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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Suzanne Wild – Malerin

Von Erhard Metz

Nicht alle der Kunstinteressierten in Frankfurt am Main kennen aus eigener Anschauung den sogenannten Kulturbunker, denn wer verirrt sich schon in die von Lastzügen und ISO-Containern geprägte Schmickstrasse auf dem weitläufigen Industriegelände des Osthafens. Doch der ehemalige Hochbunker aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs hat es in sich – oder besser gesagt auf sich: 2004 sattelte ihm das damalige Amt für Wissenschaft und Kunst zwei überkragende Etagen in Gestalt lichtdurchfluteter Metall-, Holz- und Glaskonstruktionen auf, in denen neben Gastateliers für auswärtige Stipendiatenkünstler einige heimische Künstlerinnen und Künstler eine Arbeitsstätte einrichten konnten. Am Fuss der Gebäudewand überrascht zunächst eine von Efeu überwucherte Betonwanne, und nach dem Aufstieg zu den überhängenden, aus Sicherheitsgründen vergitterten Etagen auf dem Bunkerdach schweift der Blick weit über eine ebenso bizarre wie bunte Containerlandschaft und das östliche Frankfurt.

In solch luftiger Höhe treten wir ein in das Atelier der Frankfurter Malerin Suzanne Wild. Es ist, als ob ein streichelnder Hauch, ein leichter, schmiegsamer Wind durch das Atelier und ihre Bilder weht.

Chair, Window and Stretcher, 2012, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm

Diese Gemälde versetzen uns in eine andere Welt. In eine Welt der Transparenz und Transzendenz, eines Durchschreitens imaginierter Räume zwischen einem Innen und Aussen. Es ist dieser besondere Zwischenzustand, der uns fasziniert. Wir verspüren in diesen Gemälden gleichsam den Luftzug, der uns die Frische atmen lässt, ähnlich dem in das Zimmer hereinflutenden Licht, das wir geniessen, und doch verschleiert der sich leicht blähende Vorhang den Blick in ein Konkretes wie auch in eine auf geheimnisvolle Weise unbestimmt bleibende Ferne.

Chair and Window, 2011, Öl auf Leinwand, 50 x 60 cm

Wardrobe, Mirror, Window (orange), 2012, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm

Blue Room with Chair and Wardrobe, 2012, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm

Ein Stuhl nahe der offenen Balkontüre lädt zum Niedersetzen, zum Verweilen ein. Wir geniessen die Stille. Das verhaltene Blau des breiten Vorhangs und der Wände schenkt uns Ruhe. Gedanken können sich lösen, sich befreien, und Bilder stellen sich ein, gleiten in Erinnerungen vorüber, das eine fliesst in das andere. Vielleicht nicht frei von Melancholie, von Trauer über Verlorenes, und doch in einer ruhigen Geborgenheit.

Natürlich kommt uns Adolph von Menzels Balkonzimmer in Erinnerung, wer kennt es nicht? Mag sein, dass es unsere Künstlerin angesprochen, inspiriert hat, und doch geht Suzanne Wild aus der bürgerlichen Enge dieses Genrebildes aus dem Jahr 1845 weit hinaus in eine Transzendenz, hin zu Luft, Licht und eben jener unbestimmbaren Ferne.

In anderen Gemälden weitet sich der Blick von der Tür, vom Fenster in das umgebende Interieur, Möbelstücke, Tische und Kommoden, Schränke und allerlei Wohnlichkeit verheissende Ausstattung treten hinzu.

Dark Red Room, 2011, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm

Window, Lamp, Comfortable Chair, 2012, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm

Armchair and other Furniture, 2011, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm

Ein blasses Licht von doch wieder heller Leichtigkeit breitet sich über der Szenerie aus, auf Tischen und Kommoden erblicken wir Gegenstände, die – gleich dem im durchsichtigen Faltenwurf schimmernden Tischtuch – ein eigenes, stilllebenhaftes Abgebildetsein zu erwarten scheinen. Hier und da wurde manches zusammengeräumt, wir wissen nicht, ob in einem Aufbruch oder einem Zurückkommen. Immer wieder spielen in den stets menschenleeren und doch so bewohnt erscheinenden Räumen Sitzmöbel eine Rolle, Stühle, Sessel. Wer sollte, wer könnte auf ihnen Platz nehmen? Platz genommen haben? Verweilt die unsichtbare Künstlerin auf ihnen in einer Welt der Erinnerungen?

Vases, Table, Wardrobe, Chest of Drawers and Ladder, 2012, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm

Es sind in Komposition, Lichtführung und handwerklicher Maltechnik meisterliche Arbeiten. Suzanne Wild erinnert uns in ihnen mitunter an die romantisch-landschaftsmalerische Palette eines John Constable, eines William Turner wie auch an verhaltene Farben mancher niederländischer Landschaftsmalerei.

Ebenso wie in ihren Interieurs begegnen wir auch in ihren Landschaften keinen Menschen, keinen sichtbaren Tieren. Keine Besiedelungen, keine industriellen Ausbreitungen zeugen von menschlichem Handeln und Herrschen. Es ist die reine vegetative, Natur, die wir hier vorfinden, die Stille der Wälder und Lichtungen, über die sich ein weiter, wolkenverhangener Himmel wölbt – Traumbilder, zu Bildern gewordene Träume. Vielleicht stehen sie als ein Symbol, als die Vision einer – längst verschwundenen wie auch in Zukunft unerreichbaren – im Einklang mit der Natur lebenden Menschheit. Und wiederum fühlen wir diesen eigenartig-schwebenden Zwischenzustand, zwischen Nähe und Ferne, zwischen Vorstellungswelt und Unbestimmtheit, zwischen Greifbarkeit und Transzendenz.

Wir schätzen diese wunderbare Malerei.

On the Edge of the Wood, 2010, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm

Snow Scene, 2010, Öl auf Leinwand, 70 x 90 cm

The Footpath, 2010, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm

Suzanne Wild wurde 1960 in London geboren. Sie besuchte die University Newcastle Upon Tyne und die Slade School of Fine Art, University College London, wo sie bei John Hoyland und Bruce McLean studierte. 1985 erhielt sie den New Ashgate Trust Prize. In den Jahren 1985 bis 1987 war sie Gastdozentin für Malerei am Exeter College of Art and Design und an der Academie van Beeldende Kunsten in Rotterdam. Ferner war sie Gastkünstlerin im schweizerischen Neuchâtel. Wild lebt und arbeitet seit Ende der 1980er Jahre in Frankfurt am Main.

Suzanne Wild stellte neben Frankfurt am Main in Aschaffenburg, Bad Homburg, Daejeon, Essen, Goch, Köln, Kronberg, Leimen, Le Landeron, London, Mannheim, Neuchâtel, Osaka und Wiesbaden aus.

(abgebildete Arbeiten © Suzanne Wild; Fotos: Erhard Metz)

→ Das Kunstwerk der Woche (19)
→ „… and other objects of interest“: Suzanne Wild in der Frankfurter Galerie Nathalia Laue

 

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