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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt / 3

Spielzeit 2011 / 2012 (Eine Auswahl)

Von Renate Feyerbacher

Medea
Hamlet, Prinz von Dänemark
Die Physiker
Ein Sommernachtstraum

Ausblick und Rückblick

Für die kommende Spielzeit 2012 /2013 gibt es diesmal kein Motto. Das zunächst alles beherrschende Projekt ab September wird Johann Wolfgang von Goethes „Faust“ als „theatralische Offensive“ sein. Elfriede Jelinek wird mit ihrem Sekundärdrama zu Urfaust „FaustIn and out“ dabei sein, auch Christopher Marlowe als Puppenspiel für Kinder ab zehn Jahren.

Aber die Faust-Manie wird nicht gänzlich die Schauspiel-Bühne beherrschen. Einige der anderen Höhepunkte sind: Carl Zuckmayer „Des Teufels General“, Hans Fallada „Kleiner Mann, was nun?“ (Regie Michael Thalheimer), Ödon von Horváth „Kasimir und Karoline“ (Regie Christoph Mehler), William Shakespeare „Otello“ (Regie Andrea Breth), Anton Tschechow „Die Möwe“ (Andreas Kriegenburg). Wer die Regisseure kennt, wird begeistert sein. Ausserdem gibt es zwölf Uraufführungen wichtiger junger Autoren, Jugendstücke und wie gehabt die Gesprächsreihen von Daniel Cohn-Bendit und Michel Friedman.

Ein Blick zurück in die bald zu Ende gehende Spielzeit:

Intendant Oliver Reese hat sich mit seinem Programm endgültig in Frankfurt etabliert. Die Auslastung der Häuser konnte bis Ende März 2012 auf über 86 Prozent gesteigert werden.

Intendant Oliver Reese vor dem Thomas Bernhard-Relief im Schauspielhaus am 25. 4. 2012; Foto: Renate Feyerbacher

Wieder gespielt wurden die Stücke „Ödipus /Antigone“ (Regie Michael Thalheimer), „Das Weisse Album“, Jean Racine „Phädra“ (Regie Oliber Reese) und „Maria Stuart“ (Regie Michael Thalheimer), „Die Katze auf dem heissen Blechdach“ (Regie Bettina Bruinier), „Die Frau, die gegen die Türen rannte“ (Regie Oliver Reese), „Einsame Menschen“. (Regie Hanna Rudolph). Bis auf „Das Weisse Album“ und „Die Katze auf dem heissen Blechdach“ werden alle genannten Stücke auch in der kommenden Spielzeit wieder gezeigt. Es sind sehenswerte Aufführungen sowohl im Hinblick auf die Regie als auch die schauspielerischen Leistung (s. Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt / 1 und Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt / 2).

Immer wieder holt Oliver Reese, ehemaliger Intendant des Deutschen Theaters Berlin, Gastspiele von dort an den Main. Ich denke an Thomas Bernhard „Ritter, Dene, Voss“ (Regie Oliver Reese, mit Constanze Becker, Ulrich Matthes und Almut Zilcher) im November 2009, wenig später Anton Tschechow „Die Möwe“ (Regie Jürgen Gosch [1943 bis 2009], mit Corinna Harfouch und Katheen Morgeneyer ), eine geniale Inszenierung mit fantastischen Schauspielerinnen und Schauspielern, an Samuel Beckett „Endspiel“ (Regie Jan Bosse, mit Ulrich Matthes und Wolfram Koch) im Januar 2011, zwei geniale Beckett-Gestalten.

Ulrich Matthes und Wolfram Koch am 20. 2. 2011 beim Schlussapplaus; Foto: Renate Feyerbacher

Ich denke an Gerhart Hauptmann „Die Ratten“ im Januar 2012 (Regie Michael Thalheimer), eine klare, moderne Interpretation mit einer eindrucksvollen Constanze Becker, an Maxim Gorki „Kinder der Sonne“ (Regie Stephan Kimmig, mit Nina Hoss, Katharina Schüttler und Ulrich Matthes). Für diese Inszenierung erhielt Kimmig den Theaterpreis FAUST, der im letzten Jahr in der Oper Frankfurt verliehen wurde. Die anfangs so lässig daher kommende, scheinbar belanglose Geschichte, in der jeder sich selber sehr nah, aber dem anderen fern ist, der dann die Sonne abhanden kommt, deren Leichtigkeit in Düsternis versinkt, fasziniert und begeistert durch grosse Schauspielkunst.

Katharina Schüttler, Ulrich Matthes, Nina Hoss beim Schlussapplaus am 1. 5. 2012; Foto: Renate Feyerbacher

Neue Stücke in der Spielzeit 2011/2012 – eine Auswahl

„Medea“ – liebende Mutter, Kindermörderin, Rächerin – ein Geschlechterkampf

Leere Bühne, hinten, eine Art Gazenetz-Vorhang, der sich später heben wird, und eine hohe Wand mit einer Stufe, die sich etwas nach vorne schiebt. Plötzlich ein dumpfer Schlag, dann werden es viele Schläge, wie hämmernd prasselt es auf das Publikum. Es sind die Schritte der schwarz  gekleideten Amme (Josefin Platt) auf Kothurnen. Minutenlang durchschreitet sie so diagonal die Bühne. Düsteres kündigt sich an. Eine Kälte, wie sie kaum besser realisiert werden kann.

Auf der Stufe oder dem schmalen Steg agiert Medea: stehend, hockend, sich krümmend, schreiend, verzweifelnd, gedemütigt, verspottet, blutend – sehr entfernt vom Zuschauer.

Constanze Becker (Medea); Foto © Birgit Hupfeld, Schauspiel Frankfurt

Jason, ihr Mann, Vater der beiden Söhne, hatte sie verlassen, um Kreons Tochter zu heiraten. „Ich trenne mich von dir, um eine Mann durch mich zu sein“. Sie, die für ihn ihre Familie in Kolchis verraten hat, die das Goldene Vlies entwendete und nun als Fremde in Korinth lebt, hatte für Jason alles getan und geholfen, ihn zum griechischen Helden zu machen. Nun will sie König Kreon mit den Kindern verbannen. „Ich, die ihm einst so viel bedeutete, bin ihm nun nichts mehr wert“ (zitiert nach Programmheft „Medea“, übersetzt von Peter Krumme, Verlag der Autoren Frankfurt).

Noch oben stehend ist sie wie verwandelt: heuchelnd, bittend, flehend, lügend, schmeichelnd beginnt sie ihren Racheplan zu schmieden. Er gipfelt im Kindermord. Sie umgarnt Kreon und Jason.

Am Ende, wenn diese Mauer fast zum Bühnenrand vorgefahren wird und wieder nur einen schmalen Steg für die Agierenden lässt, Jason fast von der Bühne drückt, ist sie wie verwandelt: im Businesslook, im schwarzen Kleid, adrett, selbstbewusst schreitet sie fort, einen zerstörten Gatten zurück lassend. Sie geht nach Athen, wo ihr der kinderlose König Aigeus Asyl gewährt, hoffend auf Kinder. Höchst umstritten ist diese zwiespältige Frau.

Euripides schrieb diese Tragödie, die 431 v. Chr. uraufgeführt wurde. Er nennt Medea eine „grimmige Löwin und kein Weib“, aber am Ende lässt er sie entschweben, von Zeus unterstützt. Zwiespältig zeichnet er diese Figur: Er zeigt sie als Monster, verurteilt sie, lässt sie dann über sich hinauswachsen, sich emanzipieren. Ist er auf Seiten Medeas?

Regisseur Michael Thalheimer; Foto: Renate Feyerbacher

Der vielfach ausgezeichnete Regisseur Michael Thalheimer (*1965 in der Nähe von Frankfurt) hat diesen Schluss unglaublich zeitnah umgesetzt. Das verbale Duell zwischen Medea und Jason geht voll an die Substanz – Geschlechterkampf pur.

So makaber es ist, Medea hat sich befreit, das Unglück, eine Frau zu sein, überwunden. Jason, im dunkelblauen Samtanzug, trumpft zunächst als Mann auf, wird aber von ihr total fertiggemacht. Marc Oliver Schulze ist ein schauspielerisch ebenbürtiger Gegenspieler, Verlierer. Becker und Schulze waren bereits in Talheimers „Ödipus“ / „Antigone“ ein beeindruckendes Gespann.

Den Chor bündelt er in der Person von Bettina Hoppe, die sachlich, aber mit einfühlsamer Teilnahme den seelischen Zustand schildert. Martin Rentzsch als Kreon bestimmend, aber nicht bösartig, Michael Bentheim als indifferenter König Aigeus und Viktor Tremmel als unsicherer Bote. Ein überzeugendes Schauspielerteam.

„Hamlet, Prinz von Dänemark“ – Zauderer, Handelnder

Ein Held ist er nicht, dieser däniche Prinz Hamlet. Er erkennt nicht, ob die Heimsuchung durch den Geist des toten Vaters, der vergiftet wurde, Trug oder Wahrheit ist. Und so beginnt er zwischen Realität und Wahn zu schlittern. Soll er handeln, also rächen, wie er es dem Vater versprach, oder soll er tatenlos über das Geschehene hinweg gehen?

Regisseur Oliver Reese hat die Rolle des Hamlet mit Bettina Hoppe besetzt. Ein Wagnis? Sie ist auch ein Juwel im Frankfurter Ensemble. 2010 war sie nominiert für den Theaterpreis DER FAUST für ihre Darstellung als Stella. Eine gute Entscheidung? Ja. Sie hat das Talent, männliche Eigenschaften in ihren Rollen glaubhaft umzusetzen. Herb kann sie sein. Ihre Fechtszene mit Laertes, dem Sohn des durch Hamlet ermordeten königlichen Beraters Polonius und Bruder von Ophelia, die sich das Leben nahm, ist von unglaublicher Härte.  Aber dann setzt sich Hamlet/Hoppe an den Flügel, sinniert und spielt. Grandios wie er/sie zögert, nachdenkt, es ist zu sehen, wie Verstand und Gefühl miteinander hadern und wie er/sie schliesslich brutal zuschlägt, ohne die absolute Wahrheit gefunden zu haben.

„Ich muss unmenschlich sein, nur um menschlich zu sein.“

Bettina Hoppe (Hamlet); Foto © Birgit Hupfeld, Schauspiel Frankfurt

William Shakespeare (1564 bis 1616) hat „Hamlet“ geschrieben. War der Autor dieser Mann aus Stratford-upon-Avon oder der Earl Edward de Vere, Earl of Oxford (1550 bis 1604)? Wie dem auch sei, „Hamlet“ ist ein Stück der Weltliteratur, das auf unseren Bühnen ständig präsent ist.

Die ganze Bühne ist ein Spiegelsaal, der hinten durch Treppen abfällt (Bühne: Hansjörg Hartung). Wenn Türen geöffnet und geschlossen werden, vibrieren die Wände. Die Spiegelungen, die nichts Konkretes vermitteln, verschwimmen, passen ausgezeichnet zu der oberflächlich-eleganten Hofgesellschaft. Oliver Reese wechselt zwischen Dynamik und Ruhe. Ein agiles Schauspielerteam steht ihm zur Verfügung mit Stephanie Eidt als Hamlets Mutter und Till Weinheimer als König Claudius, Bruder und Mörder von Hamlets Vater. Ein glamouröses Paar. Sébastien Jacobi ist ein starker Laertes, seine Schwester Ophelia, gespielt von Sandra Gerling, ein zaghaftes Geschöpf. Es ist spannend inszeniert, am Text entlang, allerdings ohne besondere Inspiration.

„Die Physiker“ – verrückte Verrückte

Sie sagen, sie seien Newton, Einstein, Möbius, drei Physiker im teuren Schweizer Sanatorium, besser Irrenanstalt genannt. Irre geht es wirklich zu und gefährlich sind die drei auch: eine Krankenschwester nach der anderen wird von ihnen umgebracht.

Betreut werden sie von Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd, hochhackig, mit wippendem Rock, drall, rothaarig, zigarrettenrauchend – herrlich dargestellt von Traute Hoess. Suffisant lächelnd, stolzierend, in die Kemenaten der vermeintlich Verrückten kletternd, das ist irre. Das Bühnenbild (Robert Schweer) steht auf dem Kopf – ver-rückt, so auch Markus Bothes Regiearbeit.

Thomas Huber (Einstein), Andreas Uhse (Möbius), Sascha Nathan (Newton); Foto © Birgit Hupfeld, Schauspiel Frankfurt

Sascha Nathan, ein grandioser Komödiant, spielt Beutler alias Newton, Thomas Huber den Ernesti alias Einstein und Andreas Uhse, der in „Mein Kampf“ von George Tabori brillierte, spielt Möbius, den echten Physiker, der sich ins Sanatorium zurückzog um seiner Forschung willen. Die, die sich als Newton und Einstein ausgeben, sollen ihn aushorchen und zur Mitarbeit ihrer jeweiligen Gesellschaft gewinnen. Und das Fräulein Doktor – welche Rolle spielt sie? Es soll nicht verraten werden.

Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt (1921 bis 1990) beglückte die Theaterwelt mit tragikkomischen Stücken wie „Die Physiker“ (1962) und „Der Besuch der alten Dame“ (1956). Kennzeichen seines Schreibens sind Katastrophen, Pannen und Desaster. Scheinbar witziger Galgenhumor in unserer desaströsen Welt.

„Ein Sommernachtstraum“ – die Zelt-Produktion nun im Grossen Haus.

2011 wurden Bühnen- und Lichttechnik aus dem Jahr 1963 im Schauspiel Frankfurt modernisiert. Und um keinen Leerlauf im Spielplan zu haben, wurde ein Zelt an der Honsellbrücke aufgebaut. In diesem Ambiente war „Ein Sommernachtstraum“ ideal.

Sascha Nathan (Puck), Michael Goldberg (Oberon), Bettina Hoppe (Titania), Torben Kessler (Inderjunge); Foto © Birgit Hupfeld, Schauspiel Frankfurt

Wieder ein grossartiges Schauspielerteam, aber für meine Begriffe eine zu duchgeknallte Regie von Markus Bothe.

Alle genannten Stücke sind noch im Mai und im Juni im Grossen Haus des Schauspiel Frankfurt zu sehen und ausser „Ein Sommernachtstraum“ auch in der neuen Spielzeit ab September 2012.

→  Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt / 1
→  Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt / 4

 

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