Es regnet im Frankfurter Kunstverein
Rivane Neuenschwander, „Chove chuva / Rain Rains“, 2002 (obige und folgende beiden Abbildungen: Ausstellungsansichten, Details und Totale), Aluminiumeimer, Wasser, Stahlseile, Leiter, Courtesy the artist, Tanya Bonakdar Gallery, New York, Stephen Friedman Gallery, London und Fortes Vilaça, São Paulo
Es tropft und tropft und tropft. Entgegen ersten Befürchtungen befinden wir uns hier jedoch nicht im grossen Foyer der Städtischen Bühnen, wo man sich vor dem Chagall-Saal bereits an den Anblick einiger Eimer gewöhnt hatte, die von der Decke durchtropfendes Wasser auffangen, sondern im Frankfurter Kunstverein. Und zu dessen Ehrenrettung sei zugleich vermerkt, dass die Decke des oberen Ausstellungssaals zumindest bis jetzt noch alles Regenwasser zurückhält.
Aber es tropft und tropft und tropft dennoch. Folglich kann es sich nur um ein Kunstwerk handeln.
„Vereinzelt Schauer – Formen von Wetter“
betitelt der Kunstverein seine aktuelle Ausstellung. Und Rivane Neuenschwander lässt es – stetig tröpfelnd – regnen, aus den an der Decke befestigten, mit Wasser gefüllten Eimern aus poliertem Aluminium, in deren Boden sich eine winzige Öffnung befindet, in die auf dem Saalboden stehenden weiteren Eimer. Wir ahnen, weshalb die Installation eine Leiter benötigt: Die hängenden Eimer müssen regelmässig wieder mit Wasser befüllt werden.
Die Brasilianerin Rivane Neuenschwander, 1967 in Belo Horizonte geboren, wo sie auch heute lebt und arbeitet, lässt uns mit ihrer Installation an den katastrophalen Umgang der Menschen mit dem brasilianischen Regenwald denken. Vielleicht auch an schlecht verarbeiteten, in seiner Haltbarkeit überschätzten und wasserdurchlässig werdenden Beton, wie er weltweit in Brücken, Autobahnen und Hochhäusern allenthalben der Sanierung bedarf. Eine die Sinne ansprechende Arbeit von grosser Ästhetik.
Rivane Neuenschwander erwarb an der heimischen Federal University of Minas Gerais den Bachelor of Fine Art, bevor sie am Londoner Royal College of Art mit dem Magister-Abschluss studierte. Seit 2007 werden ihre Arbeiten zunehmend weltweit ausgestellt.
Lässt es Rivane Neuenschwander im Kunstverein regnen, so lässt es Klaus Weber dort stürmen, und er kleckert dabei nicht, sondern klotzt: ein Tornado muss es schon sein.
Etwas ulkig sieht die Maschinerie, genannt „Basteltornado“, schon aus, aber wenn sie sich geräuschvoll in Gang setzt, erhebt sich – dank witziger Bastelarbeit und gottlob nur en miniature – ein veritabler Wirbelsturm in der Glasschale. Wir denken an den sprichwörtlichen „Sturm im Wasserglas“ (Montesquieus „tempête dans un verre d’eau“), den manche Leute gerne entfachen. Aber hinter Klaus Webers Arbeit steckt mehr als eine (Wort-)Spielerei, und bei einem wirklichen Tornado hört jeder Spass auf. Ohnmächtig steht der Mensch vor solchen Naturgewalten.
Klaus Weber wurde 1967 in Sigmaringen geboren. Er studierte mit dem Abschluss Magister Artium an der Universität der Künste in Berlin, wo er lebt und arbeitet. Seit 2005 stellt Weber national wie international aus.
Stürmisch, wenn auch nur auf dem Monitor, geht es auch bei Stefania Batoeva zu. Die 1981 in Sofia geborene Künstlerin studierte an der Architectural Association School of Architecture in London. In dieser Stadt lebt und arbeitet sie auch heute. Auch Batoeva stellte vielfach aus, beispielsweise in Berlin, Eisenstadt, London, Plovdiv, Rotterdam, Sofia, Thessaloniki oder Wien.
Batoeva plaziert zwischen zwei Flachbildschirmen ein altertümliches Tonbandgerät mit der Aufschrift „His Master’s Voice“ – ein eigentümlicher Kontrast zwischen alter Audio- und moderner Videotechnik. Wechselt die Laufrichtung des Tonbands, so wechselt auch die Windrichtung auf den Monitoren, der Sturm peitscht die Palmen mal nach rechts, mal nach links. Gehorcht der Sturm der Technik? Wohl kaum. Umgekehrt schon eher. Die Natur erweist sich meist als immer noch gewaltiger als das Menschenwerk.
Stefania Batoeva, His Master’s Voice, 2011, Video, Tonbandgerät, Flachbildschirme, 2’00“, Courtesy Galerie koal, Berlin
Bei soviel Regen und Sturm freuen wir uns auf etwas Ruhigeres: da kommt uns John Woodman mit seinem „Novembermorgen“ gerade recht. In seinem gut zwölfminütigen Video erscheint die Sonne langsam aus einem Nebelwabern, in das sie auch wieder verschwindet. Eine ruhige, schöne, romantische Stimmung, so könnte man meinen. Das Video – es läuft in Echtzeit und enthält nur den einen einzigen Bildausschnitt – lässt den Betrachter in dem völlig verdunkelten Raum auf eine irritierende Weise allein. Nicht nur Regen und Stürme entfalten eine zuweilen unheimliche Kraft und Gewalt, sondern auch der den Menschen der Orientierung beraubende, in die Irre führende Nebel.
John Woodman wurde 1948 in London geboren, wo er an der Slade School of Art und der St. Martin’s School of Art studierte. Der Künstler stellte unter anderem in Cumbria, Kassel, London und Stuttgart aus; er lebt und arbeitet in Carlisle.
John Woodman, November Morning, 2010, Video, 12’13“, Courtesy the artist
Eine nach Rivane Neuenschwanders „Rain Rains“ weitere grossvolumige, raumgreifende Arbeit des unseren Leserinnen und Lesern bereits bekannten hessischen Künstlers Flo Maak besteht aus einer Installation, einer Wandtapete und einer gerahmten Fotografie.
Flo Maak:
↑↑ Kaltfront II, 2013, Aluminiumprofile, Plexiglas, Stahlseile, Stahlschrauben
↑ making data global, 2013, UV-Druck tapeziert
↓ Musée Royal de l’Armée, 2010, Fotografie (Pigmentdruck)
jeweils Courtesy the artist
„Kaltfront II“, eine Installation aus Duschwänden mit industrieseitig dekorativ eingearbeiteten „Wassertropfen“, hängt als Abtrennung, durch schmale sehschlitzartige Zwischenräume unterbrochen, vor „making data global“, einem auf die Saalwand tapezierten Druck. Dieser zeigt eine mit einem Messraster belegte Aufsicht auf einen gigantischen Tornado; die Trennwand erlaubt jedoch nur partiell den Durchblick auf das ungeheure Naturereignis. Die Fotografie schliesslich zeigt das Brüsseler Musée Royal de l’Armée et d’ Histoire Militaire, genauer gesagt dessen verglaste Decke, vor der eine scheibenförmige Erddarstellung positioniert ist, weitgehend beschränkt auf Nordamerika und Eurasien, in der Mitte dominant die abschmelzende Arktis.
Geographisches trifft sich mit Strategisch-Politischem, Militärischem. Die politische „Grosswetterlage“ beherrscht die Nachrichten. Der Wunsch nach Beherrschbarkeit des Wetters spiegelt den Anspruch nach Beherrschung der Territorien, der Welt wider. Vorhersage bedeutet zuvor ausgeübte Kontrolle. Kontrolle beflügelt politische Machtfantasien.
Seit jeher war das Wetter Gegenstand der Malerei, Landschaften mit dräuenden Sturm-, Regen und Gewitterszenen sowie eindrucksvolle Seestücke zeugen davon ebenso wie die zahllosen Darstellungen des „schönen“, friedlichen Wetters. Wetter spielt im Impressionismus eine wesentliche Rolle.
Stets hat das Wetter, das der Mensch nicht beherrschen kann und dem Mensch und Natur oft genug hilflos ausgesetzt sind, die künstlerische Fantasie beflügelt. Heute überzieht ein Netz von Wettervorhersagen die Welt, der Mensch kann sich eher auf die Unbilden der Witterungen einstellen. Es stellen sich Fragen der Beherrschbarkeit oder zumindest der Berechenbarkeit des Wetters. Und vom Wetter hängen immer noch Satellitenstarts oder der zeitliche Beginn militärischer Operationen ab.
Wetter in der Kunst bedeutet auch: Skulpturen, gar Gemälde unter freiem Himmel der Witterung (und Ver-Witterung) auszusetzen. Künstler übernehmen Phänomene wie Regen, Nebel, Eis oder Schnee direkt in ihre Werke. Wetter wird zu einer Metapher für gesellschaftliche Zustände und Befindlichkeiten.
„Heute steht die Verschränkung des Wetters mit Fragen nach unserer Wahrnehmung, unseren Emotionen und soziopolitischen und wissenschaftlichen Kontexten im Vordergrund der künstlerischen Auseinandersetzung“ – so ein Fazit des Frankfurter Kunstvereins.
Ausser den hier genannten Künstlerinnen und Künstlern sind an der überaus sehenswerten, von Antje Krause-Wahl kuratierten Ausstellung Daniel Gustav Cramer, Spencer Finch, Sebastian Gräfe, George Kuchar, Gerhard Lang, Inigo Manglano-Ovalle, Matthias Meyer und Iris Schomaker beteiligt.
„Vereinzelt Schauer – Formen von Wetter“, Frankfurter Kunstverein, bis 19. Mai 2013
(abgebildete Werke © die jeweiligen Künstlerinnen und Künstler; Fotos: FeuilletonFrankfurt)