„WOOD.STOCK“: Skulpturen von Ortrud Sturm in der Heussenstamm-Galerie
„WOOD.STOCK“ –
übersetzt also Holzlager, Holzvorrat – so nennt Ortrud Sturm ihre neueste Ausstellung in der Frankfurter Heussenstamm-Galerie. Eine ziemliche Untertreibung! Nun ist dort zwar allerhand Holz anzutreffen: Eiche, Esche oder Pappel. Aber in was für einen sozusagen Aggregat-Zustand hat es die Bildhauerin gebracht: in Skulpturen der ganz besonderen „Art“ (wieder ein Wortspiel: englisch „Kunst“!).
Ortrud Sturm mit ihrer Arbeit „Bindung – Verbindung“
Tour de maisons, 2012, Eiche, 2,40 x 0,28 x 0,28 m;
Bindung – Verbindung, 2010, Eiche, 2,43 x 0,36 x0,33 m
Der Betrachter kann ins Grübeln geraten: diese hohen Stelen, diese fragil balancierenden Gebilde sollen tatsächlich nicht aus mehreren Teilen zusammengesetzt und verleimt, sondern aus einem einzigen Stamm oder Block Holz geschnitten worden sein? Geht das denn überhaupt? Wir versichern: es geht und so ist es!
Aber wieso können diese „durchlöcherten“, dabei mitunter leicht gebogenen Säulen überhaupt aufrecht stehen, quält manchen „ungläubigen Thomas“ wiederum der Zweifel? Und wie ist das mit der Statik, wo vom ursprünglichen Stamm doch kaum noch etwas an Holz übrig geblieben ist?
Nun, das ist eben das Geheimnis, ist die Kunst der Künstlerin. Eine Antwort gibt übrigens bereits der Titel der Stelen-Skulptur „Bindung – Verbindung“: Es ist das Material selbst, das tote und dennoch in einer gewissen Weise lebendige, lebendig gebliebene Holz mit der immanenten Bindungskraft seiner Faser- und Ringstrukturen, die ihm das stetige Wachstum in der Natur beschieden hat. Ortrud Sturm gelingt es mit ihrer künstlerischen Bearbeitung des Holzes, diese Bindungskräfte, dieses im Holz verfestigte Wachstum dem Betrachter zu vermitteln, ihm sinnfällig vor Augen zu führen.
Turm-gewürfelt II, 2013, Esche, 0,74 x 0,30 x 0,28 m
Block-Kreuz I, II, III, 2012, Esche farbig gefasst, Höhe 120/85/120 cm
Ebenfalls aus einem Stück Holz gesägt: eine in weisser Farbe gefasste Gitterstruktur. Ein Spiel mit den Möglichkeiten des Materials, des Pappelholzes, und zugleich ein virtuoser Umgang mit den Möglichkeiten der bearbeitenden Technik.
Gitter IV, 2012, 0,45 x 0,45 m, Pappel farbig gefasst
Ortrud Sturm arbeitet mit martialisch anmutendem Gerät: der Kettensäge. Lassen wir die Künstlerin selbst zu Wort kommen:
„Das bevorzugte Material für meine Skulpturen ist das Holz, dessen natürliche Eigenschaften, Farbe und organische Struktur Ausdrucksträger sind, die ich bewusst einsetze.
Durch eine minimale, grobe Arbeitsweise mit der Kettensäge reduziere ich die Skulpturen auf wesentliche Formen wie Würfel, Quader, Rechtecke, Fläche und Linie. In meinen Skulpturen beschäftige ich mich mit der Positiv- und Negativ-Form (Innenraum – Aussenraum) und mit dem Prinzip der Kreuzform bzw. dem kreuzweisen Durchdringen und Einschneiden des Stammes.
Strenge Konstruktionen von horizontalen und vertikalen Elementen sind das Prinzip meiner Arbeit. Ich variiere immer mit den gleichen Motiven und setze bewusst meine Sägeschnitte nach einem festen Plan. Dem gegenüber lasse ich die nicht steuerbaren Eigenheiten von Werkzeug und Material als Verwandlung im Arbeitsprozess zu. Das Material Holz als gewachsenes Vegetatives bleibt am ganzen Stück erhalten.“
o. T., Farbdruck, 0,40 x 0,40 m
Bei Ortrud Sturm kann eine aus dem Holz gearbeitete Plastik durchaus zum Druckstock werden: Aus einer ihrer Haus-Skulpturen entstehen, wie hier im Beispiel, in einer Reihe von Einfärbungsprozessen grafische Arbeiten von grosser Ästhetik.
Interessant auch die Kombination von zum Teil schwarz gefasster „Druckstock“-Skulptur und aus ihr gewonnener Druckgrafik:
o.T. , Holzdruck, 0,50 x 0,70 m, mit Würfel-Stock, Esche farbig gefasst, 0,34 x 0,34 x 0,34 m
Würfel-Stock, Esche farbig gefasst, 0,34 x 0,34 x 0,34 m
Es ist immer wieder bemerkenswert, wie die Künstlerin aus dem von Natur aus runden Stamm eines Baumes mit ihren bevorzugten Kreuz- und Winkelschnitten die quadratischen oder rechteckigen Strukturen schneidet, das Material mit zahlreichen Durchbrüchen gewissermassen „entkernt“. Dem dabei stehengebliebenen Material als „Aussen“ korrespondiert in einem Spannungsfeld der ausgeschnittene Durchbruch als „Innen“. Diesen Positiv- und Negativ-Formen entspricht in vielen ihrer paarweisen Arbeiten als ein Positiv-Negativ-Pendant die Fassung in den Farben Schwarz und Weiss.
Positiv-Negativ schwarz, 2010, sowie Positiv-Negativ weiss, 2010, beide Arbeiten Esche farbig gefasst, je 1,64 x 0,27 x 0,27 m
In einigen anderen Arbeiten wiederum bleibt die Struktur des gewachsenen Stammes noch erkennbar wie in den „Säulen“.
Säule I, Säule II, Säule gebogen 2008 Höhe 1,5/ 1,6 / 1,32 m
Leserinnen und Leser von FeuilletonFrankfurt konnten Ortrud Sturm bereits kennenlernen: von den Skulpturenausstellungen im Bergpark Nidda-Bad Salzhausen. Eindrucksvoll stellte sie dabei im Jahr 2009 eine ihrer Skulpturen, die Arbeit „Quadrat-Würfel“, einem lebendigen Baum des romantischen Parks gegenüber.
Die 1959 im hessischen Altheim geborene Künstlerin absolvierte zunächst eine Ausbildung zur Holzbildhauerin und studierte anschliessend Bildhauerei an der ehemaligen Werkkunstschule Flensburg. Arbeite sie früher mit Materialien wie Glas und Plexiglas, Elfenbein, Edelstein oder Eisenguss, so konzentriert sie sich seit den 1990er Jahren auf Holz als Werkstoff.
Ortrud Sturm erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise (beispielsweise den 1. Preis des Skulpturenparks Mörfelden-Walldorf 2002) und bestritt eine Vielzahl von Gruppen- und Einzelausstellungen, in Hessen wie im Bundesgebiet sowie im österreichischen Gmunden und Bad Goisern oder in Lutago/Italien.
Gelungenes Wortspiel: Dagmar Priepke, Geschäftsführerin der Heussenstamm-Galerie, überreichte der Künstlerin – passend zum Ausstellungs-Titel – einen Bildband über das legendäre Woodstock-Festival.
Laudator Björn Lewalter, Ortrud Sturm und Galerie-Chefin Dagmar Priepke in der Vernissage
Ortrud Sturm, „WOOD.STOCK“, Heussenstamm-Galerie, bis 3. Mai 2013
(abgebildete Werke © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotos: FeuilletonFrankfurt)