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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Rheinromantik – Kunst und Natur“ im Museum Wiesbaden (1)

Ein idyllisches Fest fürs Auge

von Hans-Bernd Heier

Mit dem Schwerpunktthema „Impuls Romantik“ richtet der Kulturfonds Frankfurt RheinMain noch bis Anfang 2014 den Blick auf eine Epoche, die den hiesigen Kulturraum bis heute prägt. Er schöpft dabei aus der Dichte herausragender Persönlichkeiten, die hier lebten und wirkten. Clemens von Brentano und Achim von Arnim brachen 1802 von Frankfurt am Main aus zu einer Rheinreise auf, die als Geburtsstunde der Rheinromantik gilt.

Mit „Rheinromantik – Kunst und Natur“ präsentiert das Museum Wiesbaden nun auf Anregung des Kulturfonds in einer opulenten Schau die lichten Seiten der Romantik, während im Städel Museum in Frankfurt bis Anfang dieses Jahres unter dem Titel „Schwarze Romantik“ die dunklen, teilweise bedrohlich wirkenden Aspekte dieser Kunstströmung zu sehen waren. Die grossartige Schau im Landesmuseum spürt die Genese der Rheinromantik in enger Verbindung von Natur und Kunst auf.

Angelica Kauffmann, Bildnis Johann Isaak Freiherr von Gerning, 1798, Öl auf Leinwand, 64 x 50 cm; © Museum Wiesbaden

Um 1800 setzte zwischen Aufklärung und Romantik am Rhein eine einzigartige kulturelle Auseinandersetzung mit Landschaft, Geschichte, Kunst und Natur ein, die bald in dem Begriff „Rheinromantik“ zusammengefasst wurde. In der Person von Johann Isaak von Gerning (1767 bis 1837) – einem Frankfurter Gelehrten, Dichter und Sammler – fand sie einen wichtigen Protagonisten. In seinem Freundeskreis trafen sich Dichter und Maler, Historiker und Naturkundler, die spartenübergreifend die unmittelbare Umgebung von Rhein und Taunus erforschten. Im Sinn einer enzyklopädischen Sammlung des 18. Jahrhunderts vereinte von Gerning in seiner umfangreichen Kollektion literarische Schriften, naturwissenschaftliche Exponate und Gemälde sowie Zeichnungen.

Gemälde aus der grossen Sammlung von Gernings in „bürgerlicher“ Hängung: Raumansicht der Ausstellung „Rheinromantik“, © Museum Wiesbaden

Als der Frankfurter Schöngeist einen bleibenden Ort für seine Sammlung suchte, entschied er sich auf Anraten von Johann Wolfgang von Goethe, mit dem von Gerning in beständigem Kontakt stand, für die nassauische Residenz Wiesbaden und damit für den Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung. Der in Gelddingen bewanderte Dichterfürst („Das Genie und das Geld“) empfahl, die grosse Kollektion an Kunstwerken, die Altertümer und die über 40.000 Präparate wirbelloser Tiere – überwiegend Schmetterlinge – gegen eine jährliche Leibrente von 2.000 Gulden dem aufstrebenden Wiesbaden anzudienen. Zunächst übergab der Sammler 1824/1825 etwa 150 Gemälde, ausserdem Antiken, Münzen, Majoliken und seine Bibliothek. 1830 folgte die Übergabe der bedeutenden Insektensammlung an den Nassauischen Verein für Naturkunde. Die reichhaltige Kollektion wurde zunächst im Erbprinzenpalais ausgestellt, in dem heute die IHK Wiesbaden ihren Sitz hat. 1899 übernahm die Stadt die Trägerschaft, und ab 1915 zogen die Gemäldegalerie, die Naturhistorischen Sammlungen und die Nassauischen Altertümer in das heutige Museumsgebäude ein. Auch wenn von Gernings Schätze nur einen Teil der derzeitigen Bestände ausmachen, so bilden sie dennoch den historischen Grundstock des vom Land Hessen getragenen Dreispartenhauses. Die Geschichte des Landesmuseums ist so aufs engste verbunden mit dieser zentralen Figur der Rheinromantik, der die aufkommende Begeisterung für eine Landschaft voller Historie entfachte:

„Welch entzückendes Bild gestaltete Mutter Natur hier,
Wie nacheifernde Kunst nimmer zu malen vermag.“ (Johann Isaak von Gerning, 1813)

Morphofalter aus der Sammlung von Maria Sybilla Merian, später Sammlung Johann Christian von Gerning, © Museum Wiesbaden

Graf von Kalnein: Ausstellung ein Glücksfall

Albrecht Graf von Kalnein, Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, der die faszinierende Präsentation massgeblich unterstützt, bezeichnete bei der Pressekonferenz die Präsentation „Rheinromantik“ als einen Glücksfall für das Landesmuseum, unter anderem, weil sie mit 21 Werken von William Turner „Weltklasse“ in dieses Haus bringe. Vielleicht wäre genauer zu sagen „zusätzliche“ Weltklasse, weil das Museum Wiesbaden u. a. mit dem weltweit bedeutendsten Konvolut an Arbeiten des russischen Expressionisten Alexej von Jawlensky absolute Spitzenwerke der Malerei beherbergt.

Schauglas mit prachtvoll präparierten Vögeln; Foto: Hans-Bernd Heier

Dabei ist das Thema Rheinromantik laut Alexander Klar, Direktor des Wiesbadener Museums, „kein ungefährliches Terrain“, da der Begriff eine bisweilen überstrapazierte Bildlichkeit heraufbeschwöre. Rheinromantik erwecke die Assoziation einer Burgruine vor bewaldeter Bergflanke über dem majestätisch dahinströmenden Rhein oder die einer zechenden Burschenschaft in einer Laube vor der mondbeschienenen Silhouette des Siebengebirges. „Man sollte sich als Museum diesem allzu bekannt erscheinenden Genre also mit gebührendem Respekt und klugerweise mit dem Anspruch nähern, dem Thema etwas von Gewicht hinzufügen zu wollen“, mahnt Klar im Vorwort des profunden Katalogs. Das ist dem verantwortlichen Kurator Peter Forster, Kustos der Sammlung „Alte Meister“, trotz der mit 14 Monaten relativ kurz bemessenen Vorbereitungszeit vorzüglich gelungen.

Der Thymian-Ameisenbläuling (Phengaris arion) gehört zu den streng geschützten Tierarten. Im Rheintal ist er heute nicht mehr zu beobachten. © Museum Wiesbaden

Zu Beginn des Rundgangs durch die Schau, die durch eine besonders designte Ausstellungsarchitektur besticht, ist ein von Angelica Kauffmann gemaltes Porträt Johann Isaak von Gernings zu sehen. Ausserdem werden in enger bürgerlicher Hängung, wie es bei dem Schöngeist wohl zu Hause ausgesehen haben mag, herausragende Gemälde aus seiner reichhaltigen Kollektion gezeigt, u.a. ein Stillleben von Frans Snyders, ein Gemälde der büssenden Magdalena von Januarius Zick und eine Landschaft mit Heuwagen von Wilhelm von Kobell.

Bei romantisch unterlegten Musikklängen und begleitet von einer raffinierten Lichtinszenierung mit animierten Schmetterlingen wird der Besucher dezent auf das Topos Rheinromantik eingestimmt und kann antike Büsten und Schaukästen mit Schmetterlingspräparaten bewundern. An einer interaktiven Station kann er exemplarisch den Briefwechsel von Gernings mit bekannten Persönlichkeiten studieren, der auf Knopfdruck auch verlesen wird.

Christian Georg Schütz der Vetter, Bingen, 1818, Aquarell 21,1 x 29,8 cm; © Museum Wiesbaden

Johann Isaak von Gerning und die Rheinbegeisterung

Kaum eine andere Region in Deutschland ist seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert so häufig beschrieben worden wie die Rheinlandschaft. Mit dem Beginn des Tourismus nach dem Ende der napoleonischen Kriege 1815 strömten unzählige Reisende an den laut Hölderlin „frei geborenen Rhein“. Von 1827 – mit der Einführung der regulären Dampfschifffahrt – bis 1837 stieg die Zahl der Touristen von 18.000 auf rund 150.000 an. Die Nachfrage nach Reisehandbüchern und illustrierten Rheinbüchern steigerte sich, bereits um 1850 waren mehr als 260 Titel zur Rheinliteratur auf dem Markt, meist bebildert und mit Kartenmaterial ausgestattet. Gernings illustriertes grossformatiges Rheinbuch „A picturesque Tour along the Rhine“ mit Ansichten von Christian Georg Schütz, das 1820 in London publiziert wurde, wirkte dabei bahnbrechend und setzte Qualitätsmassstäbe, an denen nachfolgende Publikationen gemessen wurden. Auf dem Markt entstand geradezu ein Wettbewerb, man konkurrierte mit unterschiedlichen Ausgaben vom Prachtband im Folioformat bis hin zum „Taschenbuch“.

Christian Georg Schütz der Vetter (1758 bis 1823) hatte in Gernings Auftrag 24 feine Aquarelle angefertigt, die Ansichten von Mainz bis Köln zeigten und die auch in der Ausstellung zu sehen sind. Die Künstler Thomas Sutherland und Daniel Havell stellten für das Rheinbuch nach den Vorgaben von Schütz Aquatinten her, die im Anschluss koloriert wurden. Das Buch, das sehr bald als „das wohl berühmteste Prachtwerk der Rheinromantik“ in England bewundert wurde, sollte rasch dazu beitragen, jene oben erwähnte Welle des Rheintourismus auszulösen.

Peter Forster neben Herman Saftlevens „Der Rhein bei Schloss Arenfels“ (Rheinlandschaft mit Landungsplatz) von 1666, Öl auf Eichenholz, 46,5 x 63 cm; Foto: Hans-Bernd Heier

Peter Forster: „Ein Niederländer schenkte uns das Bild vom Rhein“

Die Begeisterung für die vielseitige Rheinlandschaft erwachte allerdings schon früher. Zu den frühesten künstlerischen Ansichten des Rheins gehören die Werke des Niederländers Herman Saftleven (1609 bis 1685). Kurator Peter Forster schwärmt: „Ein Niederländer schenkte uns das Bild vom Rhein“. Denn Herman Saftleven begründete mit seinen zunächst fantastischen Landschaften das Bild des Rheintals, welches Christian Georg Schütz der Ältere (1718 bis 1791) später aufgriff und in seinem Werk zur typischen idealen Rheinlandschaft verarbeitete. Der Holländer hat laut Forster „in der bildenden Kunst den Weg für das geebnet, was wir heute unter rheinromantischen Landschaftsempfindungen subsumieren“.

Unmittelbar nach dem Ende des 30-jährigen Krieges 1648 unternahm der Holländer erste Reisen an den Mittelrhein. Er traf hier auf eine faszinierende Landschaft, die ihm, aus Utrecht kommend, völlig fremd war: hohe Berge, Burgen und Kirchen, befestigte Städte an einem abwechslungsreichen Flussufer. Auf engstem Raum fand er hier eine facettenreiche Gegend, aus der er den Typus der „Rheinlandschaft“ entwickelte. Dieses Bildmotiv wurde derart populär, dass Saftleven seine Bilder mit dem Titel „Duits gezicht“ versah. Die Ansicht vom Rhein wurde so zum Synonym der deutschen Landschaft.

„Rheinromantik – Kunst und Natur“, Museum Wiesbaden, bis 28. Juli 2013

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Wiesbaden

→  „Rheinromantik – Kunst und Natur“ Teil 2

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