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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Burano

Wo der Herrgott seinen Farbkasten ausgeschüttet hat

Von weitem schon fällt er in der Lagune von Venedig auf, der Campanile von San Martino Vescovo auf der Insel Burano. Lediglich etwa 1,80 Meter soll er überhängen, so wurde uns gesagt, angesichts der Schräglage möchten wir es kaum glauben – ein Klacks gegen den Schiefen Turm von Pisa, dessen Überhang von früher über 5 Metern mittlerweile auf unter 4 Meter zurückgeführt werden konnte. Auf Burano regt sich keiner der rund 2700 Einwohner (zur Zeit der Republik Venedig waren es einmal über 8000) darüber auf, und überhaupt gehören schiefe Türme zu Italien wie Pasta und Pizza. Auch hierzulande trifft man ja eine Vielzahl solcher bemerkenswerter Bauten an – als ein markantes Beispiel mag der Kirchtum im thüringischen Bad Frankenhausen stehen mit schon eher besorgniserregenden rund 4,60 Abweichung aus dem Lot, was Touristen dazu ermuntert, sich just unter den Überhang zu begeben und den Blick nach oben mit kribbelnder Angst-Lust zu geniessen.

Doch zurück zu Burano, der kleinen, weniger als 700 Meter langen und 450 Meter breiten, von schmalen Kanälen durchzogenen Insel, wo es auf besondere Weise kunterbunt zugeht. Gut, bunte Häuser findet man auch anderenorts in der Lagune, etwa wenn man zwischen Chioggia und dem Lido an Pallestrina entlangschippert, aber bei weitem nicht so zahlreich wie auf Burano. Ein bunter Bilderbogen öffnet sich uns, ein auch bei bedecktem Himmel farbenprächtiger Strauss an meist kleinen, nur zweigeschossigen, dicht aneinandergedrängten Häuschen, wie sonst kaum noch irgendwo.

Besonders gefallen uns die Farben im breiten Spektrum zwischen Braun, Terracotta und Rot, vor allem das typische Venezianischbraun, aber auch die verschiedenen Blaustufungen zwischen Dunkel- und Azurblau, Cyan- und Lichtblau, wenn auch manche Anstriche etwas knallig daherkommen. Rot findet man seltener, manchmal ein Violett bis Lila.

Vom farbenträchtigen Treiben geht bei – der Luftfeuchtigkeit geschuldetem – diffusem Licht der Blick von Burano weit über die Lagune auf das ferne Memento mori der Toteninsel San Michele mit ihren hunderten in den Himmel ragender Zypressen. Und doch scheint es eine gewisse Stimmigkeit zu geben in dieser eigentümlichen wie einzigartigen, auch bei Sonnenschein immer etwas schwermütigen Welt, ein stillschweigendes Einverständnis zwischen all der kleinen, aufbegehrenden Buntheit des Menschenwerks und dem ruhigen, doch immer die Bedrohung in sich bergenden, grausilbrigen Meer.

Neben der Fischerei, die noch heute von Bedeutung ist, haben seit dem 16. Jahrhundert die Buraner Nadel-Spitzen Ruhm erlangt – einst die feinsten Spitzen in ganz Europa. Noch heute gibt es sie, und sie behaupten sich – wie auch das wirkliche Murano-Glas – immer noch gegen den massenhaften wertlosen Maschinen-Ramsch aus Südostasien, der natürlich den grössten Teil der auf Tourismus ausgerichteten Geschäfte überschwemmt. Aber die Scuola di Merletti hält dieses grossartige Kunsthandwerk auf Burano noch am Leben.

Nadel-Spitzen-Arbeit zum Zuschauen – vor der Chiesa San Martino Vescovo; natürlich will das Hündchen dicht bei Frauchen sitzen, die Kunsthandwerkerin möchte aber ansonsten nicht gestört werden.

Wäsche hängt man zum Trocknen einfach auf die Strasse – nicht der Touristen wegen, so glauben wir, sondern weil es schnell geht und zweckmässig erscheint, jedenfalls bei nicht allzu hoher Luftfeuchtigkeit. Dass es dazu noch hübsch pittoresk ausschaut und uns Nordlichtern ein Stück der von vielen so geschätzten südländischen Leichtigkeit des Lebens suggeriert, mag ein willkommener Nebeneffekt sein.

Oder sollte – so will es nicht aufhören uns durch den Kopf zu schwirren – vielleicht doch am Ende die Frankfurter Künstlerin Christiana Protto wie einst zwischen den Bäumen des Bertramshofs hier einiges aus ihrem kunstgegenständlichen Wäschevorrat aufgehängt haben?

Fotos: FeuilletonFrankfurt

 

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