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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Toni Schneiders fotografische Arbeiten in den Opelvillen

Als „Augenmensch“ dicht an der Wirklichkeit geblieben

Von Hans-Bernd Heier

„Zwei, die auf Draht sind“, 1954, 50 x 70 cm; © ToniSchneiders.de

Die Opelvillen in Rüsselsheim präsentieren das fotografische Œuvre von Toni Schneiders. Die sehenswerte Ausstellung bietet mit rund 120 Schwarz-Weiss-Fotografien einen umfassenden Überblick über Schneiders’ Schaffen von 1946 bis 1990. Neben bekannten Fotografien aus der Ära der legendären Avantgardegruppe „fotoform“ werden auch weniger bekannte Spätwerke gezeigt, um das Wirken des Kamerakünstlers neu zu würdigen. Anlass zur Ausstellung gab neben der Entdeckung eines Rüsselsheimer Motivs (im Jahr 1954 fotografierte Schneiders die Gleisanlage des Bahnhofs) auch die kürzlich im Hatje Cantz Verlag erschienene Wiederauflage des Bildbandes „Toni Schneiders. Fotografie“.

Fyksesund bru im Hardanger Fjord, 1959, 60 x 80 cm; © ToniSchneiders.de

Toni Schneiders hat über gut vier Jahrzehnte lang entscheidend dazu beigetragen, die Fotografie in Deutschland nach 1945 zu erneuern und zu erweitern. Er ist bekannt geworden als Gründungsmitglied der Gruppe „fotoforum“, die sich im Jahre 1949 zusammenfand. Er gehört zweifellos zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Nachkriegsfotografie.

Weichen, Rüsselsheim, Bahnhof, 1954, 60 x 80 cm; © ToniSchneiders.de

Der Meisterfotograf arbeitete in der Tradition des „Neuen Sehens“. „Er verstand sich aber nicht nur als ’subjektiver‘ Fotograf im Spannungsfeld von Form und Gegenstand, sondern ebenso als Beobachter, als Entdecker des Realen, als Porträtist, als Reise-, Industrie- und Landschaftsfotograf“. Mit diesen Worten umreisst Beate Kemfert, Stiftungsvorstand der Opelvillen, Schneiders Arbeitsweise. Er selbst charakterisierte seine Arbeiten mit folgenden Worten: „Die Fotografie hat viele Gesichter. Für mich ist sie das ideale Medium der Dokumentation … doch ich bin kein Reporter. Mich interessiert mehr, was ich mit dem vorhandenen Licht anfangen kann, um zu meinen Bildern zu kommen. Immer wieder verwende ich viel Intention darauf, die Menschen und die kleinen und grossen Dinge ringsherum mit den Mitteln der Fotografie in eine bildhafte Form zu bringen“.

Karussell auf dem Dom, Hamburg, November 1950, 80 x 60 cm ; © ToniSchneiders.de

Für Schneiders verkörperten „fotoform“ und die „subjektive Fotografie“ mehr eine Haltung als einen Stil. Die Form war für ihn Mittel zu einer ausdrucksvolleren Aussage. „Er ist immer ein ‚Augenmensch‘, dicht an der Wirklichkeit geblieben. Ihn interessierte sein reales Gegenüber, an ihm wollte er das gestalterische Potenzial ausloten, um virtuos mit Licht und Schatten spielen zu können“, erläutert Beate Kemfert, die die beeindruckende Schau kuratiert hat.

Ein Wassertropfen, Lindau, November 1960, 70 x 50 cm; © ToniSchneiders.de 

Fokussierung und Reduktion auf wesentliche Strukturen

Der virtuose Kamerakünstler teilte mit den Kollegen von „fotoform“ – die Gruppe ging bereits 1952 auseinander – die subjektive Auswahl des Motivs, dessen Fokussierung und die Reduktion auf wesentliche Strukturen, dessen räumliche, zeitliche, plastische Isolierung und die Integration in Komposition und Textur der Bildfläche. Aber er erzeugte seine Motive nicht selbst, wie beispielsweise Otto Steinert bei seinen Drahtfiguren-Fotogrammen, und er experimentierte auch nicht mit abstrakten Formen und innovativen Techniken. Toni Schneiders ging in der Bildfindung und Bildgestaltung immer von ganz konkreten, realen Gegenständen aus, am liebsten von Motiven, die er, wie er selbst ganz einfach formulierte, „draussen“, im Leben und in der Natur fand. Er vertraute auf die Kraft des Sichtbaren. Motiv und fotografische Idee wurden erst bildwürdig, wenn sie in ihrer grundlegenden Form entdeckt und in ihren möglichen Lichtpotenzialen wahrgenommen waren, “ … denn jedes Foto ist ein Ausschnitt und ein Teil der Wahrheit“.

Mit dem Kontrabass zum Rathausplatz. Kopenhagen, Dänemark, August 1956, 70 x 50cm ; © ToniSchneiders.de

Toni Schneiders wurde 1920 in Urbar bei Koblenz geboren. Eigentlich wollte er Kunstmaler werden, entschied sich aber nach kurzer Probezeit bei einem Dekorationsmaler für eine solide Fotografenlehre, die er 1938 erfolgreich abschloss. Während der Kriegsjahre fotografierte er als Frontberichterstatter bei den Fallschirmjägern. Seine Aufnahmen, beispielsweise von der spektakulären Befreiung Mussolinis auf dem Bergmassiv des Gran Sasso, werden heute im Bundesarchiv in Koblenz aufbewahrt. 1945 flüchtete er aus russischer Kriegsgefangenschaft, geistesgegenwärtig mit einer alten Leica samt Zubehör, einer ehemaligen Dienstkamera der Luftwaffe, die ihm seinen Neuanfang als freier Fotograf wesentlich erleichterte.

Die Sonntagszeitung, Santorin, Griechenland, Mai 1961, 50 x 70 cm; © ToniSchneiders.de

Schneiders zog an den Bodensee, gründete ein Fotostudio in Meersburg. Später zog der verheiratete Fotokünstler (zwei Töchter) nach Lindau, wo er sich als Fotograf und Bildjournalist etablierte. Dort lernte er auch den Maler Julius Bissier kennen, der bei ihm Material für seine Kleinbildkamera kaufte. Mit den befreundeten Fotografen Peter Keetman, Siegfried Lauterwasser, Wolfgang Reisewitz, Ludwig Windstoßer und Otto Steinert gründete er 1949 die Gruppe „fotoform“, zu der später noch sein Freund Heinz Hajek-Halke hinzu stiess, der ebenfalls am Bodensee wohnte und Schneiders’ Dunkelkammer mitbenutzen durfte. Die Wirkung und der Einfluss der „jungen, wilden Fotografen“, die Ausstellungen und Aktivitäten der Gruppe waren in den 1950er-Jahren aufsehenerregend, prägend und vorbildhaft, im Inland genauso wie im Ausland. Zusammen mit Siegfried Lauterwasser und Wolfgang Reisewitz wurde Schneiders 1999 der Kulturpreis der DGPh, der Deutschen Gesellschaft für Photographie, verliehen. 2006 starb Schneiders mit 86 Jahren in seinem Haus in Lindau.

Zaungäste beim Fußball, Weißenthurm, August 1952, 70 x 50 cm; © ToniSchneiders.de

Schneiders war auch viel beschäftigter Reisejournalist, der schon frühzeitig exotische Länder besuchte und dort seine ungewöhnlichen Eindrücke in Bildern festhielt. Er arbeitete für renommierte Verlage. Einige seiner farbigen Bildbände sind in der Schau in Rüsselsheim zu sehen. Sie belegen das breite Spektrum dieses vielseitigen Fotokünstlers, den es wieder zu entdecken gilt.

Hochwasser am Skutarisee, Jugoslawien, März 1971, 70 x 50 cm; © ToniSchneiders.de

Unter dem Titel „Toni Schneiders. Fotografien 1946-1990“ ist das beeindruckende fotografische Werk des Kamerakünstlers bis zum 9. Juni 2013 in den Opelvillen Rüsselsheim zu sehen. Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Ergänzungsprogramm und einem Fotowettbewerb für Schüler und Jugendliche begleitet.

Bildnachweis: Opelvillen Rüsselsheim

→ Kunstführungen für Menschen mit Demenz in den Opelvillen Rüsselsheim

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