documenta 13 in Kassel (27)
documenta-Splitter / 3
Ein Brief
von Robert Straßheim
Kassel, im August 12
Lieber Markus,
melde mich kurz aus einem Zwischenurlaub, den zu nehmen mir meine werte Gattin unverhofft, da das Baby noch kaum ein Monat alt, mir großzügig gestattete, sodass ich dir nun aus Kassel schreibe, denn wie könnte dieser Sommer vorüber gehen, ohne auf der Documenta gelebt zu haben?
Nichts zu spüren von Documenta, als der Zug einfuhr in die Wilhelmshöhle: diese dunkle betongraue Gruft, das ist Kassel pur, der kalte Hauch von Betäubung jeglichen ästhetischen Empfindens. Hell dagegen und aufgeschlossen der Hauptbahnhof, wo dann auch die documenta gefunden werden kann.
Jetzt sitze ich im libanesischen „Schnell-Restaurant“ in der Nähe des Hauptbahnhofs und frage mich, warum das nicht zur Documenta zählt? Der Libanon ist ja nun auch ein Ort, wo Menschenrechte wenig geachtet werden, Mächte und Großmächte an humanitären Lösungen desinteressiert sind. Das sollte doch reichen, um diesem geschmacklos eingerichteten Laden das d13-Label überzustülpen, und schon wär’s Weltkunst? – Allein, eine entscheidende Zutat fehlt hier: Das d-Publikum, diese bunt gefächerten Individualisten, deren Aufmerksamkeit alles adelt, was sonst durchschnittlich oder gar banal wäre.
Nein, lieber Markus, ich muss es einfach sagen: Die d13 ist schlecht, sie ist ebenso schlecht wie die d12. Wiedermal bin ich der enttäuschte Liebhaber, du weißt ja, wie ich die d11 liebte, wie ich auf ihr lebte, mit Dauerkarte immer wieder eintauchte, vorzüglich in die Brauerei, dem d11-„Herz“, das auch für mich schlug. Als die d11 zu Ende ging, tröstete ich mich damit, dass in fünf Jahren die d12 käme, und was passiert? Ich warte jetzt schon zehn Jahre, aber im Angesicht der kümmerlichen Nachfolgen ist die d11 mehr denn je als vergangen zu betrauern, da auch die Hoffnung gestorben.
Ist es denn vermessen, von der Kunst zu wünschen, dass sie beeindruckt, dass sie berührt? Dass sie ein ästhetisches Empfinden weckt? Das ist auf der d13 leider leider die Ausnahme: nur im tanzenden Lichtspieltheater, ganz hinten in der Documenta-Halle, habe ich so etwas gefunden, sowie auch im Nordflügel des Hauptbahnhofs und im Elisabeth-Hospital, wo das Kabul-Projekt überzeugt. Dagegen das meiste andere: Nur zum Vorbeilaufen, ein paar ausgediente Strommasten, auf einem Fliesenboden niedergelegt; ein Stahlrohrstuhl mit einer Kette und dem Namensschild der Künstlerin auf dem Plastiksitz; physikalische Experimente, die altbekannte, für Naturwissenschaftler wichtige Erkenntnisse demonstrieren sollen, aber nur herumstehen; Zuse-Computer aus einem Technikmuseum; ein Haufen Schrott; fast leere Säle … – jaja, sicher: alles das will seine Bedeutung, seine Botschaft haben; eine d13-Führung, Begleitliteratur oder unser fürsorglicher Herr Metz muss es erklären, und die hehren Motive der Künstler, wenn sie bekannt werden, sind ja zu billigen. Aber maßgeblich für eine Ausstellung ist mir doch der unmittelbare Eindruck, und der ist unmittelbar lau. – Erinnern wir uns lieber an die Sinnlichkeit einst in der Brauerei: Der mit Kaffee angefüllte Raum umfing einen sofort mit seinem Duft, mit seiner Fremdheit, ohne dass man sonst etwas hätte wissen müssen; die Soldaten auf der Brüstung, mit durchgeladenen Gewehren, jagten einem die Schauer über den Rücken, ohne dass man hätte nachlesen müssen, worum es hier geht – freilich konnte man sich zusätzlich über die politischen Hintergründe informieren. Das war die d11, und vieles andere auf der d11 faszinierte aufgrund der künstlerischen Ausführung, und hier war die politische Botschaft ebenso vorhanden …
Warum wird die d13 gelobt? Ich glaube, es ist das korrekte Bewusstsein für Mensch und Umwelt, was gepriesen wird, es ist vermutlich der Charme der Leiterin, und natürlich die Werbung; deren Suggestion trifft aufs Bedürfnis nach Religions-Ersatz, das in der documenta-Bibel („Das Buch der Bücher“) die verquasten Antworten dekodieren mag. Erwartungsvoll stehen sie, die Sinnsuchenden, im Fridericianum extra noch mal Schlange, zwanzig, dreißig Minuten, um ins d13-„Hirn“ zu gelangen, diesem unscheinbaren Sammelsurium, das geheiligt wird als die Essenz, dem Überkunstwerk, das eine Offenbarung darreicht. Also, ich hab’s mir nur von oben angeguckt, was ich aus der Ferne sah, reichte mir schon, und die Botschaft als reine Lehre interessiert mich nicht: Der theoretische Überbau mag ja ganz passabel scheinen, wie im real existierenden Sozialismus, aber entscheidend ist für mich doch das reale Leben, die reale Kunst. Wenn man aber nur eine miserable Realität kennt, hinter die Mauern nicht sieht, sich mit den offiziellen Erklärungen abfindet, dann mag man zufrieden sein. Viele d13-Besucher kennen ja auch keine d11, diese jungen Leute waren allenfalls auf der d12 – und die d12 hat ja bekanntlich schon das Niveau ins Beliebige fallen lassen.
Lieber Markus, als guter Psychologe arbeitest du ja gern darauf hin, dass man die Angst vorm Tod überwinde – dabei hilft uns die d13: Wir können nun, da von den Documenten nichts Bedeutendes mehr zu erwarten sein wird, ganz getrost ins Grab fallen. So gesehen, werde ich auf dem Rückweg richtig gern in die Wilhelmshöhle eingefahren werden.
Mit Gruß, Robert
P.S. Empfehle zum tieferen Verständnis der d13 einen Roman von unserem geschätzten Ken Wilber: „Boomeritis“!
Fotos: FeuilletonFrankfurt