Letzte Ausstellung im ATELIERFRANKFURT: Viaggio in Italia – Italienische Reise
Von Erhard Metz
Es gilt Abschied zu nehmen vom bekannten Domizil: Das älteste Atelierhaus der Stadt mit dem beziehungsreichen Namen ATELIERFRANKFURT in der Hohenstaufenstrasse schliesst in diesem Jahr seine Pforten und zieht um: Nicht nun nach Italien, wie der Titel der Abschiedsausstellung suggerieren könnte, sondern in die Schwedlerstrasse im Frankfurter Ostend. Die Neueröffnung in „neuen Dimensionen“ – über 160 Ateliers werden dort neben Ausstellungs- und Probenräumen für Tanz und Theater Platz finden – ist für den Spätsommer / Frühherbst dieses Jahres vorgesehen.
Es knarrt, bröckelt und tröpfelt inzwischen am alten, dem Abbruch geweihten Standort – die Künstlerinnen und Künstler dort nehmen es mit Humor …
… und der Wahlspruch an der Fassade des Hauses stimmt immer noch tröstlich – von keiner anderen verfasst als der grossen Lyrikerin und Schriftstellerin Ingeborg Bachmann.
Und drinnen verstellt uns der tief pennende Mann in der Pförtnerloge nicht den Weg.
Aber nun zur Abschiedsausstellung, gestaltet von Professorinnen und Studierenden der Klassen für Intermedia und Fotografie (Professorinnen Alba D’Urbano und Tina Bara) der renommierten Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst HGB nebst Gästen:
VIAGGIO IN ITALIA Italienische Reise 2010 – 2012
Yukiko Terada, Exile, 2009
Yukiko Terada wurde in Osaka geboren. Von 1995 bis 1999 studierte sie Kunst und Skulptur an der University of Arts Osaka und von 2002 bis 2006 Kunst an der Universität der Künste Berlin mit den Abschlüssen Bachelor of Art und Master. Sie gewann zahlreiche Preise und Stipendien und stellte vielfach aus.
Ist da bereits ein Reisefreudiger unterwegs? Yukiko Terada kleidet das Hündchen im Partnerlook zu Frauchen / Herrchen ein, aber weit werden beide mit diesem Einkaufswagen nun wirklich nicht kommen, schon gar nicht nach Italien.
Es ist ja auch nicht mehr die Zeit der „Grand Tour“ der Künstler und Bildungsbürger des 18. und 19. Jahrhunderts nach Florenz, Rom und Tivoli, nach Pompei oder Paestum, und auch nicht die der Nachkriegs-Wirtschaftswunderbürgerinnen und -bürger an den Gardasee oder eben in das „Land, wo die Zitronen blühn“, wobei wir Johann Wolfgang Goethe genau genommen vorhalten müssten, sprachlich nicht exakt zwischen der Frucht und dem sie tragenden Baum differenziert zu haben. Nun, sei ’s drum, Hauptsache, wir sind bei Goethe. Und seiner berühmt gewordenen (ersten) Reise nach Italien. Wir sprechen von Junior Goethe, denn auch Vater Goethe hatte zuvor die Grand Tour absolviert und in italienischer Sprache seine grossartige Reisebeschreibung „Viaggio per l’Italia“ verfasst, mindestens genauso schön und spannend zu lesen wie Goethe Juniors „Italienische Reise“.
Die Künstler-Professorinnen Alba D’Urbano und Tina Bara bemächtigten sich dieses Themas in ihrer Arbeit aus dem Jahr 2012 „Grand Tour: Arbeitsreise“. Reisten sie aktuell in diesen Tagen in das Reich der Grillini und des Bunga-Bunga-Cavaliere, hätten sie vermutlich zu einer anderen Ausgabe der „Repubblica“ als Schutzumschlag für den edlen, bebilderten Band gegriffen. Auch so aber eine hintersinnige, ironische Arbeit.
Alba D’Urbano und Tina Bara, Grand Tour: Arbeitsreise, 2012
Franziska Meinert präsentiert einen Ansichtskartenständer, wie man ihn von Touristenorten her kennt. Doch ihre Postkartenansichten erweisen sich bei näherem Hinsehen als garstig.
Franziska Meinert, Cartoline, 2011 – 2012
Franziska Meinert, 1981 in Kiel geboren, studierte zunächst an der Kieler Muthesius-Hochschule freie Kunst mit Diplom-Abschluss, bevor sie an die Leipziger Hochsschule in die Klasse Intermedia wechselte; 2012 schloss sie auch dieses Studium mit dem Diplom ab. Sie stellte vielfach aus und erhielt unter anderem den HGB-Studienpreis 2010.
Die Künstlerin baut vor allem aus Pappe, Papier und Pappmaché Modelle, die sie anschliessend fotografiert. Sie thematisiert oft Fragilität, Versehrtheit und Verfall. Dabei entwickelt sie Bezüge zur Kunst- und Kulturgeschichte ebenso wie zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situationen. Schön ihre Palette „italienischer“ Farben.
Nur wenig Freude bereitet der Blick auf das „kleine Fenster“ von Heike Gallmeier, inmitten eines von Verfall und Abbruch kündenden Ambientes – von einem Zimmer wollen wir erst gar nicht reden. Das Fragment einer ihres Schlosses beraubten Tür bedarf der Stütze mittels einer Holzlatte. Povera bella Italia! Rettet, ihr Grillini! Rette, oh Cavaliere!
Heike Gallmeier, Kleines Fenster, 2010
Heike Gallmeier wurde 1972 in Berlin geboren. Sie studierte an der Akademie der Bildenden Künstle in Mainz Malerei und an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee Bildhauerei. Die Künstlerin stellt unter anderem Gemälde in räumlichen Konstruktionen, auch unter Einbeziehung ihrer eigenen Person, nach und fotografiert sie. In der aktuellen Ausstellung präsentiert sie eine beziehungsreiche Rauminstallation. In Frankfurt am Main kennt man sie von ihrer Beteiligung an der Ausstellungsreihe „New Frankfurt Internationals: Stories and Stages“ im Winter 2010/2011.
Jede Menge Tafelwasser in Billigverpackung aus dem kleinen norditalienischen Boario Terme baut Gottfried Binder in seiner Installation in einer Ecke der (natürlich abwärts führenden) Kellertreppe auf. Um das Video auf dem kleinen Monitor am Boden betrachten zu können, muss man sich – Rückenbeschwerden hin, Rückenbeschwerden her – schon um einiges hinab bücken. Ob denn wohl ein Kuraufenthalt im Themalbad des beschaulichen Örtchens Linderung verspricht? Im Video dann italienisches „Sapere vivere“ und italienische Szenerien.
Gottfried Binder, VIA, 2012
Gottfried Binder, 1979 im rumänischen Detta geboren, blickt auf eine umfangreiche akademische Ausbildung zurück: Studium der Philosophie und der neueren deutschen Literaturwissenschaft in Hagen, der Philosophie, Kunstgeschichte und Indogermanistik an der Universität Erlangen-Nürnberg, der Philosophie, Kunstgeschichte und Indologie an der Universität Leipzig mit Magister-Abschluss und schliesslich der Medienkunst an der Leipziger HGB, gefolgt von einem DAAD-Stipendium an der Accademia di belle Arti in Rom. Die kaum mehr überschaubare Zahl seiner Ausstellungen lässt auf ein ebenso unruhiges wie erfolgreiches Künstlerleben schliessen.
Über 30 Künstlerinnen und Künstler sind an der von Alba D’Urbano und Tina Bara – auf der Basis einer gemeinsamen Studienreise beider Klassen der HGB in das Gebiet zwischen Tivoli und Rom – konzipierten Ausstellung beteiligt. Im Fokus dieser Studien standen die Veränderung der Arbeitsverhältnisse und die Folgen des globalen Strukturwandels im Reisegebiet, fotografische Untersuchungen der dortigen städtebaulichen und architektonischen Substanz sowie das Thema „Grand Tour“ damals und neuzeitlicher Tourismus.
„Viaggio in Italia – Italienische Reise 2010 – 2012“, ATELIERFRANKFURT, nur noch bis 4. April 2013.
Auf ein Wiedersehen im künftigen Domizil von ATELIERFRANKFURT in der Schwedlerstrasse! (Foto: © Mara Monetti)
Abgebildete Arbeiten © jeweilige Künstlerinnen und Künstler; Fotos (ausser Gebäude Schwedlerstrasse): Erhard Metz