Alltägliche und seltsame Geschichten und Begebenheiten (13)
Ach, es ist Karneval, Fasching, Fastnacht, Narretei, was auch immer, da machen die schönen Künste einmal eine kleine Pause. Umso glücklicher schätzt sich FeuilletonFrankfurt, in Professor Norbert Neidich einen kongenialen Autor gefunden zu haben, der uns so trefflich und detailreich die sympathische wie lebensnahe Geschichte erzählen wird, die seinem Kollegen Professor Kronkorck widerfahren ist. Eine Geschichte angesiedelt zwischen hehrer Wissenschaftlichkeit, fürsorglicher Kulturpolitik und dem allerorten anzutreffenden Büroalltag. Und das alles ist natürlich wie immer in Fällen wie diesen
von © -habust-
Kronenkorken
von Professer Norbert Neidich
Wie ein balzender Birkhahn scharwenzelte Professer Kronkorck um seine neue, aufregende Assistentin herum. Fräulein Blök. Bertha Blök. Die ganze Nacht wollte ihm der entzückende Name der atemberaubenden Blondine, die ihm der Fachbereich unverhofft ins Dienstzimmer gespült hatte, nicht aus dem Sinn schwinden, so daß Frau Professer Kronkorck sich schon wundern mußte, warum ihr Ehegespons stundenlang im Schlaf blökte. Aber sie kam nicht dahinter.
“Käffchen, Herr Professer?”, frug Bertha Kronkorcken mit schelmischem Augenaufschlag. Spätestens jetzt hätte sie ihn dahingeschmolzen, wäre er nicht schon zuvor Wachs in ihren Händen gewesen. “Oh gern!”, raunte er und fühlte sich als der große Verführer, der er seiner Lebtag gern gewesen wäre. Sie entschwebte mit verheißungsvollem Lächeln.
Kronkorck blickte über seinen unaufgeräumten Schreibtisch, auf dem sich unkorrigierte Klausuren und ungelesene Korrekturbögen stapelten, wofern ihr wirres Lager nicht mit dem Begriff des Stapels allzu euphemistisch umschrieben wäre. Ein ungeöffnetes Schreiben des Kultusministeriums stach ihm ins Auge. Er blinzelte heftig und kramte nach dem Brieföffner, der sich, wie stets, als unauffindbar verlegt erwies und durch eine Haarnadel ersetzt werden mußte, die der Professer hastig aus seiner Hochfrisur nestelte.
Der Minister persönlich wandte sich an ihn. Kronkorck stand innerlich stramm.
“Lieber Kronkorck,” schrieb der Minister,
“mit ebensolchem Interesse wie Wohlwollen beobachte ich aus der Ferne Ihre akademische Karriere, die mich tief beeindruckt hat. Ihre wegweisenden Forschungen zur Vor- und Frühgeschichte der Hamster von Moenstatt haben nicht nur in der Fachwelt wie eine Bombe eingeschlagen. Schon Klopstock sagte … aber ich schweife ab, wie mein Staatssekretär sagen würde. Sie kennen ihn übrigens gut, es ist Ihr früherer Stud- und Assistent Kurt Ottokar Scharwenz. Kurt und gut, er hat Sie für ein Forschungsprojekt vorgeschlagen, das Sie für vier Jahre in den Moenstätter Dschungel verschlagen wird. Schlagen Sie nicht aus, sondern ein! Scharwenz meint, Sie seien frei und ungebunden und brennten geradezu darauf, Ihren jugendlichen Ungestüm und unermüdlichen Forschergeist auf diese abenteuerliche Weise zu erproben. Ich erwarte Sie zur Entgegennahme näherer Instruktionen am nächsten Montach um die Mittagsstunde. Dann können wir auch gleich was Leckeres essen, zum Beispiel den Brunchteller im Wanner’s.
Natürlich den großen!
Ihr lieber Kultusminister”
Einiges an diesem Brief erschien Kronkorcken spanisch. Von einem Kurt Ottokar Scharwenz hatte er nie gehört, und er meinte sich doch an alle Assistenten recht genau zu erinnern. Auch war er weder frei noch ungebunden, wenn er an seine kränklich-zänkische Frau, die sieben ungebärdigen und -mündigen Kinder und die drückenden Hausraten dachte. So besonders jung fühlte er sich mit seinen bald 74 Jahren auch nicht mehr, und Ungestüm wie Forschergeist hatte er noch nie an sich zu entdecken vermocht. Zudem war ihm Moenstatt fremd, daß es dort Dschungel gab, wäre ihm neu gewesen, und Studien über Hamster hatte er in seiner bisherigen Laufbahn als Altphilologe eher selten – und wenn, dann in bescheidener Qualität und in der Fachwelt nur zurückhaltend aufgenommen – gefertigt.
Aber der Brief des Ministers, der war echt. Und an ihn, Professer Kronkorck, gerichtet, daran bestand kein Zweifel. Und warum sollte er, dachte er plötzlich bei sich, eigentlich nicht den Moenstätter Hamsterbestand im dortigen Dschungel erforschen, auch wenn es vier Jahre dauern mochte? Ein schlaues Lächeln erhellte seine finsteren Züge.
“Fräulein Blök – zum Diktat bitte!”
“… und bin ich, sehr geehrter Herr Minister, selbstverständlich gern bereit, aufbauend auf meinen bisherigen Forschungen dem geheimnisvollen Treiben der Moenstätter Hamsterpopulation auf den Grund zu gehen, auch wenn mich das für Jahre von meiner Lehrtätigkeit abhalten wird. Ich erbitte mir nur eine geringe Vergünstigung: Ich würde ungern auf meine langbewährte wissenschaftliche Mitarbeiterin, Frl. Bertha Blök, verzichten und darf darum bitten, sie für die Dauer des Forschungsprojekts für eben dieses freizustellen. Und grüßen Sie Kurt Ottokar von mir. Herzlich, Ihr lieber Professer Kronkorck! Haben Sie das?”
Oh, dachte Bertha Blök bei sich, oh diese Akademiker!
Die holprige Landstraße dritter Ordnung von Grävenwiesbach nach Moenstatt erwies sich als ähnlich kurvenreich wie Bertha Blök, die einige Mühe hatte, dem jugendfrischen Fahrstil des ergrauten Professers einen hinreichend festen Griff um die stählerne Halterung der niedrigen Beifahrertür des offenen roten Jeeps entgegenzusetzen, den ihnen das Ministerium für die geplante Forschung großzügig überlassen hatte. Kronkorck gab Gummi. Verstohlen bewunderte Bertha sein männlich-kühnes Profil, in das zahllose durchgemachte und -geforschte Nächte nur geringe, zudem geschickt überschminkte Runen gegraben hatten. Sein immer noch volles Haar wehte im glutheißen Fahrtwind, als er, die letzten Kurven souverän meisternd, in den winzigen Weiler einfuhr, wo nun für die nächsten vier Jahre ihr gemeinsames Quartier und Basislager sein sollte.
Die Erinnerung an die voraufgegangenen Auseinandersetzungen mit dem Fachbereich ließen ihn grimmig lächeln und in seinen Zügen etwas Raubtierhaftes aufblitzen, das Bertha ebenso faszinierte wie ängstigte. Doch bevor sie sich ihren widerstreitenden Gefühlen hinzugeben vermochte, hatte Kronkorck den störrischen Jeep bereits mit starker Hand die Steigung zum “Bangert” hinaufgezwungen und rollte im Wendehammer aus, das Parkverbot mißachtend, wie es stets seine Art war.
“Dann wolln wir mal”, forderte er die Assistentin zum Aussteigen aus, und schon drang er, den Quartierbefehl in der Hand, die Auffahrt zum Hause Fünfbee hinauf. Ein bildhübscher, schwarzhaariger Junge trat neugierig in die Tür und schrak zusammen, als er den hochgewachsenen Professer und seine platinblonde Begleiterin, die auf dem durchbrochenen Öko-Pflaster Mühe hatte, sich auf ihren Pumps zu halten, herannahen sah.
“Ja bitte?”, frug er höflich. “Kronkorck mein Name, Professer Kronkorck!”, schnauzte dieser, “Wie heißt du?” – “Marvin”, zirpte der schon eingeschüchterte Knabe. “So”, meinte Kronkorck, “Du packst jetzt deine Sachen und verschwindest. Euer Haus ist konfisziert. Hier ist der Quartierschein vom Ministerium.” Und schon hielt er dem armen Buben eine Urkunde mit zahlreichen Stempeln unter die Nase und riß sie ihm weg, als dieser sich gerade hineinvertiefen wollte.
Wortlos drehte Marvin sich um, eilte ins Haus und knallte die Tür zu. “Ein Benehmen hat die Jugend von heute!”, erregte sich Kronkorck, “Einfach unglaublich. Zu meiner Zeit hätte es so was nie gege…” Da unterbrach ihn eine laute, befehlsgewohnte Stimme, die geradewegs vom Himmel zu kommen schien.
“Ab dafür, oder es gibt rote Ohren”, hörten sich Kronkorck und Bertha angeherrscht, und als sie verwirrt nach oben blickten, da sahen sie einen wahren Riesenkerl rübezahlgleich auf die Terrasse treten, mit einem Schießprügel in Händen, der Sam Hawkens Liddy wie eine Zwillingsschwester der anderen glich und einiges an Bedrohlichkeit verströmte, was Bertha sogleich hinter der auch nicht gerade schmalen Gestalt Kronkorcks Zuflucht suchen ließ.
“Professer … Moenstätter Hamster … Forschungsprojekt … Quartierschein …” hörte sie diesen stammeln, und schlagartig wurde ihr klar, daß der eben noch bewunderte Professer eben doch schon 74 Lenze zählte, deren Mehrzahl er am Schreibtisch verbracht hatte. Mit diesem Moenstätter Gewaltmenschen vermochte es Kronkorck nicht aufzunehmen. “Wer seid Ihr überhaupt?” wagte Kronkorck noch zu fragen, doch als ihm ein “Ich bin Fürst Rainier von Moenstatt” entgegendonnerte, da nahmen er und seine wohlgestaltete Begleiterin die Beine in die Hand und rissen aus, dieweil Rainier und sein Ziehsohn Marvin ihnen statt der eigentlich verdienten Schrotladung ein gewaltiges Gelächter hinterherschickten, das Kronkorck und Fräulein Blök bis in den Jeep und weiter nach Grävenwiesbach, Usingen und Wehrheim zu begleiten schien.
”Auch gut”, sprach Kronkorck zu Bertha. “Fahren wir eben nach Rimini.“
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