„Idomeneo“ – Dramma per musica von Wolfgang Amadeus Mozart an der Oper Frankfurt
Innere und äussere Zerissenheit – Machtkampf zwischen Vater und Sohn
Von Renate Feyerbacher
„Idomeneo“ ist Mozarts Lieblingsoper, deren Uraufführung er zwei Tage nach seinem 25. Geburtstag am 29. Januar 1781 in München dirigierte. Es war seine vierte Opernkomposition, mit der sich das Publikum jedoch nicht dauerhaft anfreunden konnte, anders dagegen mit den Opern „Zauberflöte“, „Die Hochzeit des Figaro“, „Don Giovanni“ und „Cosi fan tutte“, die er später komponierte. Der Kurfürst war jedoch überrascht von der „Magnifique Musick“, und das ist sie in der Tat. Die Erstwerke „Idomeneo“ wie „La clemenza di Tito„ gehören wie die Spätwerke zu den reifen Opern Mozarts (1756 bis 1791). Vielleicht war Idomeneo zu experimentell.
Brilliert in der Titelrolle: Roberto Saccà, Foto: Renate Feyerbacher
Für Mozartspezialistin Julia Jones, ehemals Chefdirigentin in Basel und Lissabon, heute international an allen grossen Opernhäusern und in Konzertsälen unterwegs, die das Frankfurter Opern -und Museumsorchester leitet, ist Idomeneo das komplexeste Werk des Komponisten. Sie spricht von „durchkomponiert“ – noch orientiert an französischer Barockmusik und dennoch modern.
Die Engländerin hält den Titel Idomeneo für falsch, besser wäre Mord und Totschlag. Es gibt nichts Lustiges, die Musik beziehungsweise die Arien prägen sich nicht ein, es gibt mehr Rezitative, aber grossartige Chorpartien wie in keiner anderen Mozart-Oper. Der Chor steht den Herrscher-Figuren gleichwertig gegenüber. Er ist das Volk, die rechtlose Masse, die mahnt, die fordert.
Dirigentin Julia Jones (rechts) und Elza van den Heever, Foto: Renate Feyerbacher
Mozart arbeitete immer wieder an dem Opus und veränderte es, auch mit dem Text des Salzburger Hofkaplans Gianbattista Varesco haderte er, der voller Widersprüche ist. Dieser hatte die französische Vorlage für das Libretto deutlich verändert. Der Schluss sah die Tötung von Idamante vor. In Mozarts Oper ist das Ende versöhnlich, menschlich. Aber es gibt einen Machtwechsel. In der Vorlage ist das Verhältnis zwischen Idomeneo und Ilia deutlicher, aber in der Mozart-Oper noch erkennbar. Es geht zwischen Vater und Sohn nicht nur um Macht, sondern auch um Eifersucht, um Liebe.
Juanita Lascarro (Ilia), Martin Mitterrutzner (Idamante), Roberto Saccà (Idomeneo), Elza van den Heever (Elektra) und Olaf Reinecke (Neptun), Foto: © Barbara Aumüller, Oper Frankfurt
Der trojanisch-griechische Krieg ist zu Ende und König Idomeneo ist mit seinen Schiffen auf dem Weg nach Kreta. Gott Neptun lässt das Meer wüten. Idomeneo fürchtet um sein Leben und verspricht dem Gott, ihm den ersten Menschen, den er an der Küste seines Inselstaates antrifft, zu opfern: es ist sein Sohn Idamante.
In diesen Konflikt ist die Liebesgeschichte zwischen Idamante und der trojanischen Prinzessin Ilia, der Tochter von König Priamus, eine Gefangene wie viele andere auf Kreta, verwoben. Idamante ist aber bereits verlobt mit der griechischen Königstochter Elektra, der Schwester von Orest, der seine Mutter Klytämnestra ermordete.
Elza van den Heever (Elektra), Juanita Lascarro (Ilia) und Martin Mitterrutzner (Idamante), Foto: © Barbara Aumüller, Oper Frankfurt
Eine Regieidee beim Vorspiel: Der Knabe Idamante erhält von seinem Vater Idomeneo beim Abschied ein kleines Segel-Boot. Der Vater zieht in den Krieg. Dieses kleine Boot steht auch später wieder auf dem Schreibtisch des zurückgekehrten Königs und mahnt schmerzlich.
Die Oper beginnt mit Ilias Klage über die unerfüllte Liebe, die sie dem Prinzen aber auch nicht offenbart. Aber auch Hass klingt heraus.
Dann wird bekannt, Idomeneo sei umgekommen. Das Bild des Herrschers wird entfernt und das Bild Idamantes aufgehängt. Dann kommt die Meldung: Idomeneo lebt. Die Bilder werden wieder ausgetauscht. Ein zerrissener Kriegsheld betritt die Bühne, den Verzweiflung packt, als ihm sein Sohn als erster begegnet, und den die ganze Aufführung hindurch sein Alter Ego Neptun, sein schlechtes Gewissen, in Gestalt eines Tänzers (Olaf Reinecke) als Dämon verfolgt. Ein grossartiger Regieeinfall.
Roberto Saccà (Idomeneo) und Olaf Reinecke (Neptun), Foto: © Barbara Aumüller, Oper Frankfurt
Tatsächlich ist Idomeneo bereit, seinen Sohn zu opfern, nachdem ihn Neptuns Oberpriester und das leidende Volk dazu aufgefordert haben. Das biblische Geschehen von Abraham und Isaak, der auf Geheiss Gottes den Sohn opfern soll, kommt in den Sinn. Bei Abraham hindert Gott selbst im letzten Moment die Tat. In der Oper tritt Ilia auf, die sich selbst als Opfer anbietet. Die Kraft der Liebe lässt den Gott einlenken. Eine Stimme verkündet: Idamante soll Ilia heiraten und König werden, Idomeneo seine Macht abgeben. Das Ende ist abrupt. Es war damals Karnevalszeit und nichts sollte die Stimmung trüben.
Allerdings wird die verzweifelte Elektra durch den Dämon in den Tod gezwungen. Diese Wahnsinns-Arie – gesungen von der jungen Sopranistin Elza van den Heever, der Antonia in „Hoffmanns Erzählungen“ – spengt den Raum und lässt das Publikum toben. Die südafrikanische Sängerin gehört seit Jahren zum Ensemble der Oper Frankfurt. Als Elisabetta in Donizettis Maria Stuarda gab sie vor kurzem ihr Debüt an der Metropolitan Opera New York. Für diese Rolle musste sie ihre Haare lassen, die sie bei der konzertanten Aufführung in der Alten Oper Frankfurt 2012 noch hatte.
Roberto Saccà gilt als einer der besten Tenöre. Unter Generalmusikdirektor Sebastian Weigle hat er diese Rolle bereits in Barcelona gesungen, aber auch den Sohn hat er bereits gegeben. Er kennt das Spannungsfeld zwischen Vater und Sohn. Überzeugend stellt er diese traumatisierte Persönlichkeit dar (mit Krücke, weil er sich kurz vor der Premiere eine Verletzung zuzog), und ihre Zerrissenheit meistert er stimmlich mit Bravour.
Das aus Tirol stammende Ensemble-Mitglied Martin Mitterrutzner, bereits bei den Salzburger Festspielen singend, 2007 mit 23 Jahren schon mit der Eberhard-Wächter-Medaille der Wiener Staatsoper ausgezeichnet, singt den Idamante. Eine schöne Stimme, die sich erst im Laufe des Abends steigerte. Sehr zart singt Juanita Lascarro, an der Frankfurter Oper schon seit über einem Jahrzehnt aktiv, die Rolle der Ilia. Die Kolumbianerin ist an allen grossen deutschen und europäischen Opernhäusern gefragt.
Juanita Lascarro, Foto: Renate Feyerbacher
Der amerikanische Tenor Kenneth Tarver als Arbace, Idomeneos Berater, konnte kurzfristig für Julian Prégardien einspringen, weil er diese Rolle schon in Brüssel gesungen und mit dem Barockspezialisten René Jacobs bereits auf einer CD eingespielt hat. Eine ideale, grandiose Mozart-Stimme.
Kenneth Tarver, Foto: Renate Feyerbacher
Beau Gibson, „der neue Amerikaner“, der in Europa und im Frankfurter Ensemble seinen persönlichen „American dream“ erfüllt sieht, gibt dem Oberpriester Neptuns seine ausgewogenen Tenor-Stimme.
Last not least soll Philipp Alexander Mehr erwähnt werden. Er ist die Stimme von oben in dieser Oper.
1999 sang er als Zwölfjähriger in Sir Peter Maxwell Davies (Kinder-)Oper Cinderella. Der englische Komponist hat damals zusammen mit Regisseur Frank Martin Widmaier, der den zwölfjährigen Mehr förderte, eine einmalige Inszenierung geschaffen. Johannes Debus dirigierte. Leider verschwand sie schnell aus dem Repertoire. Nach abgeschlossenem Studium in Frankfurt ist der junge Bassist Mehr nun Stipendiat in der Richard-Wagner-Stipendienstiftung und hat schon verschiedene Auftritte erfahren.
Roberto Saccà (Idomeneo), Foto: © Barbara Aumüller, Oper Frankfurt
Jan Philipp Gloger ist leitender Schauspielregisseur in Mainz. Idomeneo in Frankfurt ist seine vierte Opernregie. In einem gelungenen, spartanischen Opernbild – Bühne mit grosser Flügeltür, die geschickt immer wieder geöffnet wird und opulente Auftritte ermöglicht, aber auch Kriegsgetümmel im Hintergrund erkennen lässt – gibt es eindringliche Momente (Bühne: Franziska Bornkamm).
Eine gute Idee ist es, sich die Bühne drehen zu lassen: Zerrissenheit total, manchmal allerdings etwas zu viel der Drehungen. Ein Bruch im Bühnenbild ist die Tempelszene. Da wird ein Vorhang mit Säulen bemüht, der Oberpriester in ein mythologisches Gewand gezwängt. Ironischer Hinweis auf „barocke“ Inszenierungen? Ansonsten gefallen die Kostüme der Darsteller (Köstüme: Karin Jud). Geschickt ist die Lichtführung mit eindrucksvollen Schatten (Licht: Jan Hartmann).
Eine gute Idee ist es, Idamante als Kind und als Jüngling auftreten zu lassen. Auf dem Opferaltar liegt er als Kind. Seitens der Regie fehlt manchmal die Führung der Personen. Sie wirken auf der leeren Bühne manchmal etwas verloren: trotzdem eine interessante Inszenierung.
Der Chor, den Chordirektor Matthias Köhler einstudierte, begeistert auf und hinter der Bühne. Die technisch schwierige Musik, die Julia Jones mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester einstudierte, entflammt nicht immer total.
Weitere Aufführungen: heute, 21. März, am 24. und 30. März, am 3., 5., 19., 21., 25. und 28. April 2013, jeweils um 19 Uhr; Oper für Kinder (nach Mozarts Idomeneo) am 6., 9. und 13. April 2013