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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kinder, Kinder … (2)

Von Robert Straßheim

Lieber Markus,

keine Sorge, ich hecke keine Verschwörungstheorie aus. Es gibt keine konzertierten Aktionen zur Abschreckung gebärwilliger Paare. Jeder Akteur versucht nur, Nachteile für sich abzuwenden, die Kinder mit sich bringen: Die Vermieter schützen ihr Eigentum, die Minister müssen sparen etc. Andere Akteure versuchen ihre Vorteile aus den Kindern zu schlagen: Die Spieleindustrie, die Lebensmittelkonzerne, Filmemacher etc. Das ist ganz und gar nicht verwerflich, warum sollte denn auch jemand Kinder lieben?

Gerade weil ich die Kinder liebe, entsetzt es mich, wie ein grosser Teil der Gesellschaft mit Kindern umgeht. Ich zitiere mal aus meinem GEW-Insider, der immer noch ein bisschen Marx in sich trägt: „Das Sein verstimmt das Bewusstsein.“

Aber was bedeuten denn schon solche Phrasen? Sein, Bewusstsein, Gesellschaft? Lieben? Ist mir im Grunde alles ziemlich gleich, was zählt, ist das Leben selbst. Was macht es denn, das (neue) Leben? Es schreit! Meine Güte, die vierte Nacht in Folge können wir kaum schlafen. Biste mal gerade eingeschlafen, schon geht wieder die Sirene los. In unserer kleinen Wohnung gibt’s da kein Entrinnen. Wenn’s wenigstens Feueralarm wäre, ABC oder dergleichen, da gibt’s wenigstens was zu tun. Ich aber kann da nichts tun als das Baby zu schaukeln, zu wiegen, gegen das Geschrei gut zu reden. Zara kann immerhin ihre Brust anbieten, was im Normalfall stillt. In diesen Nächsten aber kann sie ihre vollen Brüste hineinstopfen wie sie will, es schreit nur heftiger, die Milch läuft über. Ich vergrabe mich in die Kissen, und wenn das Mitleid mit Zara die Trägheit übertrifft, dann stehe ich auf, trage das Baby eine halbe Stunde herum, wiege es in Mozart, und nach einer Stunde schläft es wieder – gerade so lange, dass wir wieder einschlafen können, dann hat es genug Kräfte geschöpft für neues Geschrei.

Warum tut es das bloss? Diese Frage ist es, die uns Eltern beschäftigt, alle Geisteskräfte abzieht und nichts übrig lässt für wissenschaftliche Interessen. Zahnt es? Dafür gibt es sonst keine Symptome. Hat es einen Infekt, fiebert es? Hat es Bauchweh? Jaja, der Kinderarzt würde es untersuchen und mal wieder sagen: nichts Ernsthaftes, eine unbedeutende Regulationsstörung, das wird in ein paar Wochen wieder weg sein. Zum Kinderarzt zu gehen, verursacht nur zusätzlichen Stress, Hin und Her, Wartezeiten, und wer kauft ein, wer kocht solange?

Gestern früh aber nahm unsere Zerrüttung überhand. Ich riss das schreiende Kind an mich, merkte gerade, dass es nass geschwitzt war, was mich wunderte, da schrie Zara, ich mache das Kind krank, wie könne ich es so nass aus dem Bett nehmen, ohne Decke, ich schrie zurück: Es sei schon krank, was soll ich da noch machen, wenn sie es so nass schwitzen lässt! Wir warfen mit Vorwürfen hin und her: DU machst das Kind krank durch Kälte! – DU machst das Kind krank durch übertriebenes Heizen und Zudecken!

Nach dieser vierten Nacht rafften wir uns mit der Kraft der Verzweiflung auf, schafften unser Baby zum Doktor L., unserem Hausarzt, der es kinesiologisch durchtestete, und siehe da, die Erklärung ist ganz einfach: Eine Unverträglichkeit gegen einen der Impfstoffe. Warum liessen wir denn auch eine Fünffachimpfung gegen das arme kleine Baby los? Weil der Kinderarzt uns die Wahl liess zwischen den beiden Standards für die Erstimpfung: entweder fünffach oder sechsfach – wir hatten uns für die „verträglichere“ Fünffachimpfung entschieden.

Nun bedeutet so eine Vielfachimpfung eine Rationalisierung in der Gesundheitsindustrie, aber eine Überforderung so eines zarten Immunsystems, aber so ein paar schlaflose Nächte interessieren den Kinderarzt nicht, da medizinisch bedeutungslos. Zum Glück ist unser Doktor L. kein solcher Fliessbandarzt, sondern ein anthroposophischer Mediziner, der nur deshalb Mensch sein kann, weil er Privatarzt ist: Er nimmt sich eine Stunde Zeit für uns und verabreichte dem Baby und den zerzausten Eltern die erforderlichen Globuli, und wie du siehst: Ich finde nun die Zeit, dir endlich zu schreiben. Das ist schon ein Luxus, ein Überfluss des Seins, so zu schreiben, in diesen Elternzeiten ebenso selten wie Zeit für Sex – und wenn die Kinder mal schlafen, dann kannst du sicher sein, dass mindestens ein Elternteil auch mit eingeschlafen ist und nie mehr freiwillig aufsteht. Das ist Liebe: kein Sex, stattdessen dienen für die Kinder von früh bis spät und durch die Nacht.

Nur weiss ich nicht, wie lange das gut gehen würde. Wenn es nicht solche Abende des Aufatmens gäbe: Es ist halb acht, ich labe mich beim Schreiben, Zara beglückt sich mit einem lange lange vermissten Fitnesstraining, und beide freuen wir uns schon auf den Sex, den wir uns danach gönnen wollen. Und wenn das nun nicht ginge? Wenn wir nur Kassenärzte hätten, die die Kinder schreien lassen? Ich kann nicht sagen, wie lange die Liebe vorhält gegen die Entsagung. Natürlich erfreuen wir uns auch der Kinder, wenn sie mal nicht schreien. Sie lachen ja auch, und wir spielen mit ihnen. Das Glück ist da sehr subtil: Wenn ich eine liebenswerte Mimik in meiner Tochter studiere, eine Geste, einen Satz, da kann ich mich angerührt fühlen, ich kann innerlich überlaufen vor Staunen, vor Bewunderung. Das ist auch der Grund, warum wir tausend Fotos machen, um zu versuchen, das Glück im Kinde festzuhalten – wenn die Bilder doch auch nur ein Abklatsch werden, sie zeigen uns, dass wir gut und erfüllt leben. Da kann mancher die Tränen schnell vergessen, die schlaflosen Nächte verklären. Meine älteren Kollegen schwimmen in Nostalgie, wenn sie mich um meine kleinen Kinder beneiden: „Geniesse die Zeit, sie geht so schnell vorüber!“

Nichts da, ich bin froh um jeden Tag, den die Kinder älter werden: Das Geschrei und das Getrotze werden nachlassen und irgendwann aufhören. Wie könnte ich das geniessen? Bei dem chronischen Personalmangel, den wir hier leiden müssen? Zwei Eltern für zwei kleine Kinder heisst ständiger Einsatz. Millionen von Erwachsenen in unserer Nachbarschaft schlagen ihre Zeit tot mit Bildschirmen und anderen blödsinnigen Hobbys, während wir Eltern nicht mehr wissen, wie es ist, einmal ausschlafen zu können. Es ist einfach verrückt, Kinder zu haben. Lächelt dir aber dein Baby morgens um halb sechs entgegen, so sind alle vernünftigen Gründe gegen Kinder vergessen.

Grüsse

 

Gemälde und Zeichnungen: Alina (3 Jahre jung), Fotos: Robert Straßheim

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