Ästhetik der Natur: Dietmar Buchelts Sicht auf Tierschädel
„Inspiration Cranium“ im Museum Wiesbaden
von Hans-Bernd Heier
Canis (Hund); © 2012 Dietmar Buchelt
Menschen, die gebannt auf Schädel, Sinnbilder der Vergänglichkeit des Lebens, schauen, über Schädel schreiben oder Schädel fotografieren, sind weit weniger selten als gemeinhin angenommen. Die faszinierenden Ergebnisse des letztgenannten Beispiels sind aktuell in der naturhistorischen Abteilung im Museum Wiesbaden zu sehen. Der Fotograf Dietmar Buchelt zeigt im Steinsaal unter dem Titel „Inspiration Cranium“ (Inspiration Tierschädel) seine ganz eigene Sicht auf Tierschädel und das, was bleibt. Die beeindruckende Schau, die noch bis zum 6. Januar 2013 zu sehen ist, zeigt, wie unterschiedlich Schädel anmuten können.
Porcus (Hausschwein); © 2012 Dietmar Buchelt; Fotografie eines Schädels der Schädelsammlung der Naturhistorischen Abteilung im Museum Wiesbaden
In seinen Fotowerken gelingt es Dietmar Buchelt – bei vollständigem Verzicht auf die Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung – aus den blanken Schädeln „mehr“ hervorzulocken: Er dokumentiert mit Hilfe von Licht und Schatten nicht nur Struktur und Form, Innen und Aussen der Schädel, sondern bringt mit seiner Fotografie auch eine ungeahnte Dynamik zum Vorschein. Durch unterschiedliche Verfremdungsvorgänge werden völlig neue Form- und Bedeutungsebenen erschlossen. Plötzlich wirken Knochenstrukturen wie feine, fliessende Stoffe; feinste Risse im Knochen erscheinen metallisch, der Schädel mutiert zum Flügel, zum Helm, offenbart Leichtes oder auch Bedrohliches.
Katze; © 2012 Dietmar Buchelt
Das Faszinosum Tierschädel setzt immer wieder neue Sichtweisen, Gestaltungsvorgänge und Interpretationen frei. Die expressiven Fotografien erlauben dem Betrachter, in den Exponaten der wissenschaftlichen Schädelsammlung viel mehr zu entdecken als nur den Schädel eines Tieres, der sozusagen schweigend ins Nichts starrt.
Um diese Effekte zu erzielen, verändert der Lichtbildner die Tierschädel. Er umwickelt sie mit weißer Folie oder unterlegt farbige Folien, collagiert sie mit Stofffragmenten und verfremdet sie durch die Beleuchtung. Dabei setzt der kreative Wiesbadener Licht und Schatten so ein, dass die weissen Schädel häufig zu schwarzen skulpturalen Gebilden mutieren und die Augenhöhlen zu leuchten beginnen. So wirken sie fast poetisch.
Aper (Wildschwein) verfremdet; © 2012 Dietmar Buchelt
„Doch nicht nur das Licht, gerade die Inszenierung seiner Modelle, die verschiedenen Drapierungen, Collagierungen und Positionierungen im Raum zeigen die Nähe zum Bildner. Aber im Unterschied zum Bildner schweben Buchelts Darstellungen im unendlichen Raum, frontal ansichtig in die Plastizität und in die Fläche gebannt. Diese ‚Ikonen im Reinraum‘ erschliessen nicht nur völlig neue Schönheiten, die verstören, aber immer faszinieren. So entwickelt sich die Bildmagie auf höchst eindringliche Weise“, erläuterte der Bildhauer Professor Thomas Duttenhoefer in seiner Eröffnungsansprache. „Die meisterliche Beherrschung der technischen Mittel ist die unabdingbare Voraussetzung, um zu solchen Lösungen zu gelangen“.
Vitrine mit Tierschädeln; Foto: Hans-Bernd Heier
Der Diplom-Designer und Fotograf Dietmar Buchelt, 1948 in Gera geboren, ist von Jugend an von der Thematik fasziniert, seit er beim Spielen einen Tierschädel und Knochen eines kleinen Tieres entdeckte. Als er im Rahmen eines Kundenauftrags mit den Naturhistorischen Sammlungen im Museum Wiesbaden in Kontakt kam, war er von der Vielfalt der Kollektion begeistert. Die naturhistorische Abteilung, die zu den grössten naturkundlichen Sammlungen in Deutschland gehört und nach grundlegender Neugestaltung, so Kurator Fritz Geller-Grimm, im Mai nächsten Jahres wieder ihre Pforten für das Publikum öffnet, beherbergt rund 1000 Tierschädel.
Aper (Wildschwein); © 2012 Dietmar Buchelt
Von den unterschiedlichen Formen und Strukturen der realen Objekte liess sich Buchelt bei seinen Fotokunstwerken inspirieren. Seit eineinhalb Jahren hat er Hunderte von Aufnahmen gemacht – eine Auswahl der verfremdeten Fotoexponate ist jetzt im Wiesbadener Museum zu bewundern. Doch das Thema lässt den Bildner mit Licht nicht los, er will, wie er sagt, weiter daran arbeiten.
Crocodilus (Krokodil); © 2012 Dietmar Buchelt
Schädel, speziell menschliche Totenschädel, spielten in der bildenden Kunst schon immer eine bedeutende Rolle. Insbesondere in den Vanitas-Stillleben (Vanitas [lat.] bedeutet „Eitelkeit“ und ist gleichzusetzen mit „wertlos“ oder „vergänglich“) symbolisieren sie die Vergänglichkeit der irdischen Existenz und Endlichkeit des Lebens. Vanitas-Darstellungen waren besonders in Stillleben des Barocks stark verbreitet.
Mit „Inspiration Cranium“ regt auch Buchelt zur Hinterfragung unserer Existenz an.
Inspiration Cranium, Museum Wiesbaden, bis 6. Januar 2013.