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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Museum Wiesbaden renoviert und erweitert (2)

Kunst und Natur im „Metropolitan Museum Wiesbaden“ vereint

Von Hans-Bernd Heier

Die Sammlung Alte Meister und die Naturhistorischen Sammlungen haben die renovierten Räume im Museum Wiesbaden bezogen und beeindrucken mit einem klaren Ausstellungskonzept und einer überzeugenden Präsentation der Exponate. Jetzt sind Kunst und Natur wieder unter einem Dach vereint. „Damit sind wir quasi das ‚Metropolitan Museum Wiesbaden‘ „, wie es Museumsdirektor Alexander Klar augenzwinkernd formuliert. Gemeinsame Klammer beider Sparten ist die Ästhetik.

Peter Forster, Kustos der Sammlung Alte Meister, vor einem der Highlights der Schau; Foto: Hans-Bernd Heier

Die ansprechende Präsentation der Sammlung Alte Meister sieht keinen chronologischen Gang durch die Kunstgeschichte vor, sondern ist, wie auch die Schau der Naturhistorischen Sammlungen, in Themenräume gegliedert, folgt also einer vom Inhalt der Werke ausgehenden Hängung. Im zweiten Geschoss des Südflügels durchlaufen Besucher Präsentationen, die nach Gattungen geordnet sind: Religion, Porträt, Mythologie, Stillleben und Landschaft. „Um die Aktualität innerhalb der jeweiligen Gattungen zu verdeutlichen, finden sich in den Themenräumen auch Positionen der Gegenwartskunst wieder. Dieses Ausstellungskonzept unternimmt eine konstruktive Befragung der Kunst und ihrer Bedeutung in ihrer jeweiligen Zeit“, erläutert Peter Forster, Sammlungsleiter und Kustos der Sammlung Alte Meister.

Der „Kirchensaal“ – Raumansicht mit der Bodenskulptur „Morgenabend“ von Micha Ullman; © Museum Wiesbaden

Bevor der Besucher im zweiten Stock den Themenraum Religion betritt, durchschreitet er die Rauminstallation „Grapheme“ des 1977 geborenen Berliner Künstlers Robert Seidel. Dieses zur Kontemplation anregende moderne Entree nimmt den Betrachter mittels Farben, Spiegel, Skulpturen, Projektionen und stimmungsvoller musikalischer Untermalung mit auf eine sphärische Reise in unbekannte Welten.

In dem 1915 fertig gestellten Museumsbau des Architekten Theodor Fischer erhielten die Skulpturen im so genannten Kirchensaal ihr eigenes Domizil. „Der Zentralraum, dessen Grundriss ein Oktogon bildet, sollte – ganz dem Geist des Historismus entsprechend – den aus ihren sakralen Zusammenhängen gerissenen Figuren etwas von der Feierlichkeit und Würde ihrer ursprünglichen Ausstellungsorte zurückgeben“, erklärt Forster. Die jetzige Präsentation der Alten Meister knüpft an diese Tradition an und zeigt in dem sanierten Kirchensaal Werke des Mittelalters, die zur Meditation einladen.

Das Walsdorfer Kruzifix, Ende des 12. Jahrhunderts; © Museum Wiesbaden

Bei den ausgewählten mittelalterlichen Werken handelt es sich um Einzelfiguren, Figurenensembles sowie ein nahezu vollständig erhaltenes Retabel. Die Bedeutung der Pretiosen liegt laut Forster zum einen in der zeitlichen Bandbreite der Objekte vom Ende des 12. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. Sie decken den grössten Teil des Hoch- und Spätmittelalters ab. Zum anderen kommt der Sammlung besondere Aussagekraft durch die ausschliesslich mittelrheinische Provenienz der Stücke zu.

Alberto Piazza da Lodi (Meister der Wiesbadener Heimsuchung): Heimsuchung Mariae, um 1520, Öl auf Pappelholz; © Museum Wiesbaden

Der anschliessende Raum ist ebenfalls der religiösen Kunst vorbehalten, mit zum Teil grossformatigen Christus- und Marien-Bildtafeln aus dem 15. bis 18. Jahrhundert.

Im Zentrum der Präsentation steht die Heimsuchung Mariae des sogenannten Meisters der Wiesbadener Heimsuchung – ein beeindruckendes Werk aus der frühen Phase des 16. Jahrhunderts, das möglicherweise Alberto Piazza da Lodi (1490 – 1529) zuzuschreiben ist. Zu den weiteren herausragenden Werken zählen die Darstellung der Heimsuchung Mariae von Bartholomäus Bruyn, zwei Tafeln vom Meister des Heisterbacher Altars, eine Kopie der Kreuzabnahme nach Roger van de Weyden sowie der Heilige Martin von Cesare da Sesto.

Sebastiano del Piombo: Portrait der Giulia Gonzaga, 1532, Öl auf Schiefer; © Museum Wiesbaden

Als seinen „Lieblingsraum“ bezeichnet Kustos Forster den Porträtraum, der italienische Kunst zeigt. In dessen Zentrum ist ein Bildnis von Giulia Gonzaga zu sehen. Gemalt hat es Sebastiano del Piombo, seinerzeit einer der gefragtesten Porträtmaler in Rom. Nach dem Tod Raffaels im Jahr 1520 und nachdem Raffaels Schüler Giulio Romano 1524 nach Mantua in die Dienste der Familie Gonzaga gerufen worden war, blieb Sebastiano auf dem Gebiet der Porträtmalerei in Rom ohne Konkurrenz. Das Bildnis ist auf Schiefer gemalt und findet seine früheste Erwähnung bei Vasari in seiner Vita zu Sebastiano: „Es war nur wenig später, als Kardinal Ippolito de Medici sich in die damals in Fondi wohnende Frau Giulia Gonzaga verliebte und besagter Kardinal Sebastiano mit einem Geleit von vier unbewaffneten Reitknechten dorthin schickte, um ein Porträt von ihr malen zu lassen. Sebastiano schuf jenes Bildnis im Verlauf eines Monats, und dank der himmlischen Schönheit jener Frau und einer dermassen geschulten Hand wurde es ein göttliches Gemälde.“

Anselm Feuerbach: „Nanna“, Öl auf Leinwand; © Museum Wiesbaden

Die Schönheit Giulias konkurriert im selben Raum mit Anselm Feuerbachs rassiger Nanna und rundet die Galerie der „schönen Frauen Italiens“ ab. Dieses faszinierende Gemälde der Maler-Muse Nanna Risi wird auch im Rahmen der Feuerbach-Ausstellung im September dieses Jahres im Museum Wiesbaden gezeigt.

Im Niederländer-Raum werden „Die Falschspieler“ von Gerard (Gerrit) van Honthorst von dem „Scheuneninterieur“ von Egbert Lievensz van der Poel und dem „Brustbild einer alten Dame“ von Jan Antthnisz van Ravensteyn umrahmt; © Museum Wiesbaden

Der folgende Raum ist ganz dem „Goldenen Zeitalter“ der Niederländischen Malerei gewidmet, dem 17. Jahrhundert. Die Hängung weicht indes ab von dem Konzept der Themenräume, weil hier ausnahmsweise alle Gattungen vereint sind: Porträt, Stillleben, Landschaft, mythologische sowie religiöse Werke. Sie zeigen einen beeindruckenden Querschnitt der ausserordentlichen Qualität der Niederländischen Kunst dieser Zeit. Adriaen van Utrechts (1599-1652) wunderbares Gemüsestillleben, Joos de Mompers (1564-1635) Gebirgslandschaft, Frans Floris (um 1516-1570) Kreuzigung sowie Gerard van Honthorsts (1592-1656) „Falschspieler“ seien exemplarisch für die grandiosen Arbeiten erwähnt.

Katzuo Katase: „Raum eines Raumes (Die Allegorie der Photographie)“, 2009; © Museum Wiesbaden

Der in Kassel lebende japanische Künstler Kazuo Katase, Jahrgang 1947, hat sich intensiv mit den Werken der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts auseinandergesetzt. Er hat ihre Technik, ihre Inhalte, ihre Malweise und ihre Interpretationsmöglichkeiten aufs Genaueste studiert. Für seine grosse Installation „Raum eines Raumes (Die Allegorie der Photographie)“ hat er zwei der bekanntesten Werke des von ihm besonders geschätzten Barock-Künstlers Jan Vermeer van Delft (1632-1675) aufgegriffen: „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ und „Die Malkunst (Allegorie der Malerei)“ und diese in die von ihm verwendeten neuen Medien wie beispielsweise Fotografie, Lichtkästen und dreidimensionale Objekte überführt. Er hebt so die traditionellen Grenzen zwischen alter und neuer Kunst auf und macht sie fliessend.

Der anschliessende Raum der Mythologie gibt einen Einblick in die Welt der antiken griechischen Mythen. Beginnend mit harmlos anmutenden, mit Pfeilen spielenden Putten von Francesco Primaticcio (1504-1570), hin zu direkten erotischen Anspielungen der Danae von Sebastiano Ricci (1659-1734), über die dramatische Fesselung des Prometheus von Luca Ferrari (1605-1654)“, erklärt Kustos Forster.

Der Stillleben-Raum versammelt hochkarätige Gemälde von Cristoforo Munari, Carl Schuch und Wilhelm Trübner; Raumansicht; © Museum Wiesbaden

Zwei weitere Themenräume der Sammlung Alte Meister befinden sich im ersten Obergeschoss. Der Stillleben-Raum vereint Gemälde mit Sujets wie Blumen, Bücher, Fische, Früchte und Musikinstrumente. „Sie bestechen durch offensichtliche wie verborgene Sinnschichten, lassen über Leiden, Vergänglichkeit und Tod reflektieren, weisen moralische, religiöse und erotische Implikationen auf und mahnen den Betrachter stets vor dem Überfluss“, so Forster. Realistische Gemälde wie die von Cristoforo Munari (1667-1720) und Otto Scholderer (1834-1902) oder vor allem zwei bezaubernde Werke von Carl Schuch (1846-1903) stehen exemplarisch für die Vielfalt der Stillleben im Besitz des Landesmuseums.

Auch das Thema Vergänglichkeit bleibt hier nicht ausgespart. So symbolisieren Blumenstillleben kombiniert mit Früchten den Zyklus der Natur und Vanitas-Motive wie Totenschädel, Kerze, Stundenglas oder aufgeschlagene Bücher sprechen die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens an.

Der „abschliessende“ Landschaftsraum spiegelt eine besondere Stärke der Wiesbadener Sammlung wider: die Landschaftsmalerei. Herausragend ist hier das Gemälde „Die Reisigträgerinnen“ von Jean Francois Millet (1814-1875), eine zarte Pastellarbeit, die um 1867 entstand. Direkt daneben kann der Besucher sich von dem zeitgenössischen preisgekrönten Film „Reise zum Wald“ von Jörn Staeger fesseln lassen (Dauer: gut sieben Minuten).

Im Landschaftsraum sind das stimmungsvolle HD-Video „Reise zum Wald“ von Jörn Staeger neben den „Reisigträgerinnen“ von Jean Francois Millet und Max Liebermanns „Landschaft“ (Wannsee) zu bewundern; Raumansicht; © Museum Wiesbaden

Für die angemessene Präsentation der Sammlung Alte Meister und der Naturhistorischen Sammlungen haben Museumsleitung und Kustoden in dem ursprünglichen Dreispartenhaus exzellente Lösungen gefunden. Jetzt fehlt nur noch ein neues Domizil für die Sammlung Nassauischer Altertümer, die der Ahnherr des Museums, Johann Isaac Freiherr von Gerning, als sein Vermächtnis ebenfalls der nassauischen Residenz überlassen hat. Der dafür vorgesehene Museumsneubau, der direkt neben dem Landesmuseum errichtet werden soll, ist seit langem überfällig. Der Gründungsdirektor Hans-Jörg Czech hat inzwischen gekündigt, weil der für das Jahr 2008 zugesagte Baubeginn des Stadtmuseums fünf Jahre später immer noch nicht in Sicht ist. Hoffentlich kein schlechtes Omen für das geplante Projekt, dem die entschlossene politische Unterstützung fehlt. Museumsdirektor Alexander Klar hat bereits in einem Interview wissen lassen, dass für die Sammlung Nassauischer Altertümer, die vor seinem Dienstantritt das Landesmuseum verlassen hat, trotz Erweiterung der Ausstellungsfläche in „seinem“ Haus kein Platz sei und ein Neubau errichtet werden müsse. Jetzt sind Wiesbadens Politiker gefordert!

Museum Wiesbaden, Neupräsentation der Naturhistorischen Sammlungen und der Sammlung Alte Meister

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Wiesbaden

→ Museum Wiesbaden renoviert und erweitert (1)

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