home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Archiv für Juni, 2012

documenta 13 in Kassel (8)

2012, Juni 13.

Der Schmetterlingsgarten von Kristina Buch

Vor Wochen noch ein verdächtiges Objekt vor dem Staatstheater Kassel, von einer undurchdringlichen weissen Plane verhüllt – jetzt wissen wir, was sich hinter ihr als eine Freilichtinstallation verborgen hatte: Kristina Buch hat eine wuchernde, blühende Vegetation einschliesslich des von den meisten Menschen ungeliebten Unkrauts, als da wären Brennesseln und Disteln, eingerichtet, die sich im Schutz der Umzäunung prächtig entfaltet hat. Sie wählte dazu Pflanzen aus, die ideale Nahrungs- und somit Lebensbedingungen für heimische Schmetterlingsarten gewährleisten. Die Künstlerin hat diesen sozusagen „Garten Eden“ mit den Puppen gezüchteter Tagfalter versehen, und demnächst werden diese Tiere das künstliche Biotop besiedeln und von Blüte zu Blüte schwärmen. Und was sehen wir nun bereits am zweiten Preview-Tag? Kristina Buchs Wünsche gehen in Erfüllung!

Ein Tagfalter in der Installation „The Lover“, 2012, von Kristina Buch auf dem Kasseler Friedrichsplatz Weiterlesen

documenta 13 in Kassel (7)

2012, Juni 11.

Die Eröffnungspressekonferenz

Um 12 Uhr sollte es losgehen, kurz nach 11 Uhr gab es kein Halten mehr, stürmte die Meute der Fotografen den Festsaal der Kasseler Stadthalle, seit einigem auf gut Neuhochdeutsch Kongress Palais genannt. Dann das lange Warten; aber irgendwer hatte eine tolle Idee: er stellte ein kleines gerahmtes Foto auf das Podium, genau in dessen Mitte vor den Platz, den demnächst documenta-Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev einnehmen sollte. Vielhundert Mal wurde das Bildchen fotografiert, das uns das Warten versüsste – über die Identität der Abgebildeten gab es natürlich keinerlei Zweifel.

Dann aber wurde es ernst: Die Pressekonferenz begann mit einer fünfminütigen Performance der Künstlerin Ceal Floyer, „Nägel kauen“ betitelt, sie schaute mal gelangweilt, mal verlegen in die Runde, die Füsse leicht nach innen gekehrt, ein Knabbern war zu vernehmen, wie es sich so anhört, wenn man eben Fingernägel kaut. (Kriegten wir das nicht damals als Kinder verboten Weiterlesen

Das Frankfurter Nibelungen-Projekt – Vom Festhalten des Augenblicks

2012, Juni 10.

Bildband von Monika Rittershaus
CD-Gesamtaufnahmen „Walküre“ und „Siegfried“

Text und Fotos: Renate Feyerbacher

Zwei zyklische Aufführungen von „Der Ring des Nibelungen“ stehen im Juni – genauer vom 2. Juni bis 1. Juli 2012 – auf dem Spielplan der Oper Frankfurt. Wie in Bayreuth gab es bereits vor Monaten einen Ansturm auf die Karten. Diejenigen, die leer ausgingen, können sich an dem opulenten Bildband der Theaterfotografin Monika Rittershaus, deren Fotografien zum Ring in einer Ausstellung im Holzfoyer des Opernhauses bis zum Ende der Spielzeit zu sehen sind, erfreuen, ebenso an den kurz zuvor erschienenen CD-Neuproduktionen von „Walküre“ und „Siegfried“. Es sind Live-Aufnahmen von November 2010 und Oktober/November 2011.

Schon als junger Mensch war ich in Rheingold und in der Walküre. Der grosse George London (1919 bis 1985) sang den Wotan an der Oper Köln. Ich war so begeistert und wartete mit meiner Mutter am Künstlerausgang, um mir ein Autogramm auf die mitgebrachte Schallplatte zu erbitten. Er freute sich. Ich war die einzige, die dort stand. Regie führte Wieland Wagner (1912 bis 1966), der Enkel des Komponisten, der in Bayreuth auch als Bühnenbildner einen neuen Stil der Abstraktion kreierte. Als Wagner 1965 an der Wiener Staatsoper den Lohengrin inszenierte und die Sängerin Anja Silja mitbrachte, die an der Oper Frankfurt sang und 2011 in der Frankfurter Paulskirche den Europäischen Kulturpreis erhielt, campierte ich nachts mit anderen vor der Cassa, die morgens öffnete. Ich war in Wien zu einem Auslandssemester. Die anderen Teile sah ich später an anderen Opernhäusern.

Zum ersten Mal nun habe ich den gesamten Ring an der Oper Frankfurt sehen können. Das legendäre Nibelungen-Projekt der Regisseurin Ruth Berghaus (1927 bis 1996), die seit 1980 sieben Jahre an der hiesigen Oper wirkte, habe ich nicht erleben können. Als Berufstätige und Mutter zweier kleiner Töchter war das nicht möglich. Ältere Opernfans schwärmen noch heute von diesem Berghaus-Ring.

Vera Nemirova

Die junge Regisseurin Vera Nemirova trat also ein schweres Erbe an. Grossartig, was sie schuf. Von ihrem Ring, den sie dem Frankfurter Opernpublikum bescherte, wird später auch geschwärmt werden können. Weiterlesen

Hans Jürgen Diez: Cocooning …

2012, Juni 8.

Zeichnungen

Von Brigitta Amalia Gonser
Kunstwissenschaftlerin

Hans Jürgen Diez lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. 1950 in Stuttgart geboren, absolvierte er die Frankfurter Staatliche Hochschule für Bildende Künste – Städelschule – als Meisterschüler sowie das Kunstphilosophische Seminar der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und war danach Dozent mit einem Lehrauftrag für „Farbe“ an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main.

Galerien aus Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Eltville, München, Kassel und Miltenberg haben seine Arbeiten ausgestellt.

Im Unterschied zu seiner abstrakten Malerei konzentriert sich Hans Jürgen Diez in seinen Zeichnungen und Skulpturen vor allem auf die Figuration.

Dem Cocooning – der Verpuppung: diesem Prozess des Rückzugs des Individuums aus der Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit folgt Diez in seinen energiegeladenen, versponnenen Zeichnungen mit ihren haarigen oder strahlenden Protagonisten, die sich wie Magnete verhalten, die ein Magnetfeld hervorrufen und von diesem durchströmt werden. Dessen Richtung und Stärke werden gleichsam durch die Feldliniendichte der Behaarung veranschaulicht.

Eine autarke Aura umhüllt die verstrahlten Männerköpfe.

Daneben öffnen sich kleine ironisch-dramatische Szenen, wie der Eiertänzer über dem Fegefeuer der Hölle oder der von vielen Köpfen bestaunte, verwurzelte, rote Wunderknabe mit seiner abstehenden Mähne.

o.T., 2006, Zeichnung Bleistift, Buntstifte, 29,7 x 21 cm Weiterlesen

Kloster Arnsburg (2)

2012, Juni 6.

Der Liebeserklärung zweiter Teil

Von Erhard Metz

Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen.
Friedrich Schiller (Attinghausen in: Wilhelm Tell)

Streifen wir durch die Anlagen des ehemaligen Zisterzienserklosters Arnsburg, so begegnen wir auf Schritt und Tritt steinernen Zeugen vergangener Geschlechter:

↑ Gedenkstein für Johannes von Linden und Guda von Bellersheim, 1394

↓ Grabmal des Johannes von Falkenstein, 1365

Weiterlesen

documenta 13 in Kassel (6)

2012, Juni 5.

Das emanzipierte Erdbeertier – auch ein Beitrag zur documenta 13

Ja, die Erdbeere – da hat documenta-Chefin Carolyn Christov-Bakargiev in ihrem Interview mit der Süddeutschen Zeitung ganz schön was losgetreten. Kein Wunder, dass heute die FAZ dem schmackhaften Gewächs sogar das Titelfoto, nebst anzüglichem Kommentar, versteht sich, widmet.

Nun, auch FeuilletonFrankfurt war nicht faul und begab sich auf die Suche nach dem Wesen der Erdbeere und wurde – wer suchet, der findet – überraschend auf andere Weise fündig: Es gibt es wirklich, das Erdbeertierchen. Es ist so selten, dass es aus dem Bewusstsein von Wissenschaft (lat.: bestiola fragumelia pusilla) und Öffentlichkeit (früher volkst.: Rotgrünwuschel) fast gänzlich verschwunden ist. Und es ist scheu, nur weniger Menschen Augen haben es je gesehen.

Umso aufsehenerregender die fotografischen Aufnahmen vom Erdbeertierchen, die FeuilletonFrankfurt unlängst gelungen sind. Die Deutsche Zoologische Gesellschaft spricht sogar von einer kleinen Sensation und bietet uns eine nicht unbeträchtliche Summe für den Kauf der Bilder an, deren Höhe wir – durch die bösen Auswirkungen des ellenbogenorientierten Neoliberalismus gewinnsüchtig und geldgierig geworden – selbstverständlich als viel zu niedrig bemessen zurückwiesen. Aber unseren treuen Leserinnen und Lesern wollen wir die erstaunlichen Fotografien nicht vorenthalten:

Nun setzen wir alles daran, dass das Erdbeertierchen so weit heranreift, dass es nach entsprechender staatskundlicher Unterweisung duchaus das Wahlrecht erhalten kann. Was es dann wohl wählen würde, fragen wir uns, Schwarz-Gelb oder Rot-Grün? Na, ist denn das so schwer zu erraten?

Fotos: © FeuilletonFrankfurt

→  documenta 13 in Kassel (1)
→  documenta 13 in Kassel (5)

documenta 13

Sarah Schoderer, Sabine Rak und Xue Liu in der Frankfurter Galerie Perpétuel

2012, Juni 4.

Leserinnen und Leser dieses Magazins wissen, wie sehr wir die Malerei und das Tafelbild wertschätzen. So kommt es nicht von ungefähr, dass wir bereits früher die Malerinnen Sarah Schoderer und Sabine Rak vorgestellt haben. Heute tritt der Künstler Xue Liu hinzu. Den drei Absolventen der Frankfurter Hochschule für Bildende Künste – Städelschule – widmet die Galerie Perpétuel derzeit eine in allen Aspekten stimmige Gemeinschaftsausstellung. Und Galerist Milorad Prentovic untermauert mit seiner Auswahl erneut seinen schon früher oft bewiesenen Qualitätsanspruch.

Alle drei waren Schülerinnen beziehungsweise Schüler der Professorin Christa Näher: Sabine Rak und Xue Liu als deren Meisterschüler; Sarah Schoderer studierte zusätzlich auch bei den Professoren Willem de Rooij und Wolfgang Tillmans.

Sarah Schoderer, Cat woman (Hollywood), 2012, Öl auf Leinwand, 60 x 50 cm Weiterlesen

documenta 13 in Kassel (5)

2012, Juni 3.

Was tut Stephan Balkenhols „Mann im Turm“ der documenta 13 an?

„Kunst wird von Menschen für Menschen gemacht.“
„Kunst muss Konkurrenz aushalten.“
„Das Prinzip von Kunst ist die Freiheit.“
Stephan Balkenhol in der Pressekonferenz am 1. Juni 2012 in Kassel

„Die mild und still, aber beharrlich präsenten Skulpturen von Stephan Balkenhol sind Bilder des Zweifels, Zweifel nicht als narratives Motiv, sondern als Struktur der bildlichen Wirkweise. In seiner Kunst geht es nicht um die klare Richtung, sondern darum, durch präzise Vieldeutigkeit und Varianz des Bildlichen geistigen Spielraum zurückzugewinnen. Spielraum ist hier nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln, sondern es geht um eine Art spielerischen Konzentrationsraum, einen anspruchsvollen bildlichen Vorstellungsraum, der andere, selbst erzeugte Imaginationen von innen erlaubt, anders als die auf neurophysiologische Überrumpelung von außen angelegte Bilderflut des informationellen Spätkapitalismus. Verkörpert in Holz, stellen sich Balkenhols Bilder des Zweifels gegen die Enteignung der individuellen Vorstellungskraft.“
Professor Matthias Winzen (aus seinem Beitrag zum Ausstellungskatalog)

„Die dOCUMENTA (13) widmet sich der künstlerischen Forschung und Formen der Einbildungskraft, die Engagement, Materie, Dinge, Verkörperung und tätiges Leben in Verbindung mit Theorie untersuchen, ohne sich jedoch Letzterer oder erkenntnistheoretischer Stilllegung unterzuordnen. Dabei handelt es sich um Gebiete, in denen Politisches untrennbar ist von einem sinnlichen, energetischen und weltgewandten Bündnis zwischen der aktuellen Forschung auf verschiedenen wissenschaftlichen und künstlerischen Feldern und anderen, historischen ebenso wie zeitgenössischen Erkenntnissen. Die dOCUMENTA (13) wird von einer ganzheitlichen und nichtlogozentrischen Vision angetrieben, die dem beharrlichen Glauben an wirtschaftliches Wachstum skeptisch gegenübersteht. Diese Vision teilt und respektiert die Formen und Praktiken des Wissens aller belebten und unbelebten Produzenten der Welt, Menschen inbegriffen. Die Teilnehmer der dOCUMENTA (13) decken ein weites Feld von Aktivitäten ab. Die meisten sind Künstler, aber manche kommen auch aus Bereichen der Wissenschaft, einschliesslich Physik und Biologie, Ökoarchitektur und organische Agrikultur, der Forschung nach erneuerbaren Energien, Philosophie, Anthropologie, ökonomische und politische Theorie, Sprach- und Literaturwissenschaften, einschliesslich Fiktion und Poesie. Sie alle tragen der dOCUMENTA (13) bei, in dem untersucht werden soll, wie verschiedene Formen des Wissens das Herz der aktiven Übung, sich die Welt neu vorzustellen, bilden. Was manche dieser Teilnehmer tun, und was sie in der dOCUMENTA (13) ‚ausstellen‘, mag Kunst sein oder auch nicht. Jedoch rufen ihre Taten, ihre Gesten, ihre Gedanken und ihr Wissen Umstände hervor, und werden wiederum von diesen Umständen produziert, die von der Kunst gelesen werden können – Aspekte, mit denen Kunst umgehen kann, und die von der Kunst aufgenommen werden können.“
Statement der Künstlerischen Leiterin der documenta 13 Carolyn Christov-Bakargiev (Pressemitteilung)

„Es wird hier keine künstlerische Repräsentation des Menschen geben.“
Carolyn Christov-Bakargiev

Was man noch lesen sollte:

„Kassel ist Australien“, Interview mit Carolyn Christov-Bakargiev in „Die Zeit“

„Über die politische Intention der Erdbeere“, Interview mit Carolyn Christov-Bakargiev in „Süddeutsche Zeitung“

Weiterlesen

Kloster Arnsburg (1)

2012, Juni 2.

Liebeserklärung an ein Kleinod in der Wetterau

Von Erhard Metz

Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen.
Friedrich Schiller (Attinghausen in: Wilhelm Tell)

Wir betreten Kloster Arnsburg durch den Pfortenbau (1774 bis 1777), über uns die Sandsteinstatue des Bernhard von Clairvaux, auf der Gartenseite die der Maria Immaculata. Und sind fortan in einer anderen Welt, inmitten der Wetterau. Tagsüber umgeben von Stille – wenn nicht gerade ein Touristenbus Halt macht. Wir wünschen dem Kleinod Publizität und damit auch ein wirtschaftliches Auskommen, aber am schönsten ist es, wenn man in der Klosteranlage allein mit sich selbst ist. Weiterlesen