Laura Baginski – von Baubo zu Vulviva
Laura Baginski vor ihrer Skulptur „Vulviva“ in der Sonderausstellung zur Schau „Darmstädter Sezession zu Gast im Museum Giersch“ (Foto: FF, Fotonachweise s. u.)
Den dreiwöchigen Gastauftritt „12 Positionen“ der Darmstädter Sezession im Frankfurter Museum Giersch erweitert, gleichsam als 13. Position, die Sonderausstellung „Laura Baginski“ im Obergeschoss des Hauses, ebenfalls Mitglied der Sezession und Preisträgerin 2010 dieser renommierten Künstlervereinigung. Im Zentrum steht dort mit der Skulptur „Vulviva“ ihre Diplomarbeit an der Hochschule für Gestaltung HfG Offenbach.
FeuilletonFrankfurt stellte diese Arbeit bereits in einem Report zur Rundgangs-Veranstaltung 2012 der Hochschule vor. Sie war dort an einem eindrucksvoll exponierten, geradezu dramatisch erscheinenden Ort im Turm der Ruine der ehemaligen Schlosskirche zu sehen.
Von Baubo zu Vulviva? Lassen wir – jenseits des Goethe’schen „Bilde, Künstler, rede nicht“ – Laura Baginski einmal selbst zu Wort kommen, wir können uns ihren Ausführungen in jeder Weise anschliessen:
Laura Baginski zu ihrer künstlerischen Arbeit
Die Auseinandersetzung mit den organisch-zyklischen Prozessen der Natur und deren Verbindung zum Menschen, insbesondere zum weiblichen Körper und zur weiblichen Identität, zieht sich als roter Faden durch meine plastische und zeichnerische Arbeit. Die an sich sehr sinnige Nähe von Weiblichkeit und Natur, wie ich sie aus meiner eigenen Leibeserfahrung als Frau kenne, stellt sich aber aufgrund ihrer historischen Instrumentalisierung zur Bannung der Frau, sei es direkt durch Unterdrückung oder indirekt durch Idealisierung, als eine äußerst vorbelastete dar. In der Darstellung der Vulva, auf die Spitze getrieben im Motiv der „Vulvaweisenden“ oder „Baubo“ und ihrer Geste des „Alles Zeigens“, des sogenannten „Anasyrma“, zeigt sich diese Problematik meines Erachtens am eindrücklichsten, weshalb ich dieses Motiv in meiner künstlerischen Arbeit aufgegriffen habe. Das weibliche Genitale, dessen visuelle und verbale Darstellung anders als der des Penis bis heute einer starken Tabuisierung unterliegt, ist in unserer Kultur zu einem Ort des Mangels geworden. Zwar ist in der psychoanalytischen Definition Geschlecht an sich immer ein Hinweis auf die menschliche Unvollkommenheit, im Sinne des Geschlechtsunterschieds und unserer Sterblichkeit, doch durch die kulturelle Positivierung des Phallus zum Symbol einer vermeintlich zu erlangenden Vollständigkeit durch die Verwechslung mit dem realen Penis, ist die Vulva zum Ort des Mangels, des Lochs, des „Nichts-zu-Sehens“, ja gar des Todes degradiert worden. Vollständige Darstellungen der Vulva sind ausser im Bereich der wiederum über den männlichen Blick definierten Pornografie kaum zu finden. Im Gegensatz zum omnipräsenten Phallus gibt es also auf der symbolischen Ebene für die Frau keinerlei Bilder, über die sie sich als vollständig imaginieren könnte, was wiederum einer weiblichen Subjektivierung im Wege steht.
Die Genderforscherin und Psychoanalytikerin Monika Gsell hat in ihrer Studie zur Repräsentation des weiblichen Genitales gezeigt, dass die Figur der Baubo solch eine Funktion erfüllen könnte. Der bruchstückhaft überlieferte Mythos von Baubo und Demeter kann gelesen werden als ein Hinweis auf eine zyklische Weltvorstellung, in der Fruchtbarkeit, Sexualität und Tod noch nicht getrennt vorkommen wie im christlich-abendländischen, linearen Denken des ewigen Lebens und ewigen Todes, in dem Sexualität spätestens seit dem weiblichen „Sündenfall“ nur noch dem Tod zugeordnet wird. Im Mythos heilt Baubo die Göttin Demeter, die in Folge des Verlusts ihrer Tochter Persephone Nahrung verweigert, indem Baubo Demeter ihr Genitale zeigt. Damit erinnert sie Demeter an deren eigene Vollständigkeit im Sinne ihrer Gebärfähigkeit, in der Leben und Tod, Geburt und Verlust untrennbar miteinander verbunden sind.
Gerade im heutigen, von der körperlichen Realität weit entfernten Diskurs um Geschlecht sehe ich besonders auch im künstlerischen Bereich die Notwendigkeit, eine Symbolisierung für das weibliche Genitale zu entwickeln, welche sich nicht wie bisher als unvollständige, mangelhafte Abweichung vom männlichen Geschlecht definiert. Nur mit solch einer unabhängigen Symbolik der Vollständigkeit könnten sich Frauen erst mit ihrem natürlichen Mangel, ihrer eigenen Endlichkeit auseinandersetzen und diesen anerkennen. Dazu gehört meines Erachtens aber eben auch die Anerkennung des Gegenteils, der Gebürtlichkeit und der Nähe des Weiblichen zum Lebenszyklus, sprich: der Nähe der Frau zur Natur. Oder um es mit den Worten von Barbara Rendtorff zu sagen: „Ich frage mich, ob es nicht sinnvoll wäre, [das] Bild vom weiblichen Körper als Behausung rückzuerobern, statt es dem Zugriff biologisch-deterministischer Konzepte zu opfern – aus Furcht, selber nicht imstande zu sein, die Bilder und ihre Indienstnahme auseinander zu halten“.
↑ Vulviva, 2012, Bronzeguss, 63 cm Höhe (FF)
↓ Kleine Baubo, 2011, Gipsguss, pigmentiert, 18 cm Höhe (FF)
Es erscheint nicht nur wünschenswert, sondern auch folgerichtig, wenn sich heute Künstlerinnen und Schriftstellerinnen, selbstverständlich auch unter feministischen Aspekten, mit dem Mythos von Baubo und Demeter befassen, einer Baubo, die der ob des Verlustes ihrer Tochter Persephone verzweifelten und lebensmüden Demeter mit ihrer Geste zu neuer Zuversicht verhilft. Ein Blick zurück in die deutsche Literatur- und Philosophiegeschichte, bei der wir insoweit eher einige Fragezeichen setzen müssen, macht dies umso deutlicher:
Kein anderer als Dichterfürst Johann Wolfgang Goethe degradiert in „Faust – Der Tragödie erster Teil“, in der Walpurgisnacht-Szene, Baubo schlicht zur Hexe, die den Hexenreigen auf den Blocksberg zum Treffen mit dem Teufel anführt:
(Stimme:) „Die alte Baubo kommt allein;
Sie reitet auf einem Mutterschwein.
(Chor:) So Ehre dem, wem Ehre gebührt!
Frau Baubo vor! und angeführt!
Ein tüchtig Schwein und Mutter drauf,
da folgt der ganze Hexenhauf.
…
(Hexen, Chor:) … Die Gabel sticht, der Besen kratzt,
Das Kind erstickt, die Mutter platzt.
(Hexenmeister, halber Chor:) … Die Weiber alle sind voraus.
Denn geht es zu des Bösen Haus,
Das Weib hat tausend Schritt voraus.“
Man muss sich diesen Text erst einmal sozusagen auf der Zunge zergehen lassen! Auch wenn er unterschiedliche Interpretationen erfahren hat. Doch wird man dem Dichterfürsten wohl kaum Frauenfeindlichkeit unterstellen können, zumal er selbst bis ins hohe Alter immer wieder weiblicher Erotik erlag und neue Liebschaften pflegte oder anstrebte. Den Baubo-Mythos, wie er jedenfalls in heutiger Zeit gedeutet wird, hat er, in seinem Zeitalter gefangen, verkannt.
Schriftsteller-Übervater Thomas Mann wiederum greift in seinem von uns so sehr geschätzten Jahrhundertroman „Der Zauberberg“, Fünftes Kapitel, in dem auf den „Totentanz“ folgenden Abschnitt „Walpurgisnacht“ – leider offensichtlich kritiklos – auf die Goethe’sche Walpurgisnacht zurück. Mann lässt den Humanisten, Aufklärer und Literaten Lodovico Settembrini in der erotisch aufgeheizten, karnevalistischen „Walpurgisnacht“ des Sanatoriums Berghof spöttisch-verächtlich den Vers „Die alte Baubo kommt allein“ nebst Folgevers zitieren, als diesem die „ungebildete“ Frau Stöhr, deren einziger Bildungsschatz in der Kenntnis von 28 Rezepten für Fischsaucen besteht, mit Papierhaube, Eimer und Besen als Hexe dekoriert, unter die Augen kommt. Worauf jene ihn einen „welschen Hahn“ schilt und ihn auffordert, seine „Zötchen“ für sich zu behalten. Nun ja, was Thomas Mann zur heutigen Lesart des Baubo-Demeter-Mythos mutmasslich auszuführen gehabt hätte, braucht uns Heutige nicht zu interessieren.
Die Idee vom „Zauberberg“ übrigens fusst, Thomas Manns eigenem Bekunden nach, auf der Sage um den geheimnisumwitterten Hörselberg bei Eisenach, dem „Venusberg“, in dem wiederum Richard Wagner seinen Tannhäuser, der Venus zu Füssen und anderen Körperregionen liegend, Lust und Liebe geniessen lässt. Tannhäuser verfällt dafür der ewigen Verdammnis. Der Papst in Rom jedenfalls vergibt ihm nicht. Den am Ende doch noch ergrünenden Pilgerstab erleben weder Tannhäuser noch Elisabeth.
Und wir setzen noch, wie man so sagt, einen drauf und zitieren den Philosophen Friedrich Nietzsche, den man – aus heutiger Sicht vielleicht eher zu Unrecht – der Frauenfeindlichkeit bezichtigt: „Man sollte die Scham besser in Ehren halten, mit der sich die Natur hinter Rätsel und bunte Ungewissheiten versteckt hat. Vielleicht ist die Wahrheit ein Weib, das Gründe hat, ihre Gründe nicht sehn zu lassen?… Vielleicht ist ihr Name, griechisch zu reden, Baubo?… O diese Griechen!“ (Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, Nietzsche contra Wagner, Epilog, 2, Originalschreibweise übernommen).
Über die von Laura Baginski erwähnten Beiträge von Monika Gsell und Barbara Rendtorff hinaus ist neben manchem anderen auch die Publikation von Mithu M. Sanyal „Vulva“ nebst einem entsprechenden Interview in der „taz“ von Interesse.
Steht das weibliche Genitale und sein Abbild bei einem zyklischen Verständnis von Natur gleichermassen für das Leben wie für den Tod – erst die Geburt eröffnet, allerdings sterbliches, Leben, die Unausweichlichkeit des Todes hingegen erfordert wiederum stets neue Geburt – , so gilt dies in übertragenem Sinne auch für den Fötus, mit dem sich die Künstlerin seit längerem beschäftigt. Baginskis Madonna hält nicht ein lebendiges Kind, sondern einen Fötus, ausserhalb des Mutterleibs also eine Totgeburt, in ihren Armen. Ihr von Melancholie, ja stiller Trauer wie zugleich von innerer Einkehr, von einem inneren Frieden geprägtes Antlitz drückt – ähnlich der Tröstung der Demeter durch Baubo – Hoffnung auf eine Zukunft des Lebens aus, wie auch die aufbrechende, den jungen Keim austreibende Frucht über ihrem Kopf anschaulich symbolisiert. Uns spricht diese Arbeit zudem in einem Deutungszusammmenhang mit christlichem Glauben an: die von katholischer Seite zur „Gottesmutter“ aufgeladene Gestalt der gebärenden Frau und Maria-Madonna und ihrem – in christlicher Lehre von vornherein bestimmungsgemäss am Folterkreuz sterbenden – Kind und Sohn.
Bemerkenswert auch der Künstlerin sensibel gestaltetes, feingliedriges „Embryo-Relief“, das uns bereits in der Rundgangsveranstaltung 2010 der Offenbacher Hochschule auffiel, damals noch als Gipsskulptur, die sie inzwischen in Bronze hat giessen lassen.
↑ Embryo-Relief, 2011, Bronzeguss, 44,5 x 186,5 cm (LB)
↓ Madonna mit Kind, 2007, Gipsguss, pigmentiert, 52 cm Höhe (FF)
Gebär-Mutter, 2009, Gips, 48 x 194 cm (LB)
Auch in ihrer Arbeit „Gebär-Mutter“ setzt sich Laura Baginski mit der Thematik des weiblichen Körpers, des Gebärens und der Gebürtlichkeit allen Lebens und damit dem zyklischen Zusammenhang von Geburt und Tod auseinander.
Nicht minder bemerkenswert die Skulptur „Frau / Kabeljau“, die mit anderen Arbeiten der Künstlerin Ende 2009 unter dem Titel „Unverblümte Gewächse“ im Frankfurter 1822-Forum, einer der qualitativ namhaftesten Fördergalerien auch weit über Hessen hinaus, ausgestellt war.
Frau / Kabeljau, 2009, Gips, 28 x 40 x 53 cm (LB)
Mag der „Kabeljau“ eher eine lautmalerische Anspielung auf „Frau“ sein, so kommt der Verbindung von Frau und Fisch doch wesentlichere Bedeutung zu: die „Fische“ als besonderes, bereits von Ptolemäus beschriebenes Sternbild, durch welches, weil auf der Ekliptik gelegen, Sonne, Mond und die Planeten ziehen, von alters her ein Symbol für Erotik und Liebe. Schon die Babylonier sahen einen Zusammenhang des Sternbilds mit der Göttin des sexuellen Begehrens und des Krieges, ihr Name war Ischtar. In der griechischen Mythologie stellen die Fische die Liebesgöttin Aphrodite und ihren Sohn Eros dar, die auf der Flucht vor dem Ungeheuer Typhon in den Euphrat sprangen, sich in Fische verwandelten und auf diese Weise dem Häscher entkamen.
Nicht zu vergessen die Symbolik des Fisches für das Leben, das sich aus dem Wasser heraus im evolutionären Prozess entwickelt hat. In diesem Sinne, scherzt die Künstlerin, könne sie sich ihre „Kabeljau-Frau“ durchaus auch als wasserspeiende Brunnenfigur im Garten eines Kunstsammlers vorstellen. Warum nicht?
Betrachten wir die künstlerische Entwicklung von Laura Baginski, so erscheint uns ihr Weg von früheren Zeichnungen hin zu Vulviva durchaus konsequent und folgerichtig. In ihren vielfach floralen Motiven und in der Verbindung von vegetativer Natur und Mensch-Sein, Mensch-Werdung offenbart sich ihre nicht zuletzt der romantischen Tradition verpflichtet scheinende Philosophie. Aus Früchten entfalten sich in einem naturgegebenen Kreislauf keimende Pflanzen, aus Knospen Blüten und neue Früchte. Und wir bewegen uns wieder im zyklischen Bewusstsein von Gebären und Sterben, von Leben und Tod, die untrennbar miteinander verbunden sind.
Keimlinge und Früchte dürfen deshalb in Baginskis Arbeiten menschliche Gestalt gewinnen, die Prinzipien des Vegetativen und des ánthropos, des Menschen, dürfen sich miteinander verweben.
Laura Baginskis Arbeiten könnten sich auf eine so verstandene Weise auch im konzeptionellen Rahmen der diesjährigen documenta verstehen, in einer Abkehr vom anthropozentrischen Weltbild und einer Rückbesinnung auf die Verwurzelung des ánthropos in der evolutionären Natur. Wer soll denn entscheiden über die Qualität einer jeweilige Beseeltheit des Menschen und seiner tierischen wie pflanzlichen Mitgeschöpflichkeit – der Mensch allein?
Wachstumsfries, 2008, Gipsguss, pigmentiert, 39 x 310 x 15 cm, Totale sowie Felder 3 und 4 (FF)
← Keimkind; Schutzfrau →
aus: Mother Splendor, 2006, Tusche auf Papier, 5 Tafeln gesamt 205 x 645 cm (LB)
Eddingserie I, 2006, Edding auf Papier, 93 x 154 cm (LB)
„Laura Baginski“ – Sonderausstellung zur Gastausstellung der Darmstädter Sezession im Museum Giersch, nur noch bis 26. August 2012. Für Samstag, den 25. August, ab 16 Uhr lädt das Museum zu Gesprächen mit den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern ein.
Abgebildete Arbeiten © Laura Baginski; Fotos: © FeuilletonFrankfurt (FF) und Laura Baginski (LB)
⇒ ⇒ ⇒ Darmstädter Sezession zu Gast im Museum Giersch (1)
⇒ ⇒ ⇒ Darmstädter Sezession zu Gast im Museum Giersch (2)