documenta 13 in Kassel (26)
Nalini Malani: „In Search of Vanished Blood“
Wir begeben uns in die Documenta-Halle, in das durch einen halbrunden Gang erreichbare Kabinett hinter der „Hohen Halle“, welche die grossartigen Arbeiten von Thomas Bayrle beherbergt, und treffen auf eine der „schönsten“ (wir wissen sehr wohl um die Missverständlichkeit dieses Begriffs) Präsentationen dieser Weltkunstausstellung: das Video-Schattenspiel der in Pakistan geborenen und in Indien lebenden Künstlerin Nalini Malani.
Fünf an der Decke befestigte, rückseitig bemalte grossformatige Glaszylinder rotieren und werfen im Licht von Scheinwerfern Schattenspiele auf die Wände des Kabinetts, denen sich wiederum Videoprojektionen überlagern. Dem Betrachter eröffnet sich ein Reigen stets wechselnder, sich niemals wiederholender fantasievoller, märchenhafter Szenerien, sie entführen ihn in bisher ungeschaute Welten, von Tieren und Fabelwesen wie auch von Menschen belebt.
Der Mensch begegnet einer grossen und auch gewaltigen, mitunter von ihm vielleicht als gewalttätig empfundenen Fauna. Riesige Spinnen und Urwelttiere ergreifen ihn und heben ihn in die Höhe, wie ein grosser Kran eine kleine Last; ein Paar wie Adam und Eva bewegt sich, mit indifferentem, nach unserem Eindruck verständnislosem Gesichtsausdruck, in diesem Geschehen; ein barhäuptiger Mann kniet mit gefalteten Händen nieder, als wolle er die Tiere um Gnade vor Rache wie auch um Vergebung bitten; ein Mann in kolonialzeitlicher Jagduniform dagegen zielt auf etwas mit einer langen, schweren Büchse im Anschlag, eine zusammengeballte Faust zeigt sich im Hintergrund.
Der Titel der Arbeit von Nalini Malani kommt nicht von ungefähr: Er zitiert eine Zeile aus dem Gedicht des pakistanischen, politischen wie sozialen Themen verpflichteten Lyrikers Faiz Ahmed Faiz (er lebte von 1911 bis 1984) „Das Schattenbild des Rebellen“, in der Sprache Urdu verfasst. Weitere Fundamente Malinis Arbeit sind – so lesen wir im documenta-Katalog – Christa Wolfs „Kassandra“ und Rainer Maria Rilkes „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“. Fluch und Sehergabe, so lesen wir weiter, das Schicksal der Witwen in der indischen Gesellschaft, das Scheitern zwischenmenschlicher Verständigung liegen dem künstlerischen Werk Nalini Malanis zugrunde.
Wie sehen in ihm auch ein grossartiges Spektakel um Themen zwischen Mensch und Schöpfung, um den vermeintlichen Anspruch des Menschen, über die Wesen und Gegenstände der Schöpfung zu gebieten.
In Search of Vanished Blood, 2012, (Ausstellungs- und Detailansichten), 6-Kanal-Video-Schattenspiel, 5 rotierende, auf der Rückseite bemalte Zylinder, 4 Scheinwerfer, Ton; jeder Zylinder: Länge 183 cm, Durchmesser 120 cm; 11 Min. Loop; in Auftrag gegeben und produziert von der documenta 13; Courtesy Burger Collection; Galerie Lelong, Paris; Arario Gallery
Nalini Malani, 1946 in Karachi geboren, studierte an der Sir Jamshedjee Jeejeebhoy School of Art, Bombay mit dem Abschluss Diploma in Fine Arts. Sie erhielt eine Reihe internationaler Stipendien und stellte weltweit aus, unter vielem anderen auf der Biennale Venedig 2007. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Bombay.
Fotos: FeuilletonFrankfurt