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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

documenta 13 in Kassel (21)

Amy Balkin: Post an den Bundesumweltminister

Für den Pessimisten ist es die versponnenste Utopie (Utopien sind unrealisierbar), für den Optimisten die kühnste Vision (Visionen sind oft realisierbar) dieser documenta 13: die Eintragung der Erdatmosphäre als UNESCO-Welterbe.

Die US-amerikanische Künstlerin, treffender gesagt Konzeptaktivistin Amy Balkin kämpft mit „Public Smog“ um diesen Eintrag, seit Jahren. Ihr Ziel ist es, in der Atmosphäre einen „Park der sauberen Luft“ zu schaffen.

Amy Balkin formuliert die schlechthin essenzielle wie existenzielle künstlerische Forderung dieser Ausstellung an Politik und Weltöffentlichkeit.

Hat sie bereits oder wird sie in Politik und Gesellschaft Gehör finden? Natürlich nicht

. Der Himmel ist hoch, was schert einen da die Erdatmosphäre, so denken und handeln die meisten, und ebenso gemäss dem Motto „Nach uns die Sintflut“! Beispiel Frankfurt am Main: Der Flughafenbetreiber Fraport, im Schulterschluss mit der Lobby der Flugzeugindustrie und der Fluggesellschaften und unterstützt von deren althergebrachten wie neoliberalen Politparteifreunden, will eine Erhöhung der jährlichen dortigen Flugbewegungen von derzeit rund 487.000 auf über 700.000 im Jahr 2020 erzwingen. Über die bereits derzeitige flugbedingte Lärmbelastung des gesamten Rhein-Main-Gebiets berichten ernstzunehmende Medien nicht nur der Region nahezu täglich.

Auch von der nächsten UN-Klimakonferenz im November/Dezember 2012 in Katar wird – dem Primat der Wachstumsideologie ebenso wie der Stumpfheit und Ignoranz vieler Staatsführungen und erheblicher Teile der Menschheit geschuldet – nichts zu erwarten sein.

Können Visionen einer Einkehr grösserer Vernunft, einer weltumspannenden Ethik, letztlich einer menschlichen Überlebensstrategie – die Anerkennung der Erdatmosphäre als UNESCO-Welterbe beispielsweise – gegen menschliche Hypertrophie, gegen kollektiven Wachstumswahn und Umweltzerstörung, gegen die in mancher Hinsicht schon progressive Paralyse von Politik und Gesellschaft doch noch irgendwann eine Chance haben?

Keine Frage, dass die documenta 13 – zumindest auch – eine politische Kunstausstellung sein will und sein soll. Als Frage bleibt jedoch, ob es Amy Balkin gelingt, ihr visionäres Projekt in einem Rahmen zu artikulieren, der vom besuchenden Publikum noch im allerweitesten Sinn als „Kunst“ wahrgenommen und verstanden werden kann.

In der ersten Etage des Fridericianums hängen an einer Wand 186 Briefe der documenta in mehreren Sprachen, sorgfältig gerahmt, mit der Bitte um Unterstützung des Projekts. In Kästen stehen Postkarten bereit, adressiert an den Bundesumweltminister, die Besucher können die rückseitige Petition unterschreiben und in den benachbarten Postsack einwerfen. Dieser ist ironischerweise ein schönes Exemplar aus der guten alten Postzeit, noch geschmückt mit den Nationalfarben und dem Aufdruck „Deutsche Bundespost“.

Amy Balkin, Public Smog: Earth’s Atmosphere as UNESCO World Heritage Preserve, 2012; eine Aktivität von Public Smog, 2004 – fortlaufend, Installation, 200 Briefe, Postkarten-Petition; mit dem Ziel eines permanenten atmosphärischen Parks mit sauberer Luft, Masse variabel (Ausstellungsansichten und Details); in Auftrag gegeben und produziert von der documenta 13, Courtesy die Künstlerin

Wir zitieren aus dem ministeriellen Antwortbrief vom 25. November 2010:

„Herr Minister Röttgen bat mich, Ihnen für Ihr Schreiben vom 13. September zu danken und Ihnen zu antworten. Die Projektidee der Künstlerin Amy Balkin, die Erdatmosphäre als Welterbe eintragen zu lassen, ist eine kreative Idee, deren Diskussion sicherlich wichtige und interessante Prozesse initiieren kann.

Nach ausführlicher Prüfung und Beratungen mit dem für die Welterbekonvention zuständigen Auswärtigen Amt muss ich Ihnen aber leider mitteilen, dass eine Unterstützung seitens des Bundesumweltministeriums nicht möglich ist.“

Und hier nun eine Postkarte:

Amy Balkin wurde 1967 in Baltimore/Maryland geboren. Sie studierte an der School of the Art Institute of Chicago und an der Stanford University mit dem Abschluss Master of Fine Arts.

Bekannt wurde sie 2003 mit ihrer Aktion „This is the Public Domain“: dem Erwerb eines Grundstücks in Kalifornien, um es dauerhaft in einen internationalen öffentlichen Raum zu verwandeln; das Projekt stiess auf komplexe rechtliche Schwierigkeiten und dauert bis heute an. Im Zuge von „Public Smog“ erwarb Balkin Rechte auf Treibhausgas-Emissionen, die sie jedoch nicht wahrnahm und auf diese Weise dem einschlägigen Markt dauerhaft entzog. Für das offizielle Welterbe-Bewerbungsverfahren stellte sie einen Katalog sämtlicher Kriterien zusammen, die die Atmosphäre als ein einzigartiges und schützenswertes Gut ausweisen. Auch dieses Verfahren begegnet einer Reihe internationaler rechtlicher Probleme.

Die Künstlerin und Umweltaktivistin ist Associate Professor am California College of the Arts und lebt in San Francisco.

Fotos: FeuilletonFrankfurt

→  documenta 13 in Kassel (1)
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→ documenta 13

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