Kloster Arnsburg (1)
Liebeserklärung an ein Kleinod in der Wetterau
Von Erhard Metz
Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen.
Friedrich Schiller (Attinghausen in: Wilhelm Tell)
Wir betreten Kloster Arnsburg durch den Pfortenbau (1774 bis 1777), über uns die Sandsteinstatue des Bernhard von Clairvaux, auf der Gartenseite die der Maria Immaculata. Und sind fortan in einer anderen Welt, inmitten der Wetterau. Tagsüber umgeben von Stille – wenn nicht gerade ein Touristenbus Halt macht. Wir wünschen dem Kleinod Publizität und damit auch ein wirtschaftliches Auskommen, aber am schönsten ist es, wenn man in der Klosteranlage allein mit sich selbst ist.
Das Flüsschen Wetter, das die romanisch-frühgotische bis barocke, von einer komplett erhaltenen Mauer umgebene Klosteranlage durchfliesst, gab einer der ältesten Kulturlandschaften Deutschlands den Namen.
Der aus der Wetter zur alten Klostermühle ausgeleitete Mühlbach
Es ist ein geschichtsträchtiger Ort. Schon in der Bronzezeit besiedelt, errichteten die Römer im 1. Jahrhundert n. Chr. dort am nördlichen Limes das Kohortenkastell Arnsburg, das in Grösse und Bedeutung der Saalburg nicht nachstand. Nach Abzug der Römer und dem Verfall von Limes und Kastell bauten um etwa 800 die Franken an dieser Stelle eine erste Burg, der um circa 1000 eine zweite, die Arnsburg, folgte. Auch sie verfiel, nachdem die Burgherren in die nahe gelegene Münzenburg übergesiedelt waren. Etwa um 1150 begannen Abkömmlinge dieser Herrschaft, nun auf den Ruinen des Kastells, ein zur Abtei Fulda gehöriges Benediktinerkloster zu gründen, das jedoch unvollendet blieb. Nur wenig später, 1174, setzten Mönche des Zisterzienserordens das Bauvorhaben fort und errichteten das heute noch in Teilen erhaltene Kloster. Die Basilika wurde kurz vor 1200 begonnen und Mitte des 13. Jahrhunderts geweiht; um diese Zeit entstanden auch der (heute nicht mehr vorhandene) Kreuzgang und die übrigen klösterlichen Bauten wie der herrliche Kapitelsaal.
Die Bauernkriege, die Wirren im Zeitalter der Reformation und der Dreissigjährige Krieg, der Österreichische Erbfolgekrieg und der Siebenjährige Krieg bewirkten auch in Arnsburg grosse Zerstörungen. Erst im 18. Jahrhundert setzte eine neue Blüte des Klosters ein, es entstanden die noch heute grossenteils erhaltenen barocken Bauten: Prälatenbau 1727, Abteigebäude 1745, Küchenbau 1747, Pfortenbau 1774 bis 1777. Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 mit der Säkularisation, also der Auflösung der geistlichen Reichsstände und der kirchlichen Besitztümer, bedeutete auch für das Kloster Arnsburg das Ende. Die Klosterkirche verfiel. Die Liegenschaften gingen in den Besitz der Solmser Linien Braunfels, Lich, Rödelheim und Laubach über. Heute dienen Teile der barocken Bauten den Nachfahren der Linie Solms-Laubach als Wohnschloss.
Ruinen haben als Zeugen vergangener Jahrhunderte ihren besonderen Charme. Sie wecken Phantasien und Emotionen und entfalten symbolische Bedeutung. Zahlreiche Dichter haben sie besungen. Im englischen Landschaftspark des 18. und 19. Jahrhunderts wurden künstliche Ruinen errichtet; vor allem die Romantik fand Gefallen an der Ästhetik des Zerfalls.
Ostbau mit dem bedeutsamen frühgotischen Kapitelsaal
Der barocke Torbogen mit Blick zur Ruine der dreischiffigen zisterziensischen Basilika
Jahrhunderte und Generationen kommen und gehen. Nachfolgende erneuern und verändern, was Vorgänger zerstörten und verfallen liessen. Doch das 19. Jahrhundert gab sich erbarmungslos: 1818 stürzten Dächer und Gewölbe der Basilika ein. Verwahrlosung, Zerstörung und Abbruch waren der Trend jener Jahrzehnte. Erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs zog denkmalpflegerisches Bewusstsein ein, besann man sich eines besseren und veranlasste konservatorische Massnahmen, um Ruinen und noch intakte Gebäude zu sichern und zu erhalten. Ein 1960 gegründeter „Freundeskreis Kloster Arnsburg“ hegt und pflegt im Rahmen seiner Möglichkeiten die einzigartige Anlage.
Bursenbau (Erdgeschoss um 1250, Obergeschoss und Mansardendach 1750)
Prälatenbau (1727) und Abteihaus (links, 1747)
Schon im 19. Jahrhundert hielten Stahlstiche und Radierungen die bauliche und landschaftliche Situation der Anlage fest. Heute ist Kloster Arnsburg ein von manchen wiederentdecktes Ausflugsziel. Kunst und Kunsthandwerk liessen sich nieder, wie schon Ende des 19. Jahrhunderts Maler und Fotografen dem ebenso erhabenen wie morbiden Charme der Anlage nachspürten. Das Dormitorium wurde saniert und dient heute als Konzertsaal und Ausstellungsort für Künstlerinnen und Künstler.
Davon berichten wir in Teil 2 unserer mit einem Bilderbogen geschmückten Liebeserklärung an Kloster Arnsburg.
Fotos: Erhard Metz