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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Das Frankfurter Nibelungen-Projekt – Vom Festhalten des Augenblicks

Bildband von Monika Rittershaus
CD-Gesamtaufnahmen „Walküre“ und „Siegfried“

Text und Fotos: Renate Feyerbacher

Zwei zyklische Aufführungen von „Der Ring des Nibelungen“ stehen im Juni – genauer vom 2. Juni bis 1. Juli 2012 – auf dem Spielplan der Oper Frankfurt. Wie in Bayreuth gab es bereits vor Monaten einen Ansturm auf die Karten. Diejenigen, die leer ausgingen, können sich an dem opulenten Bildband der Theaterfotografin Monika Rittershaus, deren Fotografien zum Ring in einer Ausstellung im Holzfoyer des Opernhauses bis zum Ende der Spielzeit zu sehen sind, erfreuen, ebenso an den kurz zuvor erschienenen CD-Neuproduktionen von „Walküre“ und „Siegfried“. Es sind Live-Aufnahmen von November 2010 und Oktober/November 2011.

Schon als junger Mensch war ich in Rheingold und in der Walküre. Der grosse George London (1919 bis 1985) sang den Wotan an der Oper Köln. Ich war so begeistert und wartete mit meiner Mutter am Künstlerausgang, um mir ein Autogramm auf die mitgebrachte Schallplatte zu erbitten. Er freute sich. Ich war die einzige, die dort stand. Regie führte Wieland Wagner (1912 bis 1966), der Enkel des Komponisten, der in Bayreuth auch als Bühnenbildner einen neuen Stil der Abstraktion kreierte. Als Wagner 1965 an der Wiener Staatsoper den Lohengrin inszenierte und die Sängerin Anja Silja mitbrachte, die an der Oper Frankfurt sang und 2011 in der Frankfurter Paulskirche den Europäischen Kulturpreis erhielt, campierte ich nachts mit anderen vor der Cassa, die morgens öffnete. Ich war in Wien zu einem Auslandssemester. Die anderen Teile sah ich später an anderen Opernhäusern.

Zum ersten Mal nun habe ich den gesamten Ring an der Oper Frankfurt sehen können. Das legendäre Nibelungen-Projekt der Regisseurin Ruth Berghaus (1927 bis 1996), die seit 1980 sieben Jahre an der hiesigen Oper wirkte, habe ich nicht erleben können. Als Berufstätige und Mutter zweier kleiner Töchter war das nicht möglich. Ältere Opernfans schwärmen noch heute von diesem Berghaus-Ring.

Vera Nemirova

Die junge Regisseurin Vera Nemirova trat also ein schweres Erbe an. Grossartig, was sie schuf. Von ihrem Ring, den sie dem Frankfurter Opernpublikum bescherte, wird später auch geschwärmt werden können.

Und jetzt geniesse ich zu Hause den Augenblick des in Bild und Ton Festgehaltenen.

Oehms Classics hat zwei ausgezeichnete Produktionen im bewährten „Oper Frankfurt Recording System“ veröffentlicht. „Das Rheingold“ erschien bereits im letzen Jahr. Sowohl „Die Walküre“ als auch „Siegfried“ sind ausgestattet mit einem in deutscher und englischer Sprache getexteten Booklet, das Dramaturg Malte Krasting mit Gedanken und Notizen zur Inszenierung beziehungsweise zu Wotans Machtgelüsten einleitet. Es folgen die kompletten Libretti und ausführliche Künstlerbiographien. Die Farbfotos von Monika Rittershaus veredeln die Texte und erinnern an die Inszenierung.

Claudia Mahnke vor der Fotografie als Waltraute

Es begeistert, sich ganz auf die Musik konzentrieren zu können, die bereits bei den Aufführungen im Opernhaus ein einzigartiger Hörgenuss war. Auch diese Gesamtaufnahmen sind ein Hörgenuss. Die instrumentalen Höhepunkte, die solistischen Feinheiten beispielsweise der Bläser, können noch einmal nachvollzogen werden. Die Sängerinnen und Sänger, von denen fast jedes Wort zu verstehen ist, sind so authentisch zu hören, als sässe man im Opernhaus. Viel überschwänglich-berechtigtes Lob erhielt das Frankfurt Opern- und Museumsorchester unter Generalmusikdirektor Sebastian Weigle. Soeben höre ich das fulminant gespielte Vorspiel des 3. Aufzugs von „Siegfried“, wenn Wotan Erda begegnet. Das ist aufnahmetechnisch von höchster Qualität. Die gelegentlichen Beifallsbekundungen sind dezent eingeblendet und vermitteln das Gefühl, dabei zu sein.

Die Macher des Buches: Monika Rittershaus, Thomas Rach und Sven Neumann

Sebastian Weigle, der erstmals die komplette Tetralogie dirigierte, schildert in dem Buch „Zu schauen kam ich …“ seine Erfahrungen beim Dirigieren dieses Gipfelwerks, die Malte Krasting aufgezeichnet hat. Weigle kennt die Situation für das Orchester in Bayreuth. Letztes Jahr dirigierte er dort „Die Meistersinger von Nürnberg“ und vergleicht sie mit der Situation in Frankfurt. Das Geheimnis, das er für sich bei den Proben in Frankfurt als Dirigent gefunden habe, heisst „klein bleiben“, reduzierte Gestik. Symptomatisch ist der Titel seines Beitrags „Hörbar gemachte Fragezeichen“: „Die Musiker – Sänger wie Orchester – und ich halten ja engen Kontakt während der Vorstellung. Wenn dann zum Beispiel etwas Neues wirklich gelingt, wirft man sich einen kurzen Blick zu und lächelt und freut sich gemeinsam: Es gibt nichts Schöneres. Das wirkt lange nach“ (S. 143). Diese Harmonie ist auch in der Musik, die auf den CDs festgehalten wurde, zu spüren.

Mit dem Bildband „Zu schauen kam ich …“ der Theaterfotografin Monika Rittershaus kann man die gesamte Ring-Tetralogie – musikalisch fehlt nur noch der letzte Teil „Götterdämmerung“, der in wenigen Wochen erscheint – vor seinem geistigen Auge wiederbeleben, das eine oder andere vertiefen und das, was vielleicht bei der Aufführung übersehen oder nicht so wahrgenommen wurde, entdecken.  Diejenigen, die nicht dabei sein konnten, werden durch die aussergewöhnlichen Fotos mitgenommen.

Dazu gibt es persönliche und informative Beiträge. Der Hausherr, Intendant Bernd Loebe, der sinniert, wie die Oper uns verändern kann, schreibt: „Jedes einzelne Foto enthüllt die Wahrheit des Augenblicks und ermöglicht einen Einblick in die Seele des jeweiligen Sängers“ (S. 6). Das ist tatsächlich so. Diese Fotos sind sehr nahe an den Menschen, die Wotan, Siegfried, Brünnhilde oder Sieglinde darstellen. Durch ihre Rollen schimmert deren eigene Persönlichkeit.

Auch Chefdramaturg Norbert Abels widmet seine Notizen „Mal der Sinnlosigkeit“ über „Das Rheingold“ der Fotografin.

Die scheidende Oberbügermeisterin Petra Roth schildert ihre Begeisterung für den „menschlichen“ Ring und lobt ihre Devise, „meine Intendanten machen zu lassen, ihnen nicht hineinzureden, sondern ihre mutigen und ambitionierten Spielpläne zu unterstützen“ (S. 5).

Grosse Förderin der Oper Frankfurt: Oberbürgermeisterin Petra Roth am 2. Juni 2012 bei der Präsentation des Buches

Wie wird es damit in der Zukunft sein? Wird diese künstlerische Freiheit auch weiterhin gewährleistet bleiben?

Mit Wagners Welttheater und Nemirovas Deutung beschäftigt sich Musikredakteurin Julia Spinola. Sie nennt sie „anschaulich, verständlich, menschlich“.

Die in Frankfurt lebende, mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin Zsuzsa Bánk erzählt von ihren Ring-Erlebnissen, von ihrem Ring-Virus, von Bayreuth, von Nemirovas Interpretation. „Alles, was unser Menschenleben bereithält, auch wenn es im Ring Götter sind, um die sich alles dreht, finden wir hier – die Hoffnungen, Verwerfungen und Ängste, aus denen das Geflecht unserer Existenz geknüpft ist“. Als Familiengeschichte (S. 10) interpretiert sie die Tetralogie, die Regisseurin Vera Nemirova mit „Walhall, das sind wir“ auf den Punkt bringt. Und sie gibt kleine Geheimnisse von sich und den Proben preis. Sie schildert beispielsweise ihre Angst nach Bernd Loebes Vorgespräch-Satz, wer mit dem Rheingold beginne, müsse bereits wissen, wie die Götterdämmerung aufhöre. Diesen Satz habe sie versucht zu verdrängen. Sie war begeistert von der Atmosphäre bei der Arbeit, die sie als als Einladung zu einem „Familientreffen“ empfand.

Peter Marsh vor der Fotografie als Mime

Jens Kilian, der Idee gebende Schöpfer der Ring-Scheibe, der in den Programmheften schon Stimme bekam, und Dramaturg Malte Krasting deuten und erklären die komplizierte Bühnenkonstruktion, die Bühnenskulptur. Und last not least erläutern Kostümschöpferin Ingeborg Berneth und Lichtdesigner Olaf Winter ihre Vorstellungen vom Mythischen und Heutigen.

Mein persönliches Fazit: herausragende CD-Neuproduktionen und ein faszinierender Bildband.

→ Das Frankfurter Nibelungen-Projekt – Vom Festhalten des Augenblicks (Folge 2)

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