Köpfe, Gesichter … Ingrid Zacher erforscht die Physiognomie
Menschen werden uns, vor allem in den Nachrichtenmedien, überwiegend vermittels der Abbildung ihres Kopfes vorgestellt und nähergebracht, seien es Politiker, Geistes- und Naturwissenschaftler, Künstler, sogenannte Stars und Sternchen, verdiente wie verdienstlose Personen des sogenannten öffentlichen Lebens und Zeitgeschehens. Bereits seit alters her ist das so, denken wir nur an die zu tausenden überkommenen antiken Kopfskulpturen und Büsten. Das Kopfbild ziert gleichermassen Ausweise und Reisepässe, Visaanträge, Bewerbungsschreiben und Steckbriefe. Der Kopf also als Pars pro toto? Man könnte sich darüber verwundern, tritt doch der Mensch gerade auch in seiner Körperhaltung und -sprache, seiner Motorik, seinem Gesamtgebaren im sozialen und kommunikativen Raum als Individuum wie auch als Teil eines gesellschaftlichen Kollektivs in Erscheinung.
Den Kopf wiederum prägt – als dessen bestimmender und zweifellos aussagefähigster Teil – das Gesicht.
Die Frankfurter Künstlerin und Designerin Ingrid Zacher setzt sich mit diesem durchaus etwas zwiespältig anmutenden Befund auseinander, wenn sie ihre überlebensgrossen Köpfe modelliert. Lustig scheinen sie uns zunächst daherzukommen, auf den ersten Blick jedenfalls, doch dieser trügt wie so oft: denn wir sehen sehr bald in ihren „Köpfen“ den sezierend-kritischen Blick auf den Menschen, in all seiner selbstangemassten, vermeintlichen Vollkommenheit wie doch so realen Unvollkommenheit. Und wir sehen genauer hin: Den einen Köpfen eignet Würde und Weisheit, Demut und Selbsterkenntnis, den anderen ist Eitelkeit und Selbstverliebtheit, Dummheit, Stolz und Hybris „eingeschrieben“ (ach, vergebt uns für dieses in jeder Kunstrezension modisch-massenhaft verbrauchte Wort). Der Volksmund kennt viele Spielarten des Kopfes: Schlaukopf, aber auch Hohl-, Holz-, Beton-, Dumm- und Wirrkopf, um nur einige Beispiele zu nennen, meistens – wir werden uns dessen erst jetzt bewusst – sind es schimpfwortartige, pejorative Attribute, die man einem „Kopf“ beimisst.
Dann die Maske. Menschen maskieren ihr Gesicht, ihren Kopf, setzen sich gleichsam immaterielle Masken auf und deindividualisieren sich auf diese Weise. Unerkannt bleiben, ein anderer sein, auch im anerkannten Mainstream schwimmen wollen, das ist das Ziel. Es gilt also für den Künstler auch dies: zu demaskieren, zu entlarven. Ingrid Zacher tut dies mit ihren Köpfen.
Und doch: Trotz mancher Gequältheit durchaus komisch schauen sie schon aus, diese Köpfe, selbst wenn sie archaisierend und antikisierend daherkommen, auch in nicht belustigender Weise gar mit Seil und Kordel gefesselt und umschnürt sind, mit einem Drahtverhau ummantelt und gefangen. Soll das ein Spiegel sein, den uns die Künstlerin vor unsere Augen hält? Oder: Sind wir diesen Köpfen nicht schon alle einmal begegnet?
Es ist schon eine eigenartige, will sagen spezifische Mischung, die uns die Künstlerin in ihren Objekten „serviert“, aus Reduktion und Abstraktion auf der einen, zugleich durch unglaublich charakteristische wie minimalistische Typisierung auf der anderen Seite.
Was halten Sie von dem Vorschlag, geneigte Leserinnen und Leser: den einst im Weimarer Andenken-Kitschladen viel zu teuer erstandenen Goethe- oder Schiller-Gipskopf in die Tonne zu treten und dessen Platz im Regal einem als Unikat gefertigten Zacher-Kopf einzuräumen?
Zum Abschluss vielleicht noch dies: Ingrid Zacher hat ihre „Köpfe“ im vergangenen Jahr in Rom gefertigt, im Monastero di San Giuseppe mit seiner atemberaubend schönen Basilika.
Alle „Köpfe“: o. T., 2011, Cellulose (z. T. mit Rostpulver versetzt), Kleister; z. T. Gips, verzinkter Draht, Schnürkordel, Aquarellfarben, Pigmente
Ingrid Zacher, 1944 in Nordhausen geboren, ist eine überaus vielseitig begabte Künstlerin, Designerin, Modeschöpferin und – Kunstsammlerin. Seit dem Besuch der Städel-Abendschule zeichnet, malt, collagiert, modelliert und bildhauert sie; sie fertigt erlesenen Designer-Schmuck und entwirft ebenso erlesene Damengarderoben, die sie für ihre Kundinnen von einer Schneidermeisterin ausführen lässt. Regelmässig verbringt sie Wochen und Monate eines Jahres im Ausland, vorzugsweise in Italien und den Ländern des fernen Ostens, wobei sie exquisite Stoffe, Edelsteine und manches andere an nicht alltäglichen Materialien nach Deutschland einführt. Entsprechend stellte Ingrid Zacher im nationalen wie internationalen Rahmen aus: in Abu Dhabi, Amsterdam, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Mailand, München, New York, Paris, Shanghai, Taipeh und Tokyo.
(Abgebildete Arbeiten und Fotografien: © Ingrid Zacher)