen und Weiten“ eröffnete und dabei auch den „Entstehungsprozess einer solchen farbfunkelnden Komposition“ ausbreitete (Christa von Helmolt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Oktober 1987).

Heute, etwa 25 Jahre später und anlässlich des 60. Geburtstags von Paolo Iacchetti zeigt die Frankfurter Westend Galerie Arbeiten aus den letzten acht Jahren. Paolo Iacchetti ist heute erfolgreich und international anerkannt. In den Räumen der Westend Galerie hatte er bereits 1993, 1999 und 2004 Einzelausstellungen. Bedeutende Galerien, u. a. in Mailand, Bologna, Basel und Köln zeigen seine Werke regelmässig.

„Die Magie der Farben“ war ein früherer – und sehr passender – Ausstellungstitel. Auf den ersten Blick erkennt man, dass Iacchetti zu denjenigen Künstlern gehört, die die Farbe in den Vordergrund stellen. Magische Rot- und Grautöne dominieren die Ausstellung.

Aus der Ferne glaubt der Betrachter zunächst einfarbige Oberflächen vor sich zu haben, rote und graue Bilder, strenge Kompositionen. Erst beim Näherkommen bemerkt er eine Bewegung. Auf einmal kann er die Bilder nicht mehr klar fixieren, sie verändern sich je nach Blickwinkel, Lichtverhältnissen und Umgebung. Das Auge nimmt ein Flimmern wahr. Bei einem Teil der Werke vibriert die Bildoberfläche allein durch den bewegten Farbauftrag. Andere Arbeiten beziehen ihre Vitalität aus einer feinen Linienstruktur.

Je näher der Betrachter kommt, desto tiefgründiger und vielschichtiger werden die Farben. Unmittelbar vor dem Bild erkennt er schliesslich unter der Hauptfarbe viele Nebenfarben, verschiedene Schichten, Überlagerungen und Verwischungen. Bei der Serie „Linea“ von 2012 sind nicht nur die grauen Linien horizontal oder vertikal angelegt, sondern sie sind auch durch andersfarbige Linien ergänzt, die sich unterschiedlich dicht überlagern. Dadurch entstehen bei den vorherrschend grauen Leinwänden ganz verschiedene Farbwirkungen. Bei „Linea 1“ ergänzen hellblaue und braune Streifen die grauen, bei „Linea 2“ rosafarbene und braune, bei „Linea 3“ hellblaue, rosafarbene und braune.

Linea A, 2012, Öl auf Leinwand, 80 x 65 cm Weiterlesen