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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Verleihung des Gertrud-Eysoldt-Rings 2012 an Constanze Becker

„Es scheint so, als hätte diese Medea auf Constanze Becker gewartet“

Text und Fotos: Renate Feyerbacher

Dieser bedeutende, mit 10.000 Euro dotierte Theaterpreis, die höchste deutsche Auszeichnung für Schauspieler, wurde Constanze Becker am 16. März dieses Jahres in Bensheim, dem Sitz der Deutschen Akademie für Darstellende Kunst, für ihre Rolle der Medea am Schauspiel Frankfurt verliehen.

Constanze Becker bei der Preisverleihung mit Bürgermeister Thorsten Herrmann

Sie wirkt auf den Fotos immer so ernst, so streng, fast abweisend. Beim kurzen Gespräch mit ihr nach dem Festakt, beim Empfang der Stadt Bensheim, erlebte ich eine freundliche, aufgeschlossene, gar nicht abweisende Frau. Ihr Lächeln war herzlich, war echt. Eine schöne, grosse Erscheinung, eine Persönlichkeit

. Es war ein Zufall, dass sich unsere Wege in dem weitläufigen Saal des Bürgerhauses, bei einem ungeheuren Lärmpegel, kreuzten. Es schien, als sei ihr der Trubel zu viel. Sie hatte ihren kleinen Sohn auf dem Arm, mit dem sie zur Musikkapelle gehen wollte, um ihn zu beschäftigen. Ich hatte mir die Fotos der namhaften Preisträgerinnen und Preisträger angesehen, die dort hingen. Auch ihr Foto befand sich bereits in der Galerie.

Michael Thalheimer, Constanze Becker mit ihrem Sohn und Bürgermeister Thorsten Herrmann

„Es scheint so, als hätte diese Medea auf Constanze Becker gewartet“, so heisst es in der Begründung der Jury.

Die Bezeichnungen Tragödin, Heroin scheinen Becker nicht zu gefallen. In „Medea“ gibt es kein Pathos, sondern unmittelbares Spiel. Es ist beklemmend, wie Medea, diese junge Frau, die verlassen wird, die ihre Kinder aus Rachsucht tötet, eine Leidende, eine Geschundene, Opfer und Täterin, sich zur selbstbewussten Frau entwickelt. So wie sie empfindet, spielt Constanze Becker. Der Lohn für diese aussergewöhnliche Leistung ist die Einladung zum Berliner Theatertreffen in diesem Jahr.

Constanze Becker wuchs in der Nähe von Lübeck auf, wo sie am 16. Mai 1978 zur Welt kam. Sie absolvierte ein Studium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin.

Sie ist eine der vier Schülerinnen und Schüler, die sieben Jahre lang, während des gesamten Studiums, von Regisseur und Drehbuchautor Andres Veiel (Spielfilm: Wer wenn nicht wir“ von 2011, mehrfach ausgezeichnet) mit einem Filmteam begleitet wurden. Seine Langzeitdokumentation „Die Spielwütigen“ erhielt den Panorama Publikumspreis auf der Berlinale 2004 und den Preis der deutschen Filmkritik.

Engagiert war Becker zuerst in Leipzig und Düsseldorf, wo sie zum ersten Mal mit dem legendären Regisseur Jürgen Gosch (1943 bis 2009) arbeitete. Ihre erste Auszeichnung mit einem Preis erhielt sie vom Land Nordrhein-Westfalen: es war der Förderpreis als junge Künstlerin in der Sparte Theater.

Bereits 2006 wechselte sie zum Deutschen Theater Berlin, wo Jürgen Gosch sie in Anton Tschechows „Onkel Wanja“ als Jelena Andrejewna einsetzte. Für diese Interpretation wurde sie 2008 von der Zeitschrift Theater heute als Beste Schauspielerin ausgezeichnet.

Ihre erste Rolle am Deutschen Theater war jedoch die Klytaimnestra in Aischylos‘ Orestie, die 2007 zum begehrten Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. Regisseur war Michael Thalheimer, der im Laufe der Jahre zum wichtigsten Regisseur für die junge Schauspielerin wurde.

La Becker“, wie sie Laudator Thalheimer bei der Preisverleihung in Bensheim nannte, wurde beim Theatertreffen in Sarajewo als Beste Schauspielerin in dieser Rolle ausgezeichnet.

Sie war Frau John in „Die Ratten“ von Gerhart Hauptmann. Thalheimers Inszenierung erhielt den Nestroy-Theaterpreis und Constanze Becker wurde für den FAUST-Theaterpreis nominiert.

Constanze Becker, Projektion in der U-Bahn-Station Willy Brandt-Platz, 20. Mai 2012

Dann kam der Wechsel nach Frankfurt. Oliver Reese, damals Intendant und Regisseur am Deutschen Theater Berlin, wurde in der Spielzeit 2009/2010 der neue Intendant am Schauspiel Frankfurt und brachte Constanze Becker und andere grossartige Schauspielerinnen und Schauspieler aus Berlin mit.

Eröffnet wurde die neue Spielzeit mit Ödipus“ und „Antigone“ von Sophokles mit Constanze Becker als Iokaste und Antigone in der Regie von Michael Thalheimer; danach inszenierte er Medea.

Constanze Becker kann aber auch ganz anders. In dem Stück „Wir lieben und wissen nichts“ von Moritz Rinke in der Regie von Oliver Reese, das derzeit wie „Medea“ auf dem Spielplan steht, ist sie die Magdalena, Pferde-Physiotherapeutin und Ehefrau von Roman, gespielt von ihrem Ehemann Oliver Kraushaar. Zwei Ehepaare, deren Beziehung fast autistische Züge hat. Magdalena: aberwitzig, naiv, verhuscht, sich betrinkend, flirtend. Beklemmender Trubel.

Einen Tag vor der Preisverleihung in Bensheim hatte Constanze Beckers Inszenierung „Fegefeuer in Ingolstadt“ von Marieluise Fleißer (1901 bis 1974) am Schauspiel Frankfurt Premiere. Es ist ihre erste Regiearbeit. Ausgrenzung, Missachtung, Vorurteile, Selbstgerechtigkeit, Aggression und religiöser Wahn, das sind Umstände, die Schüler in eine ausweglose Situation treiben. Die Zusammenarbeit mit Frankfurter Schauspielstudenten hat eindrückliche Momente. Bedauerlich ist aber die Hektik, mit der gesprochen wird. Vieles ist genuschelt, geschrien, unverständlich und gehetzt.

Aber es ist Constanze Beckers erste Regiearbeit.

 

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