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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Rheinromantik – Kunst und Natur“ im Museum Wiesbaden (2)

Turners Aquarelle – Höhepunkt einer grandiosen Schau

von Hans-Bernd Heier

Mit „Rheinromantik – Kunst und Natur“ präsentiert das Museum Wiesbaden auf Anregung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain in einer opulenten Schau die lichten Seiten der Romantik. Die grossartige Ausstellung im Landesmuseum, die einen zeitlichen Bogen von 1647 bis 1887 spannt und einem chronologischen Erzählstrang folgt, spürt die Genese der Rheinromantik in enger Verbindung von Natur und Kunst auf. In der aufwendigen Präsentation, die unter der Schirmherrschaft von Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier steht, sind über 200 Leihgaben aus internationalen Sammlungen und rund 40 Exponate aus eigenen Beständen versammelt.

Die Werke des holländischen Malers Herman Saftleven (1609 bis 1685) gehören zu den frühesten künstlerischen Ansichten des Rheins. Der Holländer hat bereits im 17. Jahrhundert mit seinen zunächst fantastischen Landschaften „in der bildenden Kunst den Weg für das geebnet, was wir heute unter rheinromantischen Landschaftsempfindungen subsumieren“, so Peter Forster, verantwortlicher Kurator der Schau. Saftlevens Bildtypus bestimmte lange Zeit die künstlerische Wahrnehmung des Rheintals.

Herman Saftleven, Der Rhein bei Schloss Arenfels (Rheinlandschaft mit Landungsplatz), 1666, Öl auf Eichenholz, 46,5 x 63 cm; © Kunsthistorisches Museum Wien

Aber es sollte noch rund 100 Jahre dauern, bis Christian Georg Schütz der Ältere (1718 bis 1791) das Bild des Rheintals wieder aufgriff und in seinem Werk zur typischen idealen Rheinlandschaft verarbeitete. Erst sein Neffe und Patenkind Christian Georg Schütz (1758  bis 1823) entwickelte eine neue, romantische Sicht auf den mythenbeladenen Strom.

Christian Georg Schütz der Ältere, Ideale Rheinlandschaft mit Ansicht von Eltville, 1774, Öl auf Lindenholz, 26 x 35,5cm; © Museum Wiesbaden

Die Landschaftsmalerei erlebte in der Zeit von 1750 bis 1800 einen Wandel: von der barocken Ideallandschaft zu einer frischen und unmittelbaren Darstellung von Natur und Wirklichkeit. Hieran hatten der Frankfurter Maler Christian Georg Schütz der Ältere mit seiner Familienwerkstatt und die Mainzer Malerbrüder Johann Caspar und Georg Schneider entscheidenden Anteil. Rheingegenden nach der Fantasie sowie topografische Ansichten vom Mittelrhein und von Städten waren beliebte Bildthemen.

Die Flörsheimer Malerfamilie Schütz initiierte neue Landschafts-Rezeption

Um 1752 unternahm Christian Georg Schütz der Ältere eine Rheinreise von Mainz bis Koblenz. Als einer der ersten deutschen Künstler besuchte er jenes Flusstal, das bereits Herman Saftleven inspiriert hatte, und zeichnete vor Ort. Seine danach entstandenen Flusslandschaften komponierte er dennoch meist nach der Fantasie. Der klare Aufbau, die sonnendurchflutete Atmosphäre und die golden überhauchte Farbigkeit stehen älteren künstlerischen Vorbildern wie Claude Lorrain nahe. Die Rheinbilder von Christian Georg Schütz dem Älteren führen so auch die Tradition barocker Ideallandschaften fort. Werke des älteren Schütz waren bei Sammlern sehr gefragt. Der Maler betrieb eine grosse Werkstatt und oft arbeiteten mehrere Künstler an einem Bild.

Franz Schütz (Zuschreibung), Rheinlandschaft mit aufziehendem Gewitter, um 1770/1775, Öl auf Leinwand, 23,5 x 31,5 cm; © Museum Wiesbaden

Christian Georg Schütz, genannt der Vetter, lernte in der Werkstatt seines Verwandten und Patenonkels Christian Georg Schütz des Älteren. Seine Werke verbinden die Tradition idealer Rheingegenden mit einer neuen, romantischen Landschaftsauffassung. Schütz der Vetter reiste erstmals 1779 von Mainz nach Düsseldorf und zeichnete auf zahlreichen weiteren Rheintouren nach der Natur. Die hiernach gefertigten, grossen Grafiken zeigen einen klaren Sinn für Realität und topografische Genauigkeit und waren bei Sammlern ebenso beliebt wie seine Ölgemälde.

Christian Georg Schütz der Vetter initiierte mit seiner Rheinserie eine neue Sichtweise auf die Landschaft: Die reiche Natur und die Geschichte des laut Victor Hugo „edelsten Stromes“ mit seinen historischen Burgen wurden jetzt als Einheit wahrgenommen. Auch die Rheinreise der Freunde Clemens Brentano und Achim von Arnim 1802 führte zu einer neuen Rezeption: Sie sammelten Lieder und Märchen und erschufen die Figur der Loreley in Brentanos Roman Godwi. Die zahlreichen Ruinen am Rhein symbolisieren jetzt als steinerne Zeugnisse eine grosse, nationale Vergangenheit. Die Rheinlandschaft wird zur Geschichtslandschaft.

Für die Mainzer Malerfamilie Schneider waren Zeichnungen nur Arbeitsmaterial

Auch für die Mainzer Malerbrüder Schneider waren der Rhein sowie die angrenzenden Ortschaften zeit ihres Lebens die bevorzugten Sujets. Johann Caspar Schneider schuf zunächst Mainzer Ansichten und ideale Flusslandschaften in der Nachfolge von Schütz dem Älteren. Ab 1813 unternahm er Wanderungen an dem sagenumwobenen Strom und hielt unmittelbare Natureindrücke in Skizzenbüchern fest.

Der jüngere Georg Schneider fand früh zu wirklichkeitsnahen Darstellungen des Mittelrheins. Das Schaffen beider wurzelt in nachbarocken Traditionen, doch der Beginn der rheinromantischen Malerei ist in ihren Landschaften bereits angelegt.

Bei der künstlerischen Entdeckung des Rheintals fertigten sie direkt vor Ort ihre Studien, die später dann im Atelier als Vorlagen für Ölgemälde dienten. Die Landschaften wirken in den Zeichnungen allerdings oft unmittelbarer und freier als in den ausgeführten Gemälden. Zeichnungen waren für die Malerbrüder Schneider in erster Linie Arbeitsmaterial und verblieben in der Werkstatt, erst spät entdeckten Sammler ihren ästhetischen Wert.

Johann Jakob Dietzler, Landschaftsansichten; Foto: Hans-Bernd Heier

Im Zusammenhang mit Rheinansichten sind auch die Werke der Koblenzer Malerfamilie Dietzler und der Düsseldorfer Akademie zu erwähnen, die im Landesmuseum zu sehen sind: Die Koblenzer Malerfamilie Diezler gehörte zu den Biedermeiermalern, die ein scheinbar getreues Bild der damaligen Rheinszenerie überliefern. Detailliert werden Topografie und kulturgeschichtliche Elemente geschildert, Schiffe und Nachen spiegeln die intensive wirtschaftliche Nutzung des Flusses. Im Mittelpunkt ihres Interesses stand die Kulturlandschaft des Stroms.

1828 wurde an der Düsseldorfer Akademie ein „Landschaftlicher Komponierverein“ gegründet, aus dem später eine eigene Landschaftsklasse entstand. Auf Exkursionen in die nähere und weitere Umgebung fertigten die durchweg jungen Studenten Skizzen an, die später im Atelier zu Landschaftsbildern „komponiert“ wurden. Die Düsseldorfer kombinierten meist landschaftliche Einzelelemente und schufen neue, real wirkende Landschaftsbilder.

Die Rheinbegeisterung der Engländer

In der Ausstellung werden diese Bilder den Werken englischer Künstler gegenübergestellt. Unter ihnen der berühmteste, Joseph Mallord William Turner (1775 bis 1851), der erstmals 1817 an den Rhein reiste, um sich mit dieser Landschaft künstlerisch auseinanderzusetzen. Insgesamt entwickelte er zwischen 1817 und 1844 auf vermutlich elf Reisen an den Rhein seine künstlerischen Werke, die aus 22 Skizzenbüchern und etwa 120 Aquarellen bestehen und die bis heute durch ihre leuchtende Farbigkeit und ihre Leichtigkeit bestechen. 21 herrliche Aquarelle sind zu bewundern – sie stellen den abschliessenden Höhepunkt einer grandiosen Schau dar.

Joseph Mallord William Turner, Der Loreley-Felsen, 1817, Wasser- und Deckfarbe, 20,2 x 30,2 cm; © Leeds Museums and Galleries

Vom 18. bis 26. August 1817 wanderte Turner mit seinen Skizzenbüchern von Köln nach Bingen, erst ab Bingen nahm er bis Mainz ein Boot. Die zahlreichen Reiseskizzen führte Turner in England in einer ersten Aquarellserie aus: Es entstanden leichte, zarte Ansichten, die unverfälschte Reiseeindrücke spiegeln. Topografische Genauigkeit war ihm auf dieser ersten Reise wichtig, die Skizzen dienten primär als Gedächtnisstütze des Gesehenen.

Joseph Mallord William Turner, Rüdesheim. Blick zum Binger Loch, 1817 © National Museum Wales

Seine späten kolorierten Skizzen Ende der 1830er und 1840er Jahre, die beispielsweise Ehrenbreitstein, oft in der Abendsonne, zeigen, gehören zu den poetischsten Ansichten des Rheinlandes. Es sind rasch hingeworfene Farbstudien, subtil in der Farbe abgestuft, mit wechselnden Lichtquellen, wie der untergehenden Sonne, dem aufsteigenden Mond oder den Lichtern unterhalb der Festung. Die Festung wird vom Betrachter nicht mehr als architektonischer oder militärischer Baukörper, sondern wegen der Verschmelzung mit dem Bergrücken als Teil der Landschaft wahrgenommen.

Joseph Mallord William Turner, Koblenz und Ehrenbreitstein aus der Ferne, um 1839, Wasser- und Deckfarbe, 13,9 x 19 cm;© London, Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest, 1856

Auch auf seinen späteren Reisen war Turner vom Mittelrhein und dessen malerischen Nebentälern fasziniert. Immer wieder skizzierte er die Burgen und Aussichtspunkte aus stets neuen Blickwinkeln, die ihn bereits auf früheren Reisen beeindruckt hatten. Seine späteren Aquarelle zeichnen sich durch eine vorrangige Behandlung des Atmosphärischen und des Lichtes aus. Das Topografische bleibt in den Grundzügen erhalten, tritt jedoch zugunsten von Farbe, die zunehmend zu einem unabhängigen Bildelement wird, in den Hintergrund.

Neben Turner kamen zahlreiche weitere Maler wie David Roberts, Clarkson Stanfield, Robert Batty, James Baker Pyne und Henry Bright an den sagenumwobenen Fluss und prägten einen besonderen Bildtyp – den romantischen Rhein mit zerfallenen Burgen, malerischen Uferlandschaften und beeindruckenden Wolken- und Wasserdarstellungen. Mit diesen Werken sorgten die Maler für grosse Rheinbegeisterung, indem verschiedene Elemente kombiniert werden, wie reale Landschaft mit Fantasiebauten.

William Callow, Die Pfalz bei Kaub und Schloss Gutenfels am Rhein, 1847, Aquarell, Deckweiss und Bleistift, 63 x 90,3 cm;© Birmingham Museum’s Trust

Auch infolge der in England veröffentlichten Rheinbücher setzte ein zunehmender Touristenstrom ein. Entsprechend gross war die Nachfrage nach gemalten Ansichten und gestochenen Grafiken als Illustrationen zu Rheinbüchern oder einfach als Souvenir.

In London wurden Ansichten vom Rhein spätestens ab 1830 buchstäblich salonfähig: In den jährlichen Ausstellungen der Royal Academy of Arts, in der Society of Watercolours und in privaten Salons wurden Bilder vom Rhein regelmässig gezeigt. Es entwickelte sich dabei ein fester Bildtypus, der Veränderungen an der Rheinschiene – Strassenbau, Eisenbahn, Ausbau der Burgen etc. – unbeachtet liess. Stattdessen entstanden Bilder einer zeitlosen Ideallandschaft mit oft einfallsreich kostümierten Staffagefiguren, Segelschiffen und Lastkähnen. Obwohl das Zeitalter des Dampfschiffs längst begonnen hatte und etwa in den Bildern der Koblenzer Malerfamilie Dietzler als landestypisches Element dargestellt wurde, sieht sich der Betrachter jener Arbeiten in eine heile, unberührte Landschaft versetzt.

Zur Ausstellung ist ein grossformatiger, voluminöser Katalog (496 Seiten) erschienen.

Rheinromantik – Kunst und Natur“, Museum Wiesbaden, bis 28. Juli 2013

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Wiesbaden

→  „Rheinromantik – Kunst und Natur“ im Museum Wiesbaden (1)

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