Alltägliche und seltsame Geschichten und Begebenheiten (5)
Vorbemerkung des Herausgebers:
Heute stellen wir ein einzigartiges Opus der grossen, epocheprägenden und vielfach für die hochrangigsten Auszeichnungen vorgeschlagenen Lyrikerin Grete Mohs vor, ferner eine in Inhalt und Sprache ebenfalls exzeptionelle literarische und kulturhistorische Betrachtung und Interpretation des bedeutenden Ausnahme-Literatur- und Kulturkritikers Horst Reibeisen.
Wir beginnen natürlich am Anfang, also mit dem Gedicht. Die luziden Ausführungen Reibeisens folgen sodann in zwei Fortsetzungen.
Und ebenso natürlich ist das alles, wie immer in Fällen wie diesen, von
© -habust-
Ein leeres Glas
von Grete Mohs
Es war am Heiligabend gegen vier,
da packte mich mit Macht die Gier nach Bier.
Ich blickte stier in mein Klavier, doch hier
war nirgends Bier, nur Saiten. Und Getier,
denn innen putzte ich das Instrument
nicht regelmäßig. Jeder, der mich kennt,
wird über diesen Umstand nicht verwundert sein,
denn diesbezüglich heißt es oft, ich sei ein Schwein.
Nun muß ich allerdings dem doch entgegenhalten,
daß meine brave Zofe, Frau Krapotnik, schalten
und walten kann, so wie sie will und sich das denkt,
und wenn wer ihren Blick auf meinen Flügel lenkt,
und ihn vor ihren Augen öffnet, würde sie ihn säubern,
und dann den Raum verschließen.
Schon aus Angst vor Räubern.
So eilte ich flugs in den dunklen Keller,
als ich das Licht anmachte, ward es heller,
und nahm ein Fläschchen Bier mir vom Regal,
dem war das, wie ich merkte, schnurzegal.
Dies Bier nun goß ich sorgsam, mit Bedacht,
in jenes Bierglas, das ich einst für acht
Mark fünfzig in der Schweiz erworben hatte,
als ich das Land mit Heinrich-Harald, meiner Ratte,
bereiste. Doch das Glas war nicht sehr groß,
und mit dem Bier war auch nicht grad viel los,
so daß ich schließlich, reichlich abgekühlt,
ein kleines, leeres Glas in Händen hielt.
Dieses kleine, unscheinbare Meisterwerk kritzelte Grete Mohs auf die Rückseite ihrer Papierserviette auf ihrem legendären Flug mit Professor Horst Meilbeer von Schwechat/Wien nach Paris. Es ist erst kürzlich wieder aufgetaucht und hat bei einer Versteigerung historischer Handschriften nicht weniger als ganz viel Geld eingebracht.
Grete Mohs beginnt das Werk mit einem nur scheinbar nebensächlichen Hinweis auf den besonderen Tag, an dem die Tragödie ihren Anfang nimmt. Heiligabend. Tag der Besinnung, Tag der Einkehr. Und es ist wohl der Gedanke an diese, der sie animiert, ihr Augenmerk auf den irdischsten aller Wünsche, den Durst nach Bier, zu richten. Bier. Edelster aller Getreidesäfte. Reinheitsgeboten und vielfältigen Regularien unterworfen, wirst Du in schlechten Zeiten mit Gold, Weihrauch und Myrrhe aufgewogen.
Aber ich gerate ins Schwärmen und damit ab vom vorgezeichneten Wege, wie es auch der Dichterin geschieht, die, eben noch nach Gerstensaft dürstend, durch den beklagenswerten Zustand ihres Konzertflügels – den sie doch überhaupt nur des Reimes wegen öffnet! – in die finstere Realität zurückgeworfen wird.
Es ist ein Kunstgriff ganz besonderer Art und in diesen Kurzballaden aus dem 20. Jahrhundert durchaus für Grete Mohs typisch, daß sie nun die Schuld bei anderen sucht, ein Charakterzug, der nur sehr wenigen Menschen eignet. Die Zofe, die sie nicht nur um des Versmaßes willen mit dem wenig poetischen Namen Krapotnik belastet – entlehnt anscheinend, fast schon wider Willen, Mohs’ eigener osteuropäischen Herkunft -, sondern der sie auch die gesamte Verantwortung für den Zustand des Instruments aufbürdet, kann sich nicht wehren, denn zum autonom handelnden Individuum läßt Mohs sie nicht reifen. So bleibt das Elend dieser Welt, gleichsam wie in einem Brennglas sublimiert im unappetitlichen Zustand des Flügels, an der Zofe hängen – eine wahre Katharsis für die nach Bier lechzende Dichterin, der nun nicht mehr vorgeworfen werden kann, es mit der inneren Hygiene ihres wertvollen Steinway nicht so ernst zu nehmen, wie dessen äußerer Glanz suggeriert.
Wie um das Elend dieser Welt nicht mehr sehen zu müssen, eilt die Dichterin nun in den dunklen (sic!) Keller. Vorgeblich, um sich ein Bier zu holen. Aber liegen die wirklichen Gründe nicht doch weit tiefer? Tiefer als auch der anfangs dunkle Keller? Man weiß es nicht so recht, und die Dichterin gibt uns auch keine Gelegenheit, es in Erfahrung zu bringen, indem sie sogleich das Licht anzündet, als wolle sie uns zurufen: “Es werde Licht – sonst dicht ich nicht!” Oder so ähnlich.
Vielleicht sind die Dinge aber auch einfacher gelagert, und sie will lediglich nicht auf die Schnauze fallen. Denn das Werk atmet Einsamkeit. Die Zofe scheint ihren freien Tag zu haben, sonst hätte sie ja wohl das Bier geholt. Nein, Grete Mohs ist allein zu Haus. Und da die Kellertreppe runterzufallen, nur um ein paar Cent Strom zu sparen, wer tut das schon? Grete Mohs jedenfalls, die Welt weiß es spätestens jetzt, nicht.
Statt uns aufzuklären, bricht Mohs an dieser Stelle ab und gibt ihrer Erinnerung an die schönen, längst vergangenen Tage breiten Raum, als sie noch Zeit hatte, die Schweiz unsicher zu machen und mit ihrer in der Literaturgeschichte legendär gewordenen weißen Ratte “Heinz-Harald” für Deutsche Mark Gläser aufzukaufen. Nur eines davon scheint noch übrig zu sein, und traurig muß Mohs erkennen, daß es zu klein sei, um mehr als wenige Tropfen des geliebten schäumenden Naß aufzunehmen, die ihren Bierdurst nicht zu stillen vermögen.
So läßt Mohs uns mit dem quälenden Bild eines zu kleinen und leeren Glases allein, als wolle sie sagen, daß all unser irdisches Streben, gälte es Glück, Ruhm, Reichtum oder nur profaner Durstlöschung, unweigerlich zum Scheitern verurteilt sei – wenn wir nicht rechtzeitig und so früh als irgend möglich gegensteuern und beispielsweise bei der Auswahl von Biertulpen auch an deren Fassungsvermögen denken.
→ Alltägliche und seltsame Geschichten und Begebenheiten (8)