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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

documenta 13 in Kassel (30)

Pedro Reyes: das Sanatorium verheisst Rettung!

Angenommen, liebe Leserinnen und Leser, Sie durchwandern bei Ihrem Besuch der documenta 13 auf der Suche nach Kunst kreuz und quer die weitläufige Karlsaue, legen dabei Kilometer um Kilometer zurück, stehen sich vor manchen Objekten die Beine in den Bauch, die Füsse brennen, die Knie schmerzen, der Hals ist trocken und – das Schlimmste – : Ihr Gehirn rumort und rotiert ob all der Kunstwerke, die Sie betrachtet haben, Ihr Blick ist vernebelt, der Blutdruck sinkt, Sie beginnen zu wanken und zu schwanken, sind der Verzweiflung nahe, ja Sie glauben gar, das Totenglöckchen habe bereits Ihr letztes Stündlein eingeläutet – da auf einmal erscheint Rettung: ein Sanatorium ist in Sicht! Mit letzter Kraft erreichen Sie das mit einem Rot-Kreuz-Enblem versehene, Vertrauen einflössende Gebäude.

In der Aufnahme empfängt Sie ein freundliches Team in Medizinerkitteln

. Nachdem Sie Ihre Beschwerden und Befindlichkeiten vorgetragen haben, werden Sie einer Therapeutin oder einem Therapeuten zugewiesen, die bzw. der Sie zu einer Einzel- oder Gruppentherapie geleitet. Natürlich ergeben sich Wartezeiten. Sie können sie zum Beispiel auf einer luftigen, überdachten Veranda verbringen, bei erbaulicher Lektüre der Weisheiten klassischer Philosophen und Schriftsteller, aufgebracht auf geometrischen Körpern, die sich zugleich als hochtherapeutisches Spielgerät anbieten.


Ein Blick in die Therapieräume und auf verschiedene Therapiegegenstände macht das Anliegen der Künstlergruppe um Pedro Reyes deutlich: Die „utopische Klinik“ widmet sich den ihrerseits wiederum pathogenen Symptomen unserer in manchem durchaus erkrankten Industrie- und Leistungsgesellschaft, als da sind Stress und Leistungsdruck, Überforderung und Reizüberflutung, Sinnsuche, Einsamkeit und Angst. Die Künstlergruppe will die Leiden diagnostizieren und sie mit verschiedenen „utopischen“ Therapien wie zugleich künstlerischen Strategien kurieren, beispielsweise mit „Goodoo“, das als Gegenteil von „Voodoo“ das Gute herbeiwünscht und bestenfalls auch tatsächlich herbeizaubert. Weiter gibt es verschiedene, oberflächlich an Mal- und Bastelkurse erinnernde Gestaltungs- und Happening-Therapien, verstanden als Kunst-Performances. Auch von Fluxus, Urschrei oder Hypnose ist die Rede, mit Überraschungen muss gerechnet werden. Leider konnten wir selbst, obschon durch manche documenta-Darbietungen mehrfachgeschädigt, aus Zeitmangel (sic!), wegen der erfreulich grossen, jedoch lange Wartezeiten begründenden Publikumsnachfrage, an keinem der Therapieangebote teilnehmen.

Pedro Reyes‘ künstlerische Aktivitäten haben das Architektonische wie Skulpturale vielfach überwunden und lassen an Joseph Beuys‘ „Soziale Plastik“ erinnern. Es entstehen Arbeiten, die sowohl funktional als auch metaphorisch erscheinen.

Pedro Reyes wurde 1972 in Mexiko-Stadt geboren, wo er auch heute lebt und arbeitet. Nach dem Studium der Architektur wandte er sich neben architektonischen Projekten der Skulptur sowie der Video- und Interaktionskunst zu. Er nahm weltweit an zahlreichen Ausstellungen teil.

Pedro Reyes, SANATORIUM, 2012, verschiedene Materialien, Gruppenaktivität, 189,95 m², 100 Tage; in Auftrag gegeben und produziert von der documenta 13; SANATORIUM ist ursprünglich für das stillspotting-nyc-Programm des Solomon R. Guggenheim-Museums entstanden

Fotos: FeuilletonFrankfurt

→  documenta 13 in Kassel (1)
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→ documenta 13

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