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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Gerhard Richter – ein Ausnahmekünstler

Marianne (Ema), Betty, Sabine …

Eine persönliche Betrachtung
von Renate Feyerbacher

Nur noch wenige Tage, bis zum 13. Mai 2012, verbleibt die Ausstellung „Panorama“ (Rundblick) in der Neuen Nationalgalerie Berlin. Der „RAF-Zyklus“ ist in der Berliner Alten Nationalgalerie in zu sehen.

„Ein Bild kann uns helfen, etwas zu denken, was über dieses sinnlose Dasein hinausgeht. Das ist etwas, das die Kunst kann.“ Gerhard Richter in einem Interview 2002.

Die Neue Nationalgalerie, dieser klare, lichtdurchflutete Bau des deutsch-amerikanischen Architekts Mies van der Rohe (1886 bis 1969), erscheint als idealer Ort für Richters Werke, so der erste Eindruck.

Aufsteller vor der Neuen Nationalgalerie

Anlass für diese Schau ist Gerhard Richters 80. Geburtstag.

Nationalgaleriedirektor Udo Kittelmann und Gerhard Richter, einen Tag nach dessem Geburtstag

Geboren wurde der Ausnahmekünstler, wie ihn Kaspar König nennt, am 9. Februar 1932 in Dresden. König kennt ihn gut. Der langjährige Rektor der Städelschule, der direkt nach seinem Amtsantritt 1987 Gerhard Richter als Professor nach Frankfurt am Main holte, der später als Direktor des Museum Ludwig nach Köln ging, wo Richter heute wohnt, kuratierte einige seiner Ausstellungen. König nennt ihn einen bekennenden Maler.

In den über fünfzig Jahren seines Wirkens auch als Zeichner, Bildhauer und Fotograf blieb er der Malerei immer treu.

Das ist das, was mich an dieser Präsentation, die ein halbes Jahrhundert seiner künstlerischen Produktionen zeigt, besonders fasziniert hat: seine Malerei.

Der Vorraum, in dem unter anderem die überdimensionalen Cage-Bilder von 2006 hängen, sollte zunächst durchschritten werden, um zu  „Ema – Akt auf einer Treppe“ zu gelangen.

Ema (Akt auf einer Treppe), 1966, Öl auf Leinwand, 200 x 130 cm, © Gerhard Richter, Foto: Renate Feyerbacher

Faszinierend ist die Feinheit dieses Aktes seiner ersten Frau, die er 1957 in Westdeutschland geheiratet hatte, die aber erst 1961 auf Umwegen dorthin übersiedelte. Er malte Marinne Eufinger (Ema) zwei Jahre nach seinem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie 1964. Einen ersten Studienabschluss hatte er bereits 1956 an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste, wo er Wandmalerei studiert hatte, erworben. Nach Dresden kehrte er übrigens erst im Dezember 1986 zurück.

Marianne alias Ema ist die Mutter seiner ältesten Tochter Babette (Betty), die am 30. Dezember 1966 geboren wird. „Ema“ ist ein Akt par exellence. Es zeigt die schwangere Frau. Seine Ästhetik, möglich durch die Unschärfe, hat etwas Archaisches in psychologischer Hinsicht. Das Bild ist von grosser Intimität, die zarten Farben ermöglichen sie.

Nur wenige Bilder nach rechts hängt die „Studentin“ von 1967. Welch ein Kontrast. Herb, lieblos, pornographisch hält uns die Studentin ihre Scheide hin. Es war eine Zeit, als Frauen glaubten, die Promiskuität gehöre zu ihrer Emanzipation. Daran dachte ich bei diesem malerisch ausgefallenen Bild.

Gerhard Richter ging aus künstlerischen Gründen in den Westen. Aber hier vermisste er die Freundschaften, die er im Osten hatte: „… mit Freunden ist hier nicht viel los. (Hinzu kommt, dass das hierzulande ohnehin nicht so gefragt ist, das hat allerlei Gründe, aber ich bin heute nicht ernst aufgelegt.) Auf jeden Fall, derart festliche freundschaftliche Begegnungen, wie wir sie kannten, kommen uns heute wie ein Traum, ein wunderbarer, vor. Es war schön mit Euch! – Ein Elend.“ (Brief an Helmut Heinze vom 9. Dezember 1962, zitiert aus dem Ausstellungskatalog).

Zur Erinnerung: Am 13. August 1961 wird die Berliner Mauer gebaut.

Ferrari, 1964, Öl auf Leinwand, 145 x 200 cm, Ausstellungsansicht

„Ferrari“ drückt die Oberflächlichkeit aus, die dieser westdeutschen Gesellschaft anhaftete und wieder stark anhaftet. Gier damals und heute.

In einem anderen Brief nannte er Marianne, seine Frau, den einzigen Menschen, der ihm blieb. Ein Jahr zuvor malte er „Tante Marianne“.

Tante Marianne, 1965, Öl auf Leinwand, 120 x 130 cm, © Gerhard Richter, Foto: Renate Feyerbacher

Es gehört zu den Familienbildern. Das Fotoalbum war eines der wenigen Erinnerungsstücke, die er aus der DDR mitgenommen hat. Nie mehr sah er seine Eltern, seine gesamte Familie wieder. Das Foto von Richters schizophrener Tante mütterlicherseits, Marianne Schönfelder, die sterilisiert und 1945 Opfer der Euthanasie wurde, stammt sicher aus dem Album.

Richter wusste nicht, als er das Bild malte, dass sein Schwiegervater, Chefgynäkologe Heinrich Eufinger in der Dresdner Frauenklinik Friedrichstadt, für ihren Tod verantwortlich war (Quelle Katalag – Anmerkung: Jürgen Schreiber, Ein Maler aus Deutschland: Gerhard Richter – das Drama einer Familie, München 2005 passim).

„Tante Marianne“ stimmt auch ohne dieses Wissen sehr nachdenklich. Die Verwischungen macht Richter ganz bewusst, um so etwas Verbindendes zu erreichen. Die feinen Linien, die verbinden, wollen vielleicht sagen, ich gehöre dazu. Die Wischeffekte auf diesen fotografischen Abmalungen: drücken sie geheime Wünsche aus, Vorstellungen, Träumereien, Hoffnungen?

Mit Fotoabmalungen und Übermalungen hatte Richter im Westen begonnen, liess sich aber von dem Mainstream Fotografie nicht vereinnahmen.

Zeitlebens sind für Gerhard Richter Familie, die er oft malt, und Freundschaften wichtig. Ohne dieses Wissen ist sein Werk nicht zu deuten.

Betty, 1988, Öl auf Leinwand, 102 x 72 cm, © Gerhard Richter, Foto: Renate Feyerbacher

Babette, genannt Betty, hat er 1977 liegend gemalt und 1988. Warum hat er sie von hinten gemalt? Sie wendet sich vom  malenden Vater und dem Betrachter ab. Sie ist damals 22 Jahre alt. Protest, Loslösung vom Elternhaus oder ganz andere Intentionen des Malers und der Tochter? Die Feinheit des Pinselstrichs bei den Haaren und dem Blumenmuster auf der Weste erinnert mich an niederländische Meister.

Lesende, 1994, Öl auf Leinwand, 72 x 102 cm, © Gerhard Richter, Foto: Renate Feyerbacher

Die Malerin Sabine Moritz (*1969) ist seine dritte Frau, die Heirat war 1995. Kurze Zeit zuvor hatte er sich von der Künstlerin Isa Genzken (*1948)  getrennt, die er 1982 geheiratet hatte. Mit Sabine, die er als letzte Studentin an der Düsseldorfer Kunstakademie in seine Klasse aufnahm, hat er drei Kinder. In seinen Selbstbildnissen verwischt der Künstler, der ein alter, für den jüngsten Sohn (* 2006) ein sehr alter Vater ist, das Portrait. Bei einem anderen senkt er den Kopf. Soll sein wahres Alter nicht erkannt werden?

Richters Bild „Lesende“ ist eine Huldigung an eine schöne Frau und ans Lesen, dieses wichtige, prägende Ritual. Fein ist das Licht, das den Text, aber auch die junge Frau und ihren Nacken, ihre Haare erhellt. Wunderschön sind die feinen Lichtabstufungen, Schattierungen. Ein Meisterwerk, das grosse Ruhe und Insichgekehrtheit ausstrahlt.

Es erinnert an Jan Vermeers (1632 bis 1675) „Briefleserin“.

Richter ehrt in seinen Gemälden die alten Meister. Frühe Landschaftsbilder erinnern an Kaspar David Friedrich. Richter wurde Flucht in die schönen Künste vorgeworfen. Wie dem auch sei: 1973 malte er „Verkündigung nach Tizian“, und es fasziniert. Es hat Eigenständigkeit, löst sich los von Tizians Vorbild.

Verkündigung nach Tizian, 1973, Öl auf Leinwand, 125 x 200 cm, © Gerhard Richter, Foto: Renate Feyerbacher

Die Ikonographie ist nahezu gleichbleibend: der schwebende Engel, die knieende Maria, die Hintergrund-Architektur, aber nur alles verschwommen wie eine unscharfe Fotografie. Dennoch: Es gibt vor allem farbliche Veränderungen. Was hat den „gläubigen Atheisten“ zu diesem Bild bewegt? Das kann auch gefragt werden bei seinem Kirchenfenster im Kölner Dom, das er 2007 vollendete.

Ende der sechziger Jahre waren Stadtbilder ein Thema.

Stadtbild Paris, 1968, Öl auf Leinwand, 200 x 200 cm, Ausstellungsansicht

Mit Pinsel verschiedener Breite malte er Paris. Weiss und Grau verschwimmen.  Grau in grau, wie zerstört, wie Bilder aus dem Krieg erscheinen sie, wie bombadierte Städte. Nichts hat mehr mit korrekter Wiedergabe zu tun. Ich denke an Kokoschka und lese, dass er 1985 den gleichnamigen Preis erhielt.

In einem Gespräch 2006 äussert er, dass die Städte verbombt aussehen. Die Bombadierung Dresdens hat er als Kind miterlebt. Aber warum malt er Paris so? Hat er eine Zukunftsvision? Dachte oder denkt er an die mögliche atomare Auslöschung?

Wenig später beginnt er mit den Wolkenbildern, den Seestücken.

Seestück (See – See). 1970, Öl auf Leinwand, 200 x 200 cm, Ausstellungsansicht

Bedrohlich, schmutzig sind Wolken und See. Unglaublich wirken die differenzierten Schattierungen der grauen Farbe. Nichts Romantisches, nichts Himmlisches bietet sich. Die Städte, die Landschaften und zwangsläufig die Menschen sind beschädigt. Diese Botschaft höre und sehe ich aus diesen Bildern.

Lange – nah und fern vom Bild – habe ich verweilt, um die grossartige Malweise, die sich rollenden Wellen, in mich aufzunehmen. Alles tobt.

Ein Jahrzehnt später beginnt er mit seinen Spiegelwänden. Spiegel wurden zuerst als „szenografisches Mittel“ in einer Gemeinschaftsausstellung mit Georg Baselitz eingesetzt. Glasscheiben und Spiegel wurden später für ihn zu einem bedeutenden Teil seines Werkes. Der Spiegel, so sagte er in einem Interview 2008, ist „das einzige Bild, das immer anders aussieht. Und vielleicht auch ein Hinweis darauf, das jedes Bild ein Spiegel ist“.

Grausam und faszinierend ist Richters Werk „September“ von 2005, das die Terroranschläge auf das World Trade Center vom 11. September 2001 darstellt.

Lange hat er über eine Darstellung nachgedacht, die er nicht als Happening wollte. Viele Zeichnungen hat er vorher gefertigt. Ein unwirklich-wirkliches Bild ist entstanden. Nichts Konkretes ist zu sehen. Die Flugzeuge sind nur als Pinselwischer wahrzunehmen.

Cage (3, 5, 6), 2006, Öl auf Leinwand, je 300 x 300 cm, Ausstellungsansicht

Zuletzt noch ein Blick auf die 3 mal 3 Meter grossen abstrakten Cage-Bilder. Richter schätzte den Komponisten John Cage (1912 bis 1992). Wer dessen Musik kennt, nimmt die Töne in diesen Bildern wahr.

Gerhard Richter, Panorama, Neue Nationalgalerie Berlin, bis 13. Mai 2012

(Werke © Gerhard Richter; Fotos: Renate Feyerbacher)

 

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