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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Von Frankfurt am Main nach Marseille – mit 320 km/h per Bahn

Marseille auf dem Weg zur neuen französischen Trendmetropole am Mittelmeer

Von © Juliane Adameit
Fotografien (soweit nicht anders bezeichnet): © Juliane Adameit

Les Calanques bei Marseille

Noch nie hat es so etwas gegeben! Wann konnte man im Eiltempo von Frankfurt aus bequem und ohne Umsteigen bis ans Mittelmeer fahren? Dies ist seit dem 23. März 2012 im Doppelstock-TGV Duplex der staatlichen französischen Eisenbahngesellschaft SNCF in Kooperation mit der Deutschen Bahn möglich. In nur rund siebeneinhalb Stunden ist der über 1000 km lange Weg bis ans Mittelmeer geschafft. Das hört sich nach einem anderen „Zeitalter“ oder fast nach „Formel I mit der Bahn“ an. Dazu bietet die Reiseroute ab Frankfurt interessante Zwischenstopps an: in Mannheim, Karlsruhe und Baden-Baden, in Strasbourg, Mulhouse, Belfort, Besançon, Chalon-sur-Saône und Macon, in Lyon, Avignon und Aix-en-Provence.

Je weiter man gen Süden fährt, desto karger, hügeliger wird die Landschaft. Noch sind die Ebenen, Felder und Laubbäume saftig grün, vorbei geht es am Rhein, links und rechts sind Burgen, Festungen oder Klöster zu sehen. Die Weinberge im Elsass lassen bereits an die nächste Weinprobe denken. Fast wie bei Bocuse zuhause kommt man sich in der französischen Partnerstadt von Frankfurt, in Lyon, vor.

Lyon, Rhône-Ufer

Auch Lyon präsentiert sich dem Besucher im neuen Look. Viel hat sich getan in der Stadt an der Rhône, die einst als Stadt der Seidenweber und der Kochkunst weltberühmt wurde. Die Fassaden sind neu gestylt, Plätze der Ruhe mit Brunnen und Wasserspielen entstanden. Charmante Cafés voller Nostalgie verführen zu einem Café Crème. Im historischen Herz der Stadt spürt man den Geist des Mittelalters und des Kulturerbes der Unesco: geheimnisvolle Flure und Gänge zwischen den Häusern, enge Gassen und Treppen führen durch dieses Kleinod. Auch heute noch sind die sogenannten Traboules begehbar. Die Meister der Baukunst des Mittelalters haben schon damals hier auf kleinstem Raum eine prachtvolle Wohnkultur geschaffen.

 

Tour Rose in Vieux-Lyon, Foto: Chris 73/wikimedia commons cc


Entlang der Rhône-Ufer gibt es Märkte. Hier bekommt man Kunstwerke, Bücher, Obst, Gemüse und die besten Käsesorten direkt und frisch vom Land. C’est si bon. Doch will man weiter, noch ist man nicht am Ziel. Ist man dann südlich von Lyon, lässt sich die liebliche Provence mit ihren Lavendelfeldern bereits erahnen. Es duftet fast schon danach. Vorbei geht es zunächst aber am Mont Ventoux, dem allerseits bekannten Gipfel und „heiligen Berg“ der Provence. Er ist über 1900 m hoch und von weitem, bis ins Frühjahr schneebedeckt, unverkennbar. Heute führt eine Strasse bis zum Berggipfel. Im 14. Jahrhundert noch machte man sich, wie der Dichter Francesco Petrarca, auf den Fussweg. Vorbei rauscht man heute im Superzug.

Visan mit dem Mont Ventoux, Foto: Morosphinx/wikimwedia commons cc

Links liegen Avignon und Villeneuve lez Avignon im Tal der Rhône. Beide wunderschönen und sehenswerten historischen Provence-Städte sind über Brücken verbunden. Dazwischen liegt die Ile de la Barthelasse, die grösste Flussinsel Frankreichs und auch Europas, die man ebenso erwandern wie umradeln und sich bei einem Picknick erholen kann. Weiter geht es durch Aix-en-Provence. Hierher zog es die Maler und Literaten. Im Juni findet in der Stadt das Lifestyle-Festival von Côté Sud statt. Noch ist es eher bei Insidern bekannt. Alles, was das Herz aus dem Süden mit Stil zwischen Gourmetkost, Möbeldesign, Wohnaccessoires sucht und zur Verschönerung braucht, wird hier an einem Wochenende bei einem Open-Air-Event zelebriert. Man gerät ins Schwärmen. Eine Pause auf der Flaniermeile im Café Les Deux Garçons, Institution seit 1790, sollte man sich unbedingt in der Altstadt gönnen. Auf den Spuren von Cézanne geht man weiter und erreicht sein Atelier. Hier am Stadtrand von Aix-en-Provence liess sich der französische Impressionist zu seinen schönsten Kunstwerken inspirieren.

Café Les Deux Garçons, Foto: PRA/wikimedia commons cc

Schliesslich kommt man ans Mittelmeer: Marseille ist in Sicht. Das Reiseziel mit seiner Endstation ist erreicht. Noch sah man den Main, dann den Rhein, danach die Rhône und plötzlich ist man am Mittelmeer – gar an der Côte d’Azur. Wie im Flug verging das, aber per Bahn.

Marseille, „Kulturhauptstadt Europas“ 2013, ist mit ca. 850.000 Einwohnern nach Paris die zweitgrösste Stadt Frankreichs. Sie liegt auf zahlreichen Hügeln und hat eine über 57 km lange Küste. Auf einem der Hügel liegt der Bahnhof – auch bekannt durch die Kinofilme Marcel Pagnols. Von hier aus hat man einen faszinierenden Panoramablick auf die quirlige französische Metropole am Mittelmeer. 104 Stufen führen ins Zentrum – fürs Gepäck gibt es natürlich jede Menge Service, Aufzüge und Rolltreppen.

La Gare – der Bahnhof

Am besten begibt man sich gleich erst einmal direkt vom Bahnhof ans Meer und schnuppert Seeluft. Ziel sollte dafür der historische Hafen, der Vieux Port, sein. Man nimmt ein Taxi, fährt per Bus, Strassenbahn oder geht einfach zu Fuss. Am Vieux Port steht man vor unzählig vielen Yachten, eine schöner, grösser und moderner als die andere. Spaziergänger machen ihre Runden um den Hafen – teils ist das Viertel bereits Fussgängerzone. Ein Taxischiff verbindet beide Hafenseiten und verkürzt so den Weg.

Mit Geschichten, Geheimnissen und Genussvollem aus 2.500 Jahren empfängt Marseille die Reisenden. Die Stadt ist die älteste französische Grossstadt. Von griechischen Seefahrern wurde hier einst Massilia gegründet. Selbst die „Marseillaise“, die französische Nationalhymne, hat in der Stadt ihren Ursprung und von hier aus Geschichte geschrieben. In der Stadt widmet man dieser Begebenheit heute ein eigenes Museum. Sehenswert sind das Cantini-Museum oder Museum der Krippenfiguren (Santons).

Klima und Lage machen Marseille zu einem ganzjährigen Reiseziel. 300 Sonnentage pro Jahr seien garantiert. Seit 1996 ist Marseille bereits „Wasserhauptstadt der Welt“. Kulturelle Highlights, Ausstellungen, Festivals, Wassersportevents oder Weihnachtsmärkte sorgen dabei für spannende Unterhaltung und Abwechslung. Das Angebot zwischen Kochkursen, Verköstigungen, Kindermarathon oder Radtouren ist für alle Generationen geeignet. Fashionistas finden edle Boutiquen rund um die Rue Paradis oder Rue Davso und neben der ehemaligen Börse auch ein Modemuseum.

Den Duft des Südens erhält man in der Label-Boutique von Reminiscence, eine Duft- und Schmuckmarke aus Südfrankreich. Berühmt ist aber auch die Seife, Savon de Marseille, die hier in allen Variationen in den Shops von Compagnie de Provence und Durance erhältlich ist. Für Gourmets gibt es Spezialitätenshops wie Oliviers & Co. oder auch den Kaffee von Noailles, schon seit 1927.

Unweit vom Hafen der Reedereien und Fährschiffe liegen die Cathédrale de la Major und das Altstadtviertel Le Panier. Viele kleine Restaurants und Cafés oder auch das sommerliche Stadtteilfest Fête du Panier sorgen für Stimmung. Ein Tipp ist hier die Eisdiele Le Glacier du Roi. Es gibt hier neben unzählig vielen Kreationen zwei aussergewöhnlich leckere Eissorten: Navettissimo und Calisson d’Aix. Zum Menü gehören in Marseille natürlich Fisch, Muscheln, Meeresfrüchte, aber auch die Bouillabaisse, die traditionsreiche Fischsuppe. Dabei darf der berühmte Pastis-Schnaps nicht fehlen. Besonders einladend sind die Menükarten in den Restaurants wie Le Marseillois, La Table au Sud, Le 29 Place aux Huiles oder La Part des Anges. Die Bäckerei der Abtei Saint-Victor ist in Marseille berühmt für ihre Navettes, Feingebäck mit Orangenblüten-Nuance, nach einem wohlgehüteten Rezept schon seit 1781.

Auf den vielen Plätzen und in den Parks bleibt die Idylle erhalten. Sehenswert sind das Palais Longchamp und das Château Borély. Im Viertel rund um das Palais Longchamp kann man die typischen Marseiller Häuser sehen, die auch heute noch das Stadtbild prägen: die Stadthäuser haben pro Etage immer drei Fenster. Im Palais Longchamp von 1869 sind das Kunst- und Naturkundemuseum untergebracht. Einst entstand dieser Prachtpalast mit der Errichtung des Durance-Kanals. Dazu gehört auf der Anhöhe das Observatorium, welches schon vor 300 Jahren gegründet wurde und damit die älteste wissenschaftliche Institution in Marseille ist. Im Süden der Stadt liegt das Château Borély mit einem grossen Park, der zum Spaziergang einlädt.

Altstadthäuser

Palais Longchamp, Foto: Georges Seguin/wikimedia commons cc

Am Meer entlang der Corniche Kennedy stehen zahlreiche Prachtvillen umgeben von farbenfrohen Blumengärten und üppiger Vegetation. Hier ist das Château Berger eine wahre Wellness-Oase: Spa und Thalassotherapie sind zu jeder Jahreszeit möglich. Die Badestrände Prado und Borély laden in der Nähe zum Verweilen ein. Am besten, man nimmt den Bus 83 direkt am Vieux Port und fährt bis zur Endstation – eine empfehlenswerte Idee für eine Stadtrundfahrt in Marseille. Der Bus fährt entlang der Küste, der Villen und Strände, und man kommt ins Schwärmen dabei, kann aussteigen, danach in den nächsten Bus wieder einsteigen und weiterfahren.

Faszinierend ist der Weg bis zur Kathedrale Notre-Dame-de-la-Garde. Es fährt ein Touristenzug bis auf die Anhöhe. Man kann aber auch regulär den Stadtbus nehmen oder zu Fuss gehen. Der Aufstieg wird belohnt. In der Kathedrale leuchten in der Kuppel die Mosaiksteine. Der goldene Glanz beschert eine wahrlich zauberhafte Atmosphäre. Vom Plateau rund um die Kathedrale hat man einen grandiosen Panoramablick auf die gesamte Bucht von Marseille zwischen dem Naturschutzgebiet Les Calanques und dem romantischen Hafenort L’Estaque. Les Calanques, fjordähnliche Kalksteinfelsen, laden bei Marseille zu Wanderungen, Trekking oder Spaziergänge entlang der Küste bis nach Cassis ein. Vom Vieux Port in Marseille bietet Croisières Marseille Calanques mit Öko-Booten diverse Rundfahrten in der Bucht, an der Küste und zu den Iles du Frioul. Bezaubernd, gar paradiesisch ist hier das Meer, denn es schillert und glitzert je nach Sonne und Tageszeit in den einsamen Buchten von azurblau, türkis-transparent bis smaragdgrün.

Paul Cézanne, Baie de Marseille, vue de l’Estaque, um 1885, Bildnachweis: The Yorck Projekt/wikimedia commons

Les Calanques

Baulich ist Marseille genauso faszinierend. Altbauten, Prunkvillen, Hafendocks, Einkaufszentren und zahlreiche moderne Bauprojekte prägen das Bild der Stadt zwischen Hügeln, Felsen und Wasser. Architekten wagen hier, gerade auch für das Kulturhauptstadt-Jahr 2013, einen Blick in die Zukunft. High-Tech und Fantasie sollen Bauten der Superlative schaffen. Eine neue Welle der urbanen Kreativität hat damit Marseille erreicht und macht die Stadt zunehmend für Trendsetter, Lifestyler und Designer attraktiv. Das ehemalige Getreidesilo wird zu einem Event der Architektur und in „Olympia-sur-Mer“ umbenannt. Bekannt ist auch bereits das Projekt von Zaha Hadid und an der Küste das futuristische H99. Mit dem Projekt Euromediterranée entsteht rund um das ehemalige Hafenviertel ein futuristischer Stadtteil mit luxuriösen Wohnungen, Geschäftszentren und Hotels. Es entstehen auch neue Museen. Die Stiftung Regards de Provence plant ab 2013 eine Ausstellung zum Thema „Die Provence in der Kunst“ und will dabei 850 Gemälde vom 18. bis zum 21. Jahrhundert zeigen. Alt und neu sind dabei stets kreativ kombiniert. Prägend in den Bauten ist immer das Weiss – dazu kommt das Blau vom Meer und Himmel. Die Farbkombination wirkt frisch, sommerlich und freundlich.

Ein architektonisch markantes, aber mittlerweile auch historisches Wohndenkmal ist La Cité Radieuse des Architekten Le Corbusier. Das imposante Bauwerk beherbergt 337 Wohnungen. Mit der Retro- und Vintage-Mode haben Gebäude und Architekturstil wieder neue Fans. Heute gilt es als eine der Attraktionen von Marseille.

Marseille ist überall voller Dynamik, Energie, Elan und Esprit und damit auch ein neues Zentrum für Architekten, Planer, Designer, Kreative, Künstler und Verleger. Ein neuer Szenetreff für die Trends von morgen entsteht. Die französische Mittelmeerstadt ist einfach „in“. Kreuzfahrtschiffe haben die Stadt bereits im Kursbuch fest integriert. Aber auch andere sind dabei, Marseille zu entdecken! Von hier aus ist man schnell in der Provence, auf dem Land, der Lavendelroute, bei Parfumherstellern, in St. Tropez, Cannes, Nizza, Montpellier und sogar in Spanien. Gut und bequem sind von Marseille mit der Fähre auch Inseln wie Korsika oder Sardinien zu erreichen.

Nun bringt dazu eine neue Zugverbindung die Stadt am Mittelmeer noch näher an Frankfurt am Main heran. Marseille, Tor zum Mittelmeer, wird bereits jetzt als Kulturhauptstadt Europas 2013 gefeiert. Vive la fête!

s. a.  Verführung aller Sinne – ein Streifzug durch Museen an der
Côte d’Azur

 

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