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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Der Spieler“ von Sergej S. Prokofjew in der Oper Frankfurt

Wie in einem Tollhaus

Von Renate Feyerbacher

Dieses Werk nennt sich Oper. Die Bezeichnung Melodrama wäre angebrachter.

Da gibt es keine wohlklingenden Arien, sondern Sprach-Gesänge, Dialoge, Rezitative. Nichts Belcanto-Ähnliches. Um den Roman-Stil des Schriftstellers Fjodor M. Dostojewski (1821 bis 1881) im selbst geschriebenen Libretto beizubehalten, wählte der Komponist diese aussergewöhnliche musikalische Form. Aber die hat Wucht.

Entstanden ist das Werk 1915/1916, in einer Zeit der grossen weltpolitischen Veränderungen: Rückkehr Vladimir Iljitsch Lenins 1917 aus der Emigration nach Russland. Die Herrschaft der Bolschewiki begann.

1917 stand das Stück im Programm des Petrograder Mariinski-Theaters. Die Realisation scheiterte an den Sängern, weil ihnen das Werk zu schwierig war, dann kam die Oktoberrevolution. Prokofjew arbeitete die Oper um, die Uraufführung fand schliesslich 1929 in Brüssel statt. In Russland wurde sie erstmals zehn Jahre nach des Komponisten Tod aufgeführt.

Auf der Scheibe im Vordergrund v.l.n.r. Simon Bode (2. Croupier), Anja Silja (Grossmutter; sitzend), Dietrich Volle (Potapitsch) und im Hintergrund das Ensemble sowie rechts unten stehend Clive Bayley (General a.D.); Foto: Oper Frankfurt © Monika Rittershaus

Worum geht es?

Es geht um Geld, um Erbe, um Schulden, um Verliebtheit, um Abhängigkeit, um die Existenz. Weniger geht es ums Roulettespiel. „Die Spielersituation findet im ganzen Stück zwischen den Charakteren statt“ (Regisseur Harry Kupfer im Gespräch, abgedruckt im Programmheft). Das Roulette steht symbolisch auch für die heutige Zeit.

Da sind vier Hauptpersonen, vier Charaktere: Alexej, Hauslehrer der Kinder des Generals, Polina, die Stieftochter des Generals, der General a. D. und Babuschka (Babulenka), seine reiche, alte Tante. Die beiden anderen Figuren, der Marquis und Blanche, die Geliebte des Generals, sind wichtig in der Geschichte, haben aber nur kleinere Gesangspartien. Sie, wie die anderen kurz auftretenden Personen, sind musikalisch geschickt eingesetzt, um allzu lange Monologe der vier Hauptpersonen durch kurze Einwände, Bemerkungen zu unterbrechen.

Das gibt Farbe, Monotonie kommt nicht auf. Jeder Figur hat Sergej S. Prokofjew (1891 bis 1953) charakteristische Töne geschrieben: überspannt, manchmal leidenschaftlich Alexej, kalt, frigide, frech, schillernd, nicht eindeutig greifbar Polina, grotesk, schmierig, stotternd der General, Babuschka schrill, dissonant, der Marquis hinterhältig, „eine richtige Ratte“, betrügend, täuschend Blanche. Melodiebögen werden nicht zu Ende geführt. Das Motiv des Roulettespiels, das den Lauf der Kugel hörbar macht, kehrt eindringlich immer wieder. Tänzerische Elemente lockern gelegentlich auf.

Es ist eine burleske, tragikomische Geschichte, in der die so besonnene Babuschka zur Spielerin wird und ihr gesamtes Geld verliert, dann aber zur Besinnung kommt und nach Moskau zurückkehrt. Polina wirft Alexej das Geld, das er massenhaft im Casino gewann und ihr geben will, vor die Füsse. Sie verachtet ihn. Er verfällt dem Wahnsinn. Die Pistole in der Hand fällt er zu Boden, Feuer lodert ringsum auf der Videowand. Ein überwältigender Schluss.

Dietrich Volle (Potapitsch), Anja Silja (Großmutter; sitzend), Barbara Zechmeister (Polina), Claudia Mahnke (Blanche) und Clive Bayley (General a.D.); Foto: Oper Frankfurt © Monika Rittershaus

Alexej ist der Spieler, der Polinas Geld verspielt hat, weil er nur mit eigenem Geld spielen und gewinnen könne, was ihm am Ende der Oper auch gelingt. Er sprengt die Bank von Roulettenburg. Wiesbaden und Bad Homburg reklamieren für sich diesen Begriff aus dem Roman Dostojewskis „Der Spieler“ (1867), deren Casinos der Autor des Öfteren besuchte. In 26 Tagen schrieb er den Roman, der nur geringfügige autobiographische Züge trägt. Seine Reisekasse soll er verspielt haben und brauchte Geld. Dostojewski war aber, anders als seine Hauptfigur, Gelegenheitsspieler, kein Sucht-Spieler.

Frank Van Aken am 6. Januar 2013 in „Oper extra“ am 6.1. 2013; Foto: Renate Feyerbacher

Alexej ist eine Mammutrolle, die Frank van Aken bewältigen muss. Das gelingt ihm brilliant. Wie er in Oper extra erzählt, ist er froh, dass er diese komplizierte Rolle in Deutsch singen kann. Zwei Stunden ist der niederländische Tenor, Ensemblemitglied, weltweit in bedeutenden Opernhäusern engagiert, fast ununterbrochen auf der Bühne präsent. Bis zum Schluss hält er das hohe Niveau in Gesang und Spiel.

Kammersängerin Barbara Zechmeister, vom Frankfurter Publikum seit vielen Jahren geschätzt, ist eine selbstbewusste, kalte, manchmal bösartige Polina.

Frank van Aken (Alexej) und Barbara Zechmeister (Polina); Foto: Oper Frankfurt © Monika Rittershaus

Von Anfang an dreht sich alles um die Babuschka, die reiche Tante, von der erwartet wird, dass sie stirbt, um sie zu beerben. Sie denkt nicht daran. Stattdessen betritt sie erst gegen Ende des 2. Aktes das Geschehen. Im Rollstuhl wird sie geschoben.

Anja Silja am 6. Januar 2013 in „Oper extra“; Foto: Renate Feyerbacher

Was für ein Auftritt von Anja Silja, die 1956 mit 16 Jahren ihre Bühnenlaufbahn begann. Schon ihre Erscheinung lässt ein innerliches Aaaah aufkommen – und dann ihre Stimme. Klar, realistisch singt sie diese Partie.

Begeistert wird die Trägerin des Europäischen Kulturpreises, die überall auf der Welt singt, aber auch immer wieder in Frankfurt, gefeiert. Unvergesslich ist ihre Zusammenarbeit mit Opernregisseur Wieland Wagner (1917 bis 1966), der sie mit 20 Jahren nach Bayreuth holte. 1964 gastierten die beiden an der Wiener Staatoper. Die Nacht brachte ich, wie andere, auf einem Höckerchen vor der Opernkasse zu, um einen Stehplatz zu ergattern. Es gelang.

Faszinierend ihre Ausstrahlungskraft nach wie vor.

Clive Bayley, der in der Rolle des Dosifej in Mussorgskis Chowanschtschina im Oktober an die Oper Frankfurt zurückkehrte und begeisterte, singt den General a. D., eine tragische Witzfigur. Eine grossartige Leistung. Martin Mitterrutzner singt und spielt diesen schmierigen Marquis – grandios, und Claudia Mahnke als Blanche schleimt rum und betrügt.

Frank van Aken (Alexej); Foto: Oper Frankfurt © Monika Rittershaus

Regisseur Harry Kupfer, dessen Karriere 1958 in der DDR begann, ist eine Theaterinstanz. Er ist der Regisseur der Frankfurter Erstaufführung von „Der Spieler“, deren „Kosmos“ ihn fasziniert. Mit fertigem Konzept geht er zu den Proben, ist aber jederzeit bereit, zu verändern. Es habe Spass gemacht, mit ihm zu arbeiten, sagt Frank van Aken in Oper extra. Kupfer wisse, was er wolle. Er lässt Alexej, der von den höher gestellten Adeligen und vor allem von Polina immer wieder gedemütigt wird, als selbstbewusste Figur bestehen.

Die Turbulenzen in den Szenen, das manchmal schnell geschehende Durcheinander vor allem in der Casino-Szene bleiben überschaubar. Die rotierende Scheibe (Roulettescheibe) des Bühnenbildes (Hans Schavernoch) kommt ihm dabei zu Hilfe. Interessant, aber manchmal zu viel die Video-Einspielungen (Thomas Reimer), die ablenken; sehr gelungen dagegen die Kostüme von Yan Tax.

Last not least das Frankfurter Opern- und Museums-Orchester unter seinem Generalmusikdirektor Sebastian Weigle, der diese komplizierte Partitur, diese schwierige Führung der Sängerinnen und Sänger stringent meistert.

Frank van Aken (Alexej; in der Mitte kniend) und das Ensemble Foto: Oper Frankfurt © Monika Rittershaus

Weitere Aufführungen am 20. Januar, am 15., 17. und 22. Februar jeweils um 19.30 Uhr, am 24. Februar 2013 um 15.30 Uhr (mit kostenloser Betreuung von Kindern zwischen 3 und 9 Jahren).

Am 15. Februar 2013 wird Anja Silja nach der Vorstellung bei Bernd Loebes Foyergespräch „Oper lieben“ anwesend sein.

 

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