documenta 13 in Kassel (29)
István Csákány: Von feinen Blaumännern und leeren Nähstuben
Hat man je schon einmal solch feine „Blaumänner“ gesehen? Aber wo sind die Näherinnen? Hier kann doch etwas nicht stimmen: Eine kleine Fabrikationshalle, mit Näh- und Bügelmaschinen und allen zugehörigen Einrichtungen und Utensilien, eine Näherei offensichtlich, taghell erleuchtet, aufgeräumt, absolut betriebsbereit, aber menschenleer. Betriebsstillegung, warum? Ist der Betriebseigner erkrankt, gar verstorben? Die Produktion wegen billiger Auslandsimporte nicht mehr rentabel? Was wird hier dann noch produziert ausser Arbeitslosigkeit?
Daneben ein Laufsteg, aber: kein Catwalk. Kein Glamour, keine Models, keine Festspielabendroben, keine Minibikinis, weder hip noch top, weder cool noch sexy, sondern: Arbeitsbekleidung, Blaumänner. Auch hier kann doch wieder etwas nicht stimmen: Die Bekleidung in feinstem Zwirn von edlem Glanz, perfekt verarbeitet, in elegantem Dunkelmarineblau wie ein Nobelblazer im stinkfeinen englischen Adelsclub. Und wieder weit und breit kein Mensch, keine Bewegung oder Begegnung. Die Bekleidung sitzt, über korrekt gebügelten weissen Hemden, auf kopflosen Ausstellungspuppen.
Wir befinden uns im Nordflügel des ehemaligen Kasseler Haupt- und heutigen Kulturbahnhofs. Der Nähereibetrieb mit all seinen kleinsten Details einschliesslich der Elektrokabel ist – man glaubt es kaum – aus Holz, handgeschnitzt und handgedrechselt. Auch die ausgestellte Edel-Arbeits-Bekleidung ist reine Handarbeit. Wieviel an Arbeitswochen, -monaten, gar -jahren verkörpert sich in dieser Installation?
István Csákány beschenkt uns mit einer grossvolumigen, sinnlichen, eindrucksvoll-suggestiven Arbeit, die sich – im Gegensatz zu vielen anderen, die wir auf der documenta 13 antreffen – recht leicht erschliesst: Sie spiegelt zum einen, gerade in ihrer durchaus anachronistischen Handwerklichkeit, den Dualismus – oder sagen wir konkreter das Auseinanderfallen – von „Kunst“ und eben jenen handwerklichen Fähigkeiten wider, die, lang ist es her, für ein „Kunstwerk“ geradezu als konstitutiv angesehen waren.
Csákány spielt mit dem Stilelement der Groteske: Die Welt der Maschinen ist in mühevoller Handarbeit aus Holz gefertigt; die elegant-feinen Blaumänner taugen weder als Arbeits- noch als Ausgeh- oder Festtagskleidung. In ihrer Sinnlichkeit vermittelt uns die Installation daher eine ganze Menge über die Arbeitswelt, über das Verhältnis zwischen den Blazer- und den Blaumannträgern, zwischen den einen, die Bedingungen von Arbeit setzen, und den anderen, die Arbeit gemäss diesen Bedingungen verrichten, über den Widerspruch zwischen Massen- und Handfertigung. Die Abwesenheit von Menschen in der Produktionshalle wie auf dem Laufsteg mag zugleich für die Entfremdung zwischen Mensch und Arbeit wie für den gesellschaftspolitischen Faktor Arbeitslosigkeit stehen.
István Csákány wurde 1978 in Sepsiszentgyörgy, Rumänien geboren. Er studierte an der Hungarian Academy of Fine Arts in Budapest, wo er auch heute lebt und arbeitet. Csákány stellte vielfach in europäischen Ländern aus.