documenta 13 in Kassel (31)
Gabriel Lester lässt uns „in die Röhre gucken“ – und auch wieder hinaus
Niemand guckt gerne in die sprichwörtliche „Röhre“, will also in einer Angelegenheit „leer ausgehen“, der Dumme sein. Nun baut uns aber Gabriel Lester auch keine Röhre zum Hineingucken, sondern zum aufrechten Hineingehen. Das tun wir natürlich, nicht ohne gewisse Erwartungen. Es wird – denn sie ist über einen Halbkreis hinaus gekrümmt – für eine kurze Zeit stockfinster, wir gehen deshalb langsam und vorsichtig, machen uns also auf allerlei Überraschungen gefasst, sei es, dass uns etwas zum Stolpern in den Weg gelegt wird, sei es, dass wir etwas Ekliges zu fassen bekommen. Aber – nun zu unserer eigenen Überraschung – nichts dergleichen geschieht. Vielmehr erblicken wir nach kurzem Weg durch die Finsternis unbehelligt und unbeschadet das wiederum sprichwörtliche „Licht am Ende des Tunnels“.
Nun, da wir in der Dunkelheit auf irgendein Ereignis gespannt waren, das dann jedoch ausblieb, sind wir am Ende fast ein klein wenig enttäuscht; haben wir also doch und tatsächlich „in die Röhre geguckt“?!
Da liegt sie also, die übermannshohe Röhre, etwas eingegraben in das Erdreich, mitten im herrlichsten und frischesten Grün, welches der Auepark zu bieten vermag. Das Material besteht im Hauptsächlichen aus EPS, also dem Wärmedämmstoff Expandiertes Polystyrol. Eine Erinnerung an Joseph Beuys‘ Filz stellt sich ein, Filz steht bei ihm stets für Wärme, für Schutz.
Das geht nun ziemlich an der im Katalog angebotenen Interpretation vorbei, aber was macht ’s? Danach soll der Besucher beim Durchgang durch die Röhre „eine vorübergehende Unterbrechung von Raum und Zeit“ erfahren: naja, schön und gut; oder gar eine Veränderung erleben, „an einem anderen Ort wieder herauskommen“. Also ehrlich gestanden – wir waren nicht unglücklich darüber, uns nach dem Durchtasten durch die Röhre am gleichen Ort wiedergefunden zu haben anstatt im Hades oder im Höllenschlund. Und die Prüfung bestanden zu haben – wie heisst es in Mozarts „Zauberflöte“: „Der, welcher wandert diese Strasse voll Beschwerden … Besieget hast du die Gefahr!“
Gabriel Lester, Transition 2012, 2012 (Ausstellungsansichten), EPS, Polyurea, Holz, Metall, Beton, Farbe, Radius: 460 cm, Zylinderhöhe: 240 cm, in Auftrag gegeben und produziert von der documenta 13; Courtesy Gabriel Lester; Galerie Fons Welters, Amsterdam; Leo Xu Projects, Shanghai
Gabriel Lester, 1972 in Amsterdam geboren, studierte an der St. Joost Akademie voor Kunsten Vormgeving (audio-visual) in Breda, an der Hoge School Sint Lukas in Brüssel und an der Amsterdamer Rijksakademie van Beeldende Kunsten. Der Künstler lebt und arbeitet in Amsterdam und in Shanghai.
Fotos: FeuilletonFrankfurt