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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Grandiose Holzschnitte von Franz Gertsch im Sinclair-Haus

Altana Kulturstiftung zeigt das singuläre Werk des Schweizer Künstlers

Von Hans-Bernd Heier

Unter dem Titel „Holzschnitte. Aus der Natur gerissen“ präsentiert das Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg v.d. Höhe das völlig singuläre Holzschnittwerk von Franz Gertsch. Gertsch, Jahrgang 1930, zählt zu den bedeutendsten Schweizer Künstlern der Gegenwart. In bisher unbekannter Präzision der Ausführung hat der renommierte Maler diesem traditionellen Medium neue Dimensionen erschlossen.

Gräser I, 1999/2000, Holzschnitt auf Kumohadamashi-Japanpapier von Heizaburo Iwano, 170 x 152 cm; © Franz Gertsch; Foto: © Jochen Littkemann, Berlin; Altana Kunstsammlung

Franz Gertsch zog 1976 von der Stadt in das ländliche Rüschegg im Kanton Bern. Der Schweizer Künstler war damals bereits mit hyperrealistischen Gemälden international bekannt geworden, wie beispielsweise mit dem grossformatigen Gemälde „Johanna“, das dem Museum für Moderne Kunst MMK Frankfurt gehört und derzeit als Leihgabe in dem 2002 eröffneten Museum Franz Gertsch im schweizerischen Burgdorf zu bewundern ist.

Franz Gertsch beim Schneiden, 2006; Foto: Dominique Uldry

1986 war ein Wendepunkt im Werk von Gertsch, denn er gab für einige Jahre die Malerei auf und wandte sich dem Holzschnitt zu. Er fand in den Holzschnitten das Medium, das ihm die serielle Bearbeitung eines Motivs mit unterschiedlichen Farben ermöglicht. Eine repräsentative Auswahl dieser grandiosen Holzschnitte ist bis zum 26. Mai 2013 im spätbarocken Bürgerhaus am Bad Homburger Schloss zu sehen.

Die Ausstellung im Museum Sinclair-Haus zeigt eine repräsentative Auswahl

Seit seiner Übersiedlung auf den Rüschegg-Hügel hat sich Franz Gertsch wie kaum ein anderer Künstler seiner Generation konsequent und zeitweise fast ausschliesslich mit der Natur auseinandergesetzt. „In dieser selbst gesuchten Abgeschiedenheit seines Atelier- und Wohnhauses, einer umgewidmeten Hofstelle in der hügeligen Wiesenlandschaft, an Bächen und Waldrand gelegen, ist er seitdem aufmerksamer Beobachter des wiederkehrenden, jahreszeitlich bedingten Prozesses des Werdens und Vergehens der Natur. Gleichsam eingetaucht in die Natur, verliert er sich dabei niemals in ihrer unendlichen Vielfalt, sondern sucht stets das Singuläre, den einzigartigen Ausschnitt, und widmet sich einem einmal gefundenen Einzelmotiv in zahlreichen subtilen motivischen wie farblichen Variationen mit höchster Ausdauer und Konsequenz“, schreibt Andrea Firmenich, Geschäftsführerin der Altana Kulturstiftung, im Vorwort des ausgezeichneten Katalogbuchs.

Franz Gertsch bei der Presskonferenz, flankiert von Johannes Janssen, Kurator und Direktor des Museums Sinclair-Haus (links), und Reiner Michael Mason, Co-Kurator der Ausstellung; Foto: Gisela Heier

Albrecht Dürer: „Wahrhafftig steckt die Kunst inn der natur, wer sie heraus kann reyssen, der hat sie.“

Durch die Beschäftigung mit der Natur habe „Dürers Credo“, von seinem Vater gepredigt, als er noch ein Kind war, wieder Bedeutung erlangt, sagt Franz Gertsch. „Bei mir hiess das Herausreissen in erster Linie das Finden geeigneter Motive aus der unermesslichen Vielfalt der Natur. Ich fand sie rund ums Haus und im Tal am wilden Schwarzwasser“. Der Künstler beruft sich immer wieder von Neuem auf diese Äusserung, die auch zum Credo seines Schaffens geworden ist und sich im Titel der Schau wiederfindet. „Dabei gehen das ‚Entreissen‘ des Einzelmotivs aus der Natur und seine Umsetzung in eine künstlerische Äusserung nicht heftig, gleichsam im Affekt vor sich, sondern mit grossem Bedacht und Behutsamkeit im Atelier als einem der Natur in ihrer Unmittelbarkeit enthobenen Raum“, erläutert Firmenich.

Natascha II, 1986, Holzschnitt auf Hanga-Shi Japanpapier; 116 x 94 cm; © Franz Gertsch, Besitz des Künstlers

Natascha III, 1986, Holzschnitt auf Hanga-Shi Japanpapier; 116 x 94 cm, © Franz Gertsch, Bern, Sammlung Albrecht Gertsch

Die Porträts Natascha (1986) und Silvia (2008) bilden die chronologische Klammer der faszinierenden Ausstellung, die überwiegend grossformatige Drucke und umfangreiche Serien mit Natur- und Landschaftsdarstellungen der Jahre 1986 bis 2008 zeigt. Gertsch nimmt in den fein gearbeiteten Holzschnitten seichte Bewegungen an der Wasseroberfläche auf, lässt auf dem Papier Waldwege entstehen und lenkt den Fokus auf Gräser in Nahsicht.

Bagatelle IV – Silvia, 2008, Holzschnitt auf Kumohadamashi-Japanpapier von Heizaburo Iwano; 130 x 107 cm, © Franz Gertsch, Besitz des Künstlers

Durch fotografische Vorlagen, die Gertsch mit seiner Hasselblad-Kamera zunächst in der realen Umwelt fertigt, verwandeln sich die Motive im Laufe eines mehrstufigen Entstehungsprozesses in die beeindruckende Immaterialität eines atmosphärischen Farbraums. Dabei kommt es ihm keineswegs auf das Exzeptionelle an, sondern ihn interessieren beispielsweise die Pestwurz, die keineswegs eine Schönheit zu nennen ist, oder der normale Waldweg, der ebenfalls nichts Aussergewöhnliches ist. Ihm komme es dabei darauf an, wie Gertsch betont, dass die Fotovorlage schon eine gute Komposition beinhaltet

Bagatelle II – Pestwurz, 2002, Holzschnitt auf Kumohadamashi-Japanpapier von Heizaburo Iwano; 107 x130 cm; © Franz Gertsch, Besitz des Künstlers

Für ihn ist die Fotografie gewissermassen Ersatz für die Vorzeichnungen und Vorstudien der alten Meister. Gertsch überträgt während dieses Prozesses die Bildvorlage in ein filigranes Schema aus Lichtpunkten und treibt mit dem Hohleisen Nr.1 oder bei grösseren Einkerbungen mit dem Hohleisen Nr. 2 das Motiv Punkt für Punkt in eine Holzplatte. Diese dicht an dicht gesetzten Einkerbungen auf der Holzplatte bewirken dann beim Druck die pixelähnlichen Raster-Strukturen.

Grundsätzlich arbeitet er auf Langholz. Zunächst verwendete er Birnbaumholz; später bevorzugte er Lindenholz.

Der Druck der grossformatigen Arbeiten ist äusserst kompliziert und aufwendig. Beim Abzug werden vier bis fünf Helfer benötigt. Da der Künstler keine Zwischenproben vornimmt, ist die Spannung bei allen äusserst gross, ob das Werk gelungen ist.

Bagatelle I – Waldweg, 2002, Holzschnitt auf Kumohadamashi-Japanpapier von Heizaburo Iwano; 107 x 130 cm; © Franz Gertsch; Foto: © Jochen Littkemann, Berlin; Altana Kunstsammlung

Nach erfolgreichem Druck werden die Platten gereinigt und können anschliessend noch mal verwendet werden. Die Auflagen liegen laut Gertsch bei 18 bis 30 Abzügen. Da jedes Blatt neu eingefärbt und gedruckt werden muss, ist es eigentlich keine Auflage, sondern ein Unikat.

Der Reiz des Licht-Wasser-Spiels und monochromer Farbräume

Mit dem Werkzyklus Schwarzwasser geriet 1990 neben den Pflanzen und Landschaften das Motiv ‚Wasser‘ in den Fokus der künstlerischen Bearbeitung von Franz Gertsch. Dieses Sujet sollte den Künstler in seinen Holzschnittarbeiten für einige Jahre intensiv beschäftigen“, erläutert Johannes Janssen, Kurator und Direktor des Museums Sinclair-Haus. Bei dem geheimnisvoll klingenden Titel „Schwarzwasser“ handelt es sich um den tatsächlichen Namen eines kleinen Flusses bei Rüschegg und damit ganz in der Nähe des Wohn- und Arbeitsortes des Künstlers.

Schwarzwasser II, 1994; Triptychon, Holzschnitt auf handgeschöpftem Kinkaku-Japanpapier; 212 x 627 cm; © Franz Gertsch; Foto: © Matthias Baus, Köln; Privatsammlung, Köln

Doch was reizt Gertsch gerade an diesem unscheinbaren Flüsschen? Den besonderen Moment der Findung des Schwarzwassermotivs, das eine lang anhaltende künstlerische Bearbeitung nach sich ziehen sollte, beschreibt Gertsch in einem atmosphärischen Stimmungsbild: „An einem Novembermorgen 1990 spazierte ich mit der Kamera den Fluss entlang. Es war neblig, und es hatte den ersten Raureif. Als der Nebel sich lichtete, kam die Sonne durch, und ihre Strahlen brachten den Raureif zum Schmelzen. Tropfen und kleine Eisstückchen fielen von den Bäumen ins Wasser, und so entstand dieses Licht-Wasser-Spiel“. Dieses Naturschauspiel faszinierte den Künstler nachhaltig.

Aus dieser Beobachtung des Spiels von Licht und Wasser entwickelte sich in der Folge eine beeindruckende Serie von Holzschnitten, von denen einige in der Schau im Sinclair-Haus zu sehen sind.

Gertsch ist, wie er sagt, von monochromer Malerei begeistert. Er bewundert beispielsweise Yves Kleins Arbeiten, dennoch habe er es nie versucht. Das sollte sich mit seiner Hinwendung zum Holzschnitt ändern. „Der Holzschnitt hat es mir ab 1986 erlaubt, einen alten Traum zu verwirklichen, nämlich monochrome Farbräume zu schaffen. Ich hatte es mit der Malerei nicht zustande gebracht. Die Erfindung meines Holzschnittes hat es mir ermöglicht. Was ich immer noch sensationell finde“.

Besonders beeindruckend ist es, wenn die monochromen Sujets in unterschiedlichen farblicher Nuancierung nebeneinander zu sehen sind. Dabei können sich Stimmung, Ausstrahlung und Charakter der Bilder völlig ändern. Gertsch verwendet beim Druck überwiegend Mineralfarben, aber nicht ausschliesslich, wie der Künstler betont.

Hinter dem durchlässigen Vorhang monochromer Farbe ermöglichen seine Holzschnitte eine völlig neue Sicht auf vertraute Naturmotive. Die in Zusammenarbeit mit Franz Gertsch konzipierte Ausstellung führt in einer konzentrierten Auswahl die drei entscheidenden Werkkomponenten Zeit, Motiv und Farbe zusammen“, so Janssen.

Die Altana Kulturstiftung zeigt im Museum Sinclair-Haus Ausstellungen zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. „Die Entdeckung des Werkes von Franz Gertsch und seine Art der Annäherung an die Natur gab schliesslich die Idee, die Altana Kunstsammlung ikonografisch zu fassen und ganz dem Naturthema – Natur im Sinne von Schöpfung – zu widmen“, erläutert Geschäftsführerin Andrea Firmenich. In der stiftungseigenen Sammlung sind mittlerweile mehr als 500 höchst unterschiedliche Werke zeitgenössischer internationaler Künstler versammelt, darunter auch zwei Werke von Franz Gertsch.

„Franz Gertsch – Holzschnitte. Aus der Natur gerissen“, Altana-Kulturstiftung Museum Sinclair-Haus, Bad Homburg, bis 26. Mai 2013

 

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