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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Deutscher Fairness-Preis 2012 für Sarah Wiener

Fairness-Initiativpreis 2012 für Finance Watch

Text und Fotos: Renate Feyerbacher

Im Jahr 2000 wurde die Fairness-Stiftung gemeinnützige GmbH mit Sitz in Oberursel gegründet. Sie erarbeitet mit Führungskräften professionelle Fairnesskompetenz. Elemente fairer Organisation sind zum Beispiel: transparente Strukturen und Regeln, Kooperation und offene Kommunikation, Entschiedenheit in der Führung, Übereinstimmung von Mitarbeiterschaft und Führung, Mitarbeiter fordern und fördern. In der Fairness-Akademie werden zertifizierte Trainer und Coaches ausgebildet. Die Stiftung verleiht jährlich den Deutschen Fairness-Preis und den Fairness-Initiativpreis.

Der Theologe Professor Hans Küng schrieb 2004 im Jahrbuch der Stiftung: „Jede Unternehmungsführung sollte darauf hinwirken, dass die Frage des Ethos, die bei ihren Führungskräften oft nur latent und diffus vorhanden ist, bewusst reflektiert wird“.

Der Deutsche Fairness-Preis wurde erstmalig 2001 an namhafte Persönlichkeiten verliehen. Nach Gertrud Höhler und den weiblichen Mitgliedern der Familie Leibinger (Trumpf Group, ein weltweit führendes Unternehmen für Fertigungs- und Medizintechnik), die den Preis 2002 bzw. 2006 erhielten, ist Sarah Wiener die dritte Frau, die mit dem Preis ausgezeichnet wurde. Selbst diejenigen, die sich keine Kochshows im Fernsehen ansehen, kennen sie.

Die in Westfalen geborene, in Wien aufgewachsene Unternehmerin, Fernsehköchin, Buchautorin, Stifterin und mittlerweile Botschafterin der UN-Dekade Biologische Vielfalt verliess mit 17 Jahren die Schule, trampte durch Europa, kellnerte, hat keinen Schulabschluss und keine Berufsausbildung und lebte zeitweilig von Sozialhilfe. Aber sie konnte kochen und backen. Sie kochte für die Belegschaft einer Werbeagentur und einmal für den Berliner Maler Bernd Koberling. Anwesend bei diesem Abendessen war die britische Filmschauspielerin Tilda Swinton, die damals, Ende der 1980er Jahre, am Anfang ihrer Filmkarriere stand. Sie engagierte Sarah Wiener für das Catering ihres nächsten Films. Heute ist die „Anti“-Filmdiva Besitzerin vieler internationaler Filmpreise, u. a. des Oscars, und Sarah Wieners Aufstieg begann.

Aus Berlin, wo Sarah Wiener die Restaurants „Das Speisezimmer“, das „Kaffeehaus“ im Museum für Kommunikation sowie das Restaurant im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart betreibt, waren 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihres Unternehmens an den Veranstaltungsort, den Festsaal der Frankfurter Industrie- und Handelskammer, angereist. Manche waren mitten in der Nacht aufgebrochen. Sie alle wurden von Sarah Wiener auf die Bühne geholt und einzeln herzlich beglückwünscht. In ihrer Dankesrede betonte sie, dass der Preis ihrem gesamten Team gebühre.

Eva Luise Köhler und Sarah Wiener

Die Laudatio auf die Preisträgerin hielt Eva Luise Köhler, die Frau des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Sie betonte den fairen Umgang Sarah Wieners mit den 160 Mitarbeitern, das Engagement für Kinder und den verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen dieser Erde. „Etwas tun, auch wenn die ganze Welt etwas anderes tut“, sei ihr Motto.

Die Fröhlichkeit, Gelassenheit und Offenheit der Preisträgerin, die für jeden zum Gespräch bereit war, übertrug sich auf die Stimmung der Veranstaltung, die von dem Saxophon-Quartett „Ait-Omar“ zunächst kubanisch-südamerikanisch eröffnet wurde.

Der Fairness-Initiativpreis wird seit 2010 verliehen. Mit ihm werden Organisationen oder Gruppen des 21. Jahrhunderts ausgezeichnet, „die entschlossen, tatkräftig und wirksam in ausgesuchten Themenfeldern Fairness-Praxis initiieren und fördern. Durch die Auszeichnung der Arbeit dieser Organisationen soll die Fairness-Qualität in den für den Einzelnen wie für die Gesellschaft relevanten Anwendungsbereichen angeregt, gesteigert und weiterentwickelt werden“. Im ersten Jahr ging er an die drei Organisationen Abgeordnetenwatch, Foodwatch und „Irrsinnig Menschlich“, in 2011 erhielt ihn Lobby Control.

In diesem Jahr ging der Fairness-Initiativpreis an den gemeinnützigen, internationalen Verein Finance Watch, der „bei der Reform der Finanzregulierung ein Gegengewicht zur Lobby der Finanzbranche und ihrer privaten Interessen sein“ will. „Als Bürgeranwalt will er gegenüber dem Gesetzgeber das Gemeinwohlinteresse öffentlich vertreten. Die Fairness-Stiftung sieht darin einen überfälligen und notwendigen Beitrag zur Fairness-Qualität der Finanzinstitute und ihrer politischen Regulierung“ (Mitteilung der Stiftung).

Zum Verein gehören qualifizierte Einzelmitglieder, Experten für Reformen des Finanzwesens, Wissenschaftler oder ehemalige Führungsleute der Finanzbranche oder Organisationen, zum Beispiel Transparency International, Verbraucherschutzorganisationen, Kleinanlegerverbände, Wohnungsgenossenschaften, Gewerkschaften, NGO’s (Non Profit Organisations) und ähnliche Institutionen. Geleitet wird er von einem kleinen professionellen Team: unter anderem von Generalsekretär Thierry Philipponnat, einem ehemaligen Investmentbanker und seit 2006 bei Amnesty International aktiv. Zusammen mit Wolfgang Köhler, Vorstandsmitglied der Organisation, freiberuflicher Journalist und Buchautor, nahm er den Preis entgegen.

Thierry Philipponnat und Wolfgang Köhler

Die Idee zur Gründung von Finance Watch kam 2010 von einer Gruppe von 22 Europaabgeordneten. Die Parlamentarier sahen sich, seit der Finanzkrise mit immer mehr technischen Gesetzen zur Regulierung der Finanzmärkte befasst, mit Kontaktanfragen von Repräsentanten der Finanzindustrie regelrecht überschwemmt. Sie waren besorgt über die Unausgewogenheit, die durch Lobbies entstehen könne, und riefen parteiübergreifend dazu auf, ein Gegengewicht zu schaffen. Diesem Aufruf folgten in Brüssel schliesslich 160 Abgeordnete und gewählte Repräsentanten verschiedener Parteien  und EU-Mitgliedstaaten.

Finance Watch wurde am 28. April 2011 als internationaler, gemeinnütziger Verein nach belgischem Recht eingetragen; am 30. Juni fand die Gründungsmitgliederversammlung statt, die den Vorstand und den Generalsekretär wählte.

Es ist zu hoffen, dass die Gesetzgeber nicht mehr konkurrenzlos dem Einfluss der Finanzlobby ausgesetzt sind, sondern dass die Gesellschaft und die Bürger durch Finance Watch mehr Mitsprache erhalten. Die Kontrolle der Finanzmärkte ist eine schon seit langem überfällige Aufgabe.

→  Deutscher Fairness-Preis und Initiativpreis 2013 an Detlef Flintz und Joblinge e.V.

 

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