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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Goldene Bretagne

Von Ulrike Knapp

Wer glaubt, die Bretagne sei schroff, wild und regnerisch, der unterschätzt diese Region. Wer schon einmal dort war, der weiss die unterschiedlichen Landschaften, die schönen, blühenden Küstenabschnitte und Sandstrände zu schätzen, die vielen Leuchttürme, die rosa Granitküste, die Wälder im Hinterland, die vielen Kanäle, die kleinen Inseln und natürlich das gute Essen.

Bildnachweis: TUBS/wikimedia commons GFDL

Ich sprach mit Christine Lange von Atout France, der französischen Zentrale für Tourismus in Frankfurt. Christine Lange kennt die Bretagne sehr genau, und deshalb wollte ich von ihr wissen, was sie besonders schätzt an dieser Landschaft.

Lange: Mir gefällt besonders die Vielfältigkeit der Region. In der nordwestlichsten Ecke rund um Brest, also im Finistère, kann man schon die verschiedensten Landschaften sehen. Es gibt zum einen die Landspitze Saint-Mathieu und die Halbinsel Crozon, die eine ganz wilde, felsige Küste haben mit vorgelagerten Felsen und kleinen Inseln. Hier gibt es gefährliche Strömungen. Es ist windig und schroff, und in früheren Zeiten sind so manche Schiffe verunglückt. Wenn man dann nördlich die Küste entlang fährt, kommt man nach Carantec oder nach Locquirec, wo viele weisse Strände sind, wo Palmen wachsen, die Wiesen grün sind und überall riesige Hortensienbüsche blühen. Fährt man dann ein Stück weiter südlich ins Landesinnere, kommt man zu den Monts d‘Arrée. Da ist die Landschaft wieder ganz anders. Man sieht Hügel (der höchste ist 384 m hoch) und wilde Heidelandschaften. Gerade im Morgengrauen, wenn alles noch neblig ist, wirkt die Landschaft ganz mysteriös, weshalb sich auch viele Mythen um die Monts d‘Arrée ranken. Kurz: in drei Stunden Fahrtzeit hat man drei komplett unterschiedliche Landschaften gesehen, und das ist für mich einzigartig in der Bretagne.

In den Monts d‘Arrée werden verschiedene Wanderungen angeboten, unter anderem von Youenn, einem Vollblut Bretonen, der in der Gegend aufgewachsen ist und sie wie seine Westentasche kennt.

Es gibt eine Wanderung zum Thema Märchen und Legenden, bei der man durch die Hügel wandert und Youenn viele Legenden erzählt von kleinen Kobolden, die hier leben sollen und Ähren in Gold verwandeln. Auch der Tod soll hier Ausschau halten nach seinem nächsten Opfer. Sogar für kleine Kinder gibt es gibt es eine Wanderung, die von einem Puppenspieler und einer Sängerin begleitet wird, die Lieder rund um die Legenden singt. Es gibt auch Goldwäsche-Wanderungen, denn der Boden ist sehr mineralienhaltig, das heisst, es gibt Gold, Silber, Blei mit Silber versetzt, und auch das härteste Gestein der Welt kommt vor, das sich über die Jahre aus Quarz und Silizium gebildet hat.

Die schönste Wanderung für mich ist die Wanderung im Morgengrauen. Man zieht früh um 7 oder 8 Uhr los und sieht die Monts d‘Arrée zuerst im Halbdunkel voller Nebel. Und je weiter man läuft, umso mehr lichtet sich der Nebel und man befindet sich in einer Landschaft, die man vorher nicht erahnt hätte. Es ist sehr auf- und anregend. Bei klarer Sicht kann man sogar das Meer in der Bucht von Morlaix in der Ferne glitzern sehen.

  Saint-Malo; Foto: Jacqueline Piriou
  Pointe Saint-Mathieu; Foto: Pierre Torset

Knapp: Nun ein anderes Thema, das nicht minder wichtig ist: das Essen. Es gibt nicht nur wundervolle Fischgerichte, es gibt auch die verschiedensten Sorten Crêpes …?

Lange: Genau, denn als Deutscher stellt man sich unter Crêpes meist das vor, was es bei uns auf Jahrmärkten und Weihnachtsmärkten gibt, süsse Crêpes gefüllt mit Schokolade oder mit Eierlikör. Es gibt auch hier die süssen Crêpes, aber es gibt vor allem auch Crêpes als Hauptmahlzeit, und die heissen dann nicht mehr Crêpes, sondern Galettes. Es sind herzhafte Crêpes aus Buchweizenmehl, deshalb sind sie auch etwas dunkler. Und die gibt es in den verschiedensten Sorten, also einmal die traditionellen mit Ei, Schinken und Käse, mit Pilzen oder Spinat. Jede Crêperie bietet ihre eigenen Variationen an: Crêpes mit Ziegenkäse, mit Bratkartoffeln und Schinken, aber auch mit Jakobsmuscheln und anderen Meeresfrüchten. Alle schmecken wundervoll.

Knapp: Und was gibt es ausserdem an Spezialitäten in der Bretagne?

Lange: Die Bretagne ist bekannt für ihre gesalzene Butter. Es gibt im Gegensatz zu den anderen Regionen Frankreichs wenig Käse und Wein, dafür aber, wie schon erwähnt, gesalzene Butter, gesalzenes Karamel, übrigens eine besonders beliebte Süssigkeit. Dann gibt es natürlich Cidre, weil die Bretagne viele Apfelbäume hat. Und es gibt Chouchen, den bretonischen Honiglikör, den man in keiner anderen Region in Frankreich findet. Ausserdem produziert die Bretagne ihr eigenes Bier und ihren eigenen Whiskey.

Es gibt viel Fisch und Meeresfrüchte, darunter besonders die Königin der Muscheln, die Jakobsmuschel.

Monts d’Arrée; Fotos Pierre Torset (↑) und Emmanuel Berthier (↓)

Knapp: Was unterscheidet den Bretonen von den übrigen Franzosen?

Lange: Die Bretonen haben einfach aufgrund der Tatsache, dass sie sich in der Geschichte so eigenständig entwickelt haben, eine andere Mentalität als die Franzosen. Während man den Franzosen eine gewisse Steifheit nachsagt, sind die Bretonen ein ganz lockeres Völkchen und zelebrieren ihre keltischen Wurzeln. Nach wie vor gibt es die bretonische Sprache, die aus dem Keltischen kommt und ganz anders ist als das Französische.

Die Bretonen lieben es, zu feiern, und sind stolz auf ihre Kultur, und sie sehen sich auch, obwohl jeder Französisch spricht, eher als Bretonen denn als Franzosen. Das hat damit zu tun, dass die Bretagne früher ganz heiss umkämpft war. Die Franzosen haben sich um die Bretagne gestritten, die Engländer haben um sie gekämpft. Deswegen gibt es vor der bretonischen Küste und im Osten der Bretagne viele Festungsstädte, und diese Festungen haben auch immer standgehalten und die Bretagne sehr lange beschützt.

Letzten Endes ist sie dann Ende des 15. Jahrhunderts aber doch an Frankreich gegangen, und zwar nicht durch einen Krieg, sondern durch eine Zwangsheirat. Karl VIII., König von Frankreich, hat die damals dreizehnjährige Herzogin Anne de Bretagne zur Ehe gezwungen, und durch diesen „bretonischen Brautraub“ fiel die Bretagne schliesslich doch an die französische Krone, und alle Festungen und alle gewonnenen Kriege haben nicht mehr genützt.

Rosa Granitküste; Fotos: Donatienne Guillaudeau (↑) und Gilles Larbi (↓)

Knapp: Wo sollte ein Tourist, der noch niemals in der Bretagne war, anfangen?

Lange: Am besten ist es, mit dem Auto anzureisen. Ob man im Norden anfängt oder Richtung Süden fährt, ist völlig egal. Im Norden sollte man auf alle Fälle St. Malo gesehen haben, das Kap Fréhel und die Smaragdküste. Dann weiter westlich im Norden sollte man unbedingt die rosa Granitküste sehen, die wirklich hält, was sie verspricht: Die Felsen sind ganz rosa und bizarr und leuchten besonders im Abendlicht wunderbar in vielen Orangetönen. Weiter westlich kommt man nach Carantec und Locquirec mit vielen weissen Sandstränden und vielen kleinen Buchten, die zum Verweilen einladen. Dann fährt man weiter Richtung Süden an der Westküste entlang und kommt an die wilde Küste mit der Pointe St. Mathieu mit ihrem bekannten Leuchtturm und zur Halbinsel Crozon. Und natürlich die Pointe du Raz. Sie ist die bekannteste Landspitze der Bretagne, die sehr weit in den Atlantik hinein ragt. Sie ist ganz naturbelassen, ist ein Naturschutzgebiet und das meist verkaufte Postkartenmotiv der Bretagne.

Sehenswert sind auch die Glénan-Inseln, ein Archipel aus elf kleinen Inseln. Man kann von der Küste Ausflüge dorthin machen, kann den Tag dort verbringen, tauchen und baden. Die Sandstrände sind ähnlich denen auf den Malediven.

Fährt man dann weiter an der Südküste Richtung Osten, kommnt man nach Carnac, das bekannt ist für seine riesigen Megalith-Felder, von denen bis heute niemand sicher weiss, wie sie dorthin gekommen sind und warum sie dort stehen.

  Glénan-Inseln; Foto: Amandine Picard
  Golfe du Morbihan; Foto: Michel Renac

Weiter östlich kommt der Golf von Morbihan. Morbihan ist bretonisch und bedeutet „Kleines Meer“. Auch hier kann man wunderschön baden, Städte besichtigen wie zum Beispiel Vannes, einen Segeltörn machen. Dort finden jährlich viele Regatten statt. Und wenn man dann weiter Richtung Osten fährt, dann hat man die Bretagne einmal passiert und hat die vielen Landschaftsformen entlang der Küste gesehen.

 Fotografien: ATOUT FRANCE

→ Uralte Steine, Wälder und Meer: Legenden und Magie in der Bretagne
→ Auf den Spuren des Kommissars Dupin durch die Bretagne (1)

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