Wiedereröffnung der Heussenstamm-Galerie mit Abisag Tüllmann-Preis
Zum 100. Todestag des Stifters Karl Heussenstamm und zum 100. Geburtstag der Heussenstamm-Stiftung
Rund einundeinhalb Jahre – vom Sommer 2011 bis zum Januar 2013 – war die Frankfurter Heussenstamm-Galerie wegen notwendiger Umbauarbeiten geschlossen – nun erstrahlt sie in neuem Glanz. Die Fakten können sich sehen lassen: 140 m² Galerieraum mit 124 m² Ausstellungsfläche über zwei Etagen, 49 m Hängelänge bei 4,80 m Deckenhöhe im Eingangsbereich, 17 m² Fensterfläche mit Tageslichteinfall, moderne Lichtleisten im Ober- und ein flexibles Beleuchtungssystem im Untergeschoss. Am 29. Januar 2013 feierte Galeriechefin und Stiftungsgeschäftsführerin Dagmar Priepke mit Stadträtin Professor Daniela Birkenfeld den Abschluss der Bauarbeiten. „Bauen ist“, sagte Dagmar Priepke damals, „genau wie eine Ausstellung zu realisieren. Es gibt Vorstellungen, Illusionen, Termine, Zeitdruck, Enttäuschungen, Auseinandersetzungen, Probleme, Stillstand, Geduld, Wutanfälle … und am Ende ist’s FERTIG!“ Am 19. Februar war es dann soweit: zur feierlichen Eröffnung der Galerie für das Publikum mit der Vorstellung des Abisag Tüllmann-Preises und der Ausstellung von Arbeiten der vier Preisträgerinnen und Preisträger.
Grund zu Freude: Dagmar Priepke öffnet die renovierte Galerie dem Publikum und Nathalie Mohadjer, Preisträgerin der Abisag Tüllmann-Stiftung, zeigt stolz ihre Urkunde (Foto: FeuilletonFrankfurt)
(v.l.) Dagmar Priepke, Heidi List, Vorstand der Abisag Tüllmann-Stiftung, Frederik Busch und Nathalie Mohadjer, zwei der vier Preisträger (Foto: FeuilletonFrankfurt)
Blick vom Obergeschoss der renovierten Galerie auf den Eingangsbereich (Foto: FeuilletonFrankfurt)
Die lange Umbauphase der Galerie nutzte Stiftungsgeschäftsführerin Dagmar Priepke, um zum 100. Todestag des langjährigen Frankfurter Bürgermeisters Karl Heussenstamm und zum 100. Geburtstag der von ihm begründeten Heussenstamm-Stiftung zwei hoch interessante und gut aufgemachte Publikationen vorzubereiten und herauszugeben: Zum einen erschien die „Denkschrift für Dr. jur. Karl Heussenstamm – Bürgermeister, Demokrat, Schulpolitiker und Stiftungsgründer (1835 – 1913)“, verfasst von Sabine Hock, und zum anderen die Schrift „Die verschwundenen Stiftungen – Stiftungseingliederungen in die Heussenstamm-Stiftung während und in Folge der NS-Zeit“, verfasst von Karin Görner. Beide Publikationen können unentgeltlich bei der Heussenstamm-Stiftung bezogen werden und gehören – schon jetzt als sozusagen künftige Frankofurtensien einzuordnen – in die Bibliothek eines jeden für seine Stadt engagierten Frankfurters.
Die 2008 gegründete Abisag Tüllmann-Stiftung hat ihren neuen, alle zwei Jahre auszuschreibenden und mit 10.000 Euro dotierten Preis für künstlerischen Fotojournalismus erstmals im Oktober 2011 vergeben. Mit ihm wahrt und fördert die Stiftung das Andenken an die grosse deutsche Fotografin, die 1996 in Frankfurt am Main verstarb. Mit dem Preis werden Arbeiten gewürdigt, die neben ihrer dokumentarischen Bedeutung einen künstlerischen Wert besitzen. Für den Preis 2011 hatten sich 108 Fotografinnen und Fotografen mit insgesamt 1052 Arbeiten beworben. Eine Auswahl von Arbeiten der vier Preisträgerinnen und Preisträger sind bis zum 15. März 2013 in der Galerie zu sehen.
Aus der Beurteilung der Jury und des Vorstands der Abisag Tüllmann-Stiftung:
Zwei erste Preise:
Nathalie Mohadjer
„Zwei Bier für Haiti“ zeichnet sich durch eine sinnliche Leichtigkeit aus, die beim Thema Obdachlosenheim schon auf den ersten Blick überrascht. Dies betrifft nicht nur die Form, ist doch jede Fotografie mit einem sicheren Gespür für Perspektive, Ausschnitt, Bildaufteilung, Farbe und Ausdruck gestaltet. In Kombination mit der sensiblen Wahl der Motive, vom Stillleben mit Apfel und Messer über das Portrait eines Mannes hinterm Vorhang bis hin zur Dokumentation einer Vogelbefreiung, wird dem Betrachter der Blick hinter das Sichtbare ermöglicht. Der Ort und seine Atmosphäre, die Menschen und ihre Geschichten werden ebenso greifbar wie die Persönlichkeit der in Paris lebenden Fotografin, die mit dieser Serie neue Wege im künstlerischen Fotojournalismus beschreitet.
© Nathalie Mohadjer (*1979, lebt in Paris und Weimar)
Anja Niedringhaus
Seit über dreissig Jahren berichtet Pulitzer-Preisträgerin Anja Niedringhaus aus Krisen- und Kriegsgebieten. Für internationale Nachrichtenagenturen wie EPA und AP arbeitete sie in Bosnien, dem Irak, Libyen, Syrien, Afghanistan und anderen Konfliktregionen. Dabei schuf sie eindringliche und klare Bilder, die sich gestalterisch auf höchstem Niveau bewegen, aber niemals voyeuristisch wirken. Aus ihrem Werk spricht die Verinnerlichung einer Arbeitsethik, die an die grosse amerikanische Dokumentarfotografin Dorothea Lange erinnern: „Du darfst niemanden etwas wegnehmen, weder die Persönlichkeit oder die Würde noch die Integrität.“ In den schwarzweissen Fotografien steht der Mensch im Mittelpunkt – vom afghanischen Jungen mit Spielzeug-MP auf dem Kettenkarussell bis zum Weihnachtsmann bei amerikanischen Soldaten in Kuwait.
© Anja Niedringhaus (*1965, lebt in Kaufungen und Genf), „Kabul“
Zwei Anerkennungen:
Frederik Busch
Für Neon, SZ-Magazin, Fluter und Vice ist Frederik Busch seit bald zehn Jahren immer wieder in gesellschaftlichen Randbezirken unterwegs und berichtet beispielsweise über schwule Skinheads, Transsexuelle oder Borderline-Patienten. „Wer seine Wunden zeigt, wird geheilt.“ Im Sinne dieser Aussage von Joseph Beuys erfährt Frederik Busch im Herbst 2010 durch eine persönliche Krisenerfahrung eine vorübergehende Wandlung: Er lässt sich auf eine Station für psychotherapeutische Medizin einweisen und wird so vom aussenstehenden Reporter zum mitbetroffenen, inneren Beobachter. Dort erfasst sein Blick Motive und Szenen, deren Symbolgehalt und Wirkung erst zur Geltung kommen in der ungeschönten Klarheit und Strenge der fotografischen Umsetzung.
© Frederik Busch (*1974, lebt in Karlsruhe), „Kopfball“
Enrico Fabian
Über einen Zeitraum von elf Monaten hat der in Indien und Kamenz lebende Fotograf die Umstände des Medikamenten- und Drogenmissbrauchs in Jahangirpuri / New Delhi in bewegenden Bildern festgehalten. Die Serie „Death for 50 Rupees“ macht uns zum Zeugen einer erbarmungslosen Realität: „Der Einkauf von Drogen und verschreibungspflichtigen Medikamenten ist so einfach wie der Erwerb von Hustensaft im Supermarkt.“ Für Schmuggler ist der Medikamentenhandel in Südasien ein lukratives Geschäft, viele Apotheken verkaufen ohne Rezept – mit verheerenden Folgen. „Diesem weltweit stetig wachsenden Problem und den Betroffenen wird bisher kaum Beachtung geschenkt“, sagt Enrico Fabian, für den soziale Nachhaltigkeit in seiner Arbeit eine wichtige Rolle spielt.
© Enrico Fabian (*1982, lebt in Kamenz und Neu Delhi), „Death for 50 Rupees“
(Text- und Bildnachweis für den Abschnitt „Abisag Tüllmann-Preis 2011“: © Abisag Tüllmann-Stiftung)
Derzeit läuft die Ausschreibung für den Abisag Tüllmann-Preis 2013 (Anmeldeschluss 31. Juli 2013). Die Jury wird im Herbst 2013 über die Vergabe entscheiden. Die Fotos der ausgezeichneten Fotografen werden anschliessend wiederum in der Heussenstamm-Galerie in Frankfurt am Main gezeigt.
Ausstellung „Abisag Tüllmann-Preis 2011“, Heussenstamm-Galerie, bis 15. März 2013