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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ungleiche Freunde: Soma Morgenstern und Joseph Roth

„So wurde ihnen die Flucht zur Heimat“
Ausstellung in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main

Von Renate Feyerbacher

Seine Werke wurden weltberühmt, vor allem seine Romane „Hiob“ (1930) und „Radetzkymarsch“ (1934): Die Rede ist von (Moses) Joseph Roth, der 1894 im ostgalizischen Brody geboren wird. Der seinen Vater nicht kennt und als Einzelkind aufwächst. Diese Weltberühmheit als Schriftsteller erreichte der vier Jahre ältere Salomo (Soma) Morgenstern nicht, der im ostgalizischen Budzanów als jüngstes von fünf Geschwistern  geboren wird, aber in verschiedenen Ortschaften aufwächst. Damals gehörten die Geburtsorte beider Autoren zu Österreich-Ungarn, dann ab 1919 zu Polen, heute zur Ukraine.

Joseph Roth, 1926, Bildnachweis: wikimedia commons, s/a, cambridgeforecast.wordpress.com/2006/09

Soma Morgenstern liest, Fotografie 1960er Jahre, Ausstellungsansicht, Foto: Renate Feyerbacher

Im Exil-Archiv 1933 bis 1945 der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt liegt der Nachlass von Soma Morgenstern, den Professor Dan Morgenstern, sein Sohn, der Sammlung 1996 überliess. 3820 Einheiten umfasst der Bestand. Darunter sind viele Briefwechsel mit namhaften Persönlichkeiten der damaligen Zeit, unter anderem Theodor W. Adorno, Alma Mahler-Werfel, Erwin Piscator, Ernst und Karola Bloch, Lotte Klemperer, Stefan Zweig, Friedrich Torberg.

Nur ein Brief von Joseph Roth an den Freund ist erhalten, und es gibt den Erinnerungsbericht „Joseph Roths Flucht und Ende“, den Soma Morgenstern schrieb.

Roth und Morgenstern lernten sich 1912 kennen. Die Leiterin des Archivs, Sylvia Asmus, sprach mit Dan Morgenstern über eine „gewisse Distanz“ in der Freundschaft der beiden (Gespräch abgedruckt im Begleitbuch zur Ausstellung). In Morgensterns Erinnerungsbuch an den Komponisten Alban Berg (1885 bis 1935) wird dieser immer beim Vornamen genannt, in der Schrift über Joseph Roth steht das Kürzel JR. Der Sohn bestätigt den Unterschied, der im „Ton“ liege. Die Freundschaft mit Berg, der in Wien lebte, sei zwar kürzer, aber enger gewesen. Und er spricht von den Interessen der beiden: „Musik, Karl Kraus, Adolf Loos, Fussball. Und dann auch die beiden Frauen. Und dann ist es ja auch ein anderes Verhältnis wegen Roths krankem Zustand. Mit Roth wird es ja erst so eng, als mein Vater sein ‚protector‘ wird“ (S. 21).

Roths kranker Zustand: 1928 wird seine Frau Friederike psychisch krank und muss gepflegt werden. Die Kosten verschlingen sein Vermögen. Langsam wird er zum Alkoholiker. Ab 1933 darf er als Jude und ideologischer Gegner nicht mehr publizieren, er geht im gleichen Jahr ins Exil nach Paris, wo er am 27. Mai 1939 stirbt.

Gemeinsamkeiten der Freunde sind Galizien, die Prägung durch das Judentum, das Schreiben in deutscher Sprache, die Emigration und somit der Verlust des Sprachraums. Soma Morgenstern schrieb in den USA, dass er sich als ein Schriftsteller ohne Sprache fühle: „Ich habe mich in die Deutschen so verhasst , dass ich auch die deutsche Sprache nicht lieben kann. Und ein Schriftsteller, der seine Sprache nicht liebt, hat keine Sprache“ (zitiert aus Begleitbuch – SM Kritiken S. 648). Dennoch schrieb er in den USA, wohin er nach dem Exil in Frankreich (1939 bis 1941) flüchtete und wo er bis zu seinem Tod am 17. April 1976 in New York lebte, weiter in deutscher Sprache.

In Paris haben sich die Freunde Roth und Morgenstern wieder getroffen, wo sich im Café Le Tournon, im Erdgeschoss des Hôtel de la Poste, Emigranten trafen.

Roth engagierte sich in der Flüchtlingshilfe. Wichtiger als das Schreiben war ihm das Engagement, „dass die Menschen zu essen haben“ (S. 92).

Weitere Gemeinsamkeiten: Beide studierten Jura, Morgenstern promovierte, übte den Beruf aber nie aus, beide waren Soldat im 1. Weltkrieg, beide arbeiteten als Journalisten.

Wirken und Leben – Joseph Roth

Roth schrieb ab 1919 für die Wiener, Berliner und Prager Zeitungen und Zeitschriften, ab 1924 für die „Frankfurter Zeitung“, wo er zu Benno Reifenberg, dem Chef des Feuilletons, ein enges, aber kritisches und nicht konfliktfreies Verhältnis hatte.

Ein Jahr zuvor veröffentlichte er seinen ersten Roman „Das Spinnennetz“.

1926 ist er Reiseberichterstatter in der Sowjetunion. Es folgen die Romane „Hiob“ und „Radetzkymarsch“, im Exil unter anderem „Die Kapuzinergruft“ und Erzählungen wie „Die Legende vom heiligen Trinker“, die er kurz vor seinem Tod vollendete und die autobiographische Züge enthält, wie sie auch in seinen Romanen zu erkennen sind.

Joseph Roth: Radetzkymarsch. Roman. Erstausgabe. Verlagsumschlag in Klarsichtfolie eingelegt; Foto © H.-P.Haack, Antiquariat Dr. Haack, Privatbesitz: wikimedia commons cc

Joseph Roth hat schon sehr früh vor der nationalsozialistischen Bedrohung gewarnt und dagegen angeschrieben. Er wurde nicht gehört. Erschreckend ist, dass in den Jahren 1922/1923 vielmehr bedeutende Familien aus dem kulturellen Bereich (die Wagners, die Bruckmanns, die Hanfstaengls, die Bechsteins und viele Adelige) die rechte Szene und den jungen Adolf Hitler unterstützten.

Die Machenschaften rechtsradikaler Organisationen in Berlin und München nach dem 1. Weltkrieg, die Zwischenkriegszeit sind Thema im Roman „Spinnennetz“, den Joseph Roth in der Wiener Arbeiter-Zeitung (1923) in Fortsetzung erstveröffentlichte. Wenige Tage nach der letzten Folge putschte Hitler zusammen mit General Erich Ludendorff, der sich im 1. Weltkrieg grosses Ansehen erworben hatte und sich später einer antisemitischen Bewegung angeschlossen hatte, am 8./9. November 1923 in München. Leutnant  Theodor Lohse, die Zentralfigur in Roths Roman, schliesst sich einer rechtsradikalen Organisation an, aus Hass auf die Juden, aus Mangel an sozialer und gesellschaftlicher Teilhabe und Anerkennung. Er betätigt sich als Spitzel, wird in einen Mord verstrickt, ist an der Niederschlagung von Arbeiterdemonstrationen beteiligt.

Wirken und Leben – Soma Morgenstern

Soma Morgenstern schreibt zunächst Theaterstücke, lernt viele Künstler kennen, unter anderem Robert Musil und Alban Berg; er arbeitet seit 1926 als Journalist in Berlin und ab 1927 auch für die „Frankfurter Zeitung“, an die er durch Protektion gelangte: Die Mutter von Morgensterns Freundin und späterer Frau vermittelte ihn an den Herausgeber Heinrich Simon (1880 bis 1941), ihren Bruder. Zunächst musste Morgenstern in der Redaktion in Frankfurt arbeiten, ein Jahr später übersiedelte er nach Wien, wo er bis 1934 Kulturkorrespondent war.

Soma Morgensterns Récépissé de demande de carte d’identité, 1.4.1938; Bildnachweis: © Deutsche Nationalbibliothek

Der Konkurrenzdruck im Feuilleton der Zeitung muss gross gewesen sein, wie zwei Briefe Morgensterns an Siegfried Kracauer (1889 bis 1966), ebenfalls Redakteur im Feuilleton, belegen. Aus einem geht hervor, dass er sich täglich mit Joseph Roth traf, dem er riet, sich von seiner mittlerweile wieder gesunden Frau zu trennen: „… wenn Gott unseren Freund von seiner Frau erlösen möchte! … Ich fürchte, dass er Schaden nehmen wird, der liebe Roth, der es mit seiner Pflicht zu gut meint“ (Brief vom 27. Juli 1928, zitiert nach Begleitbuch S. 59).

Joseph Roth (links), Zeichnung von Benno Reifenberg, 1926; Soma Morgenstern (rechts), Fotografie: W. Debschitz-Kunowski, Berlin 1927; Ausstellungsansicht, Foto: Renate Feyerbacher

Sowohl Morgenstern als auch Roth haderten mit der „Frankfurter Zeitung“, vor allem Roth intervenierte oft wegen des Freundes. Roth kritisierte die scharfe Trennung von Politik und Feuilleton. So hatten seine politisch motivierten Kulturberichte keine Wirkung. „Ich werde durch die F. Z. geradezu unterdrückt. In jedem Blatt stünde ich oben und unten“, schreibt Roth Ende Juli oder Anfang August 1928 an Benno Reifenberg und attackiert heftig Heinrich Simons Weltanschauung.

1935 erscheint im Berliner Erich Reiss-Verlag, der nur für jüdische Käufer verlegen durfte, Soma Morgensterns erster Roman „Der Sohn des verlorenen Sohnes“, der erste Teil der Trilogie „Funken im Abgrund“. Thema ist die Situation gläubiger Juden aus dem ländlichen Ostgalizien, die nach den überstandenen Grausamkeiten des 1. Weltkriegs mit den Problemen der neuen Zeit nicht fertig werden und von den Siedlungsplänen in Palästina erfahren.

Robert Musil und Stefan Zweig, die Morgenstern an den Verleger Reiss vermittelt hatten, lobten das Werk. Das Buch wurde ein Verkaufserfolg. Joseph Roth lobte das Buch des Freundes Morgenstern: „In meinen Büchern übersetze ich die Juden für den Leser. Du gibst sie im Original“ (zitiert nach Morgensterns Aussage – Begleitbuch S. 83).

Erst nach dem Krieg erschienen die beiden anderen Teile der Trilogie in englischer Übersetzung. Die Gräuel, der Verlust von Mutter, Schwester und Bruder in deutschen KZ’s, die Ermordung von Millionen Juden hatten zu einer Schreibblockade geführt. An dem Totenbuch „The Third Pillar /Die Blutsäule“ (1955 in englischer Übersetzung, 1964 auf deutsch) arbeitete Morgenstern über Jahre.

Dem Herausgeber Ingolf Schulte gelang es in den 1990er Jahren, das literarische Schaffen Soma Morgensterns durch eine Werkausgabe im Klampen-Verlag Lüneburg dem Vergessen zu entreissen. Der Ausstellung in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt wiederum gelingt es, mit 250 Dokumenten – Briefen, Handschriften, Tagebüchern, Zeitungen, Büchern, Grafiken und Fotografien – das Interesse für Morgenstern und Roth zu wecken beziehungsweise zu vertiefen.

Joseph Roth (Mitte) und Soma Morgenstern (rechts) mit dem Besucher Herrn Zilz, im Café Le Tournon, Paris; Bildnachweis: © Deutsche Nationalbibliothek

Literatur: Begleitbuch „So wurde ihnen die Flucht zur Heimat“ – Soma Morgenstern und Joseph Roth.Eine Freundschaft; von Sylvia Asmus (Hrg.), Heinz Lunzer, Victoria Lunzer-Talos; Weidle Verlag 2012

Ausstellung des Deutschen Exilarchivs „So wurde ihnen die Flucht zur Heimat“ – Soma Morgenstern und Joseph Roth. Eine Freundschaft; Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt am Main, bis 19. Januar 2013

 

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