Joachim Raab, Oliver Raszewski, Heide Weidele
Drei Künstler aus der Sammlung Aulich-Merkle
Von Brigitta Amalia Gonser
Kunstwissenschaftlerin
Fotografien: © Nadine Röther · bugin
Die Aulich-Merkle-Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, zeitgenössische Kunst zu fördern.
So ermöglicht und bespielt sie den „Ausstellungsraum für aktuelle Kunst“ im Hinterhof der Frankfurter Strasse 59 in Offenbach am Main.
Auf 200 Quadratmeter Grundfläche werden in vier Räumen drei gegenwärtige künstlerische Einzelpositionen vorgestellt: zur Zeit Joachim Raab, Oliver Raszewski und Heide Weidele, während in einem zentralen Raum die früheren Arbeiten dieser Künstler aus der Aulich-Merkle-Sammlung in einer von Herbert Aulich kuratierten Gemeinschaftspräsentation zusammengeführt werden. Es entwickelt sich so ein spannender Dialog zwischen der Selbstinszenierung der Künstler, die ihre Räume eigenständig bespielen, und der Ausstellung, die sich aus ausgewählten Werken zusammensetzt.
Recycling Art nennt man die Kunst, die sich aus dem Fundus des ewigen Kreislaufs des Lebens bedient. Heide Weidele, 1944 geboren, gibt den Überresten unserer Wohlstandsgesellschaft in einem künstlerischen Modulierungsprozess neue ästhetische Bedeutung. Fundsachen – objets trouvés, bis 1994 aus Wellpappe und Bauholz oder später aus Kunststoff, sind bevorzugte Materialien, die sie formgebend bearbeitet und zu KunstObjekten assembliert, um sie je nach Intention und Situation vor Ort wieder auseinanderzubauen und zu reassemblieren.
Daraus spricht der forschende Geist einer Ästhetin, die nach Ihrem Studium an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung und an der Frankfurter Städelschule verschiedene Lehraufträge und eine Gastprofessur an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz hatte.
Es ist ein euphorisches Spiel mit Kompositionselementen des Alltags: mit Wäschekörben, Obst-, Gemüse- und Backwaren-Steigen, Schläuchen, Bügeln, Sieben, Eimern und Flaschen aus knallfarbenem Plastik, als Ganzes oder in neue Formen zerschnitten und zersägt, gebogen und gestaffelt, montiert und verbunden.
Heide Weidele: Installationsansicht, Lüsterkammer mit rosa Neonlicht, Lüster 1, 2010/11, Assemblage aus Plastikteilen, © VG Bild-Kunst, Bonn
So entstehen die farbkräftigen, malerisch nuancierten, raumgreifenden KunstObjekte, die unsere Wahrnehmung frohlocken lassen.
Heide Weidele: Lüster 1, 2010/11, Assemblage aus Plastikteilen mit Kabelbindern, ca. 90 x 90 x 330 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn
Die Rauminstallationen der „Lüster“ schweben diaphan und schwingen farbenprächtig vor unseren Augen, während die Serie der „Seerosen“ eine elektrisierende Blütenpracht entfaltet.
Heide Weidele: foto-cut Vase,2011, collage, geschnitten + Lackspray, 46×80 cm;
Boden-Vase 1 mit Seerose, 2012, Plastikteile+Kabelbinder, 44 x 44 x 68 cm; Boden-Vase 2mit Seerose, 2012, Plastikteile+Kabelbinder, 40 x 40 x 58 cm; Vase 5, 2011, Fotocollage hinter Acryl+ Lackspray, 50 x 50 cm; Vase 6, 2012, Collage gewendetes Film+Fotomaterial auf Acryl+Lackspray, 100 x 50 cm; Werke © VG Bild-Kunst, Bonn
Weidele treibt das künstlerische Recycling noch weiter, indem sie im ersten Schritt dokumentierende Farbfotos ihrer Installationen zerschneidet und zu Collagen auf Wand oder auf Papier zusammenfügt, um dann, im zweiten Schritt, diese Fotofragmente mit der farblosen Rückseite nach oben in sich überlappenden Schichten zu montieren und mit neonfarbenem Spraylack zu übersprühen. Letzteren setzt sie übrigens seit Neuestem akzentweise auch bei Ihren Lüstern ein.
Heide Weideles Welt offenbart ein ironisches panta rhei unserer Konsum- und Warenwelt.
Die Wahrnehmung der Natur und deren systematische, malerisch transzendierende Umsetzung: vor allem des Waldes als Projektionsraum, Rückzugsort und Gegenwelt, zu unterschiedlichen Jahreszeiten mit seinem variierenden Farbenkleid wurde zum kontinuierlichen Anliegen für Joachim Raab (1948 geboren).
In seinen suggerierten abstrakten Landschaften verarbeitet der in Frankfurt am Main lebende Künstler Eindrücke, die er auf seinen Streifzügen durch die Natur gesammelt hat, Licht- und Farbstimmungen, aber auch emotionale Erfahrungen.
Davon zeugen schon seit 2006 die Arbeiten der Serie „the essence of my woodlands“ und vor allem die Corot gewidmeten farblich reduzierten Waldbilder, in denen der an der Frankfurter Städelschule und an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung ausgebildete Künstler auf die horizontal vor ihm liegende Leinwand zuerst sparsame Tiefenraster aus Silikon aufträgt und darauf lasierend Schicht um Schicht mit feinem Pinsel unzählige senkrecht eng verlaufende Linien zieht mit Acryl und Farbpigmenten, wobei faszinierende räumliche Tiefen entstehen.
Joachim Raab: 2 o.T., 2012, Pigment/Acryl auf Leinwand, je 60 x 40 cm; after Corot, 2012, Pigment/Acryl auf Leinwand, 180 x 95 cm; o.T., 2012, Pigment/Acryl auf Leinwand, 180 x 95 cm
Seit 2002 gingen diesen Arbeiten verschiedene thematisch gebundene Photoserien voraus.
Aber es gibt auch kleinere Arbeiten, in denen er den Prozess umkehrt und eine opake hermetisch abschliessende Silikonschicht über die sukzessiv erzielten Farbstrukturen legt.
Carsten Müller weist darauf hin, „dass Künstler und Material Bestandteile eines meditativen Prozesses sind, der sich einer Absolutheit verweigert und die Grenzen der Malerei immer wieder neu abtastet“.
Die bildkünstlerische Visualisierung von unliebsamen Begleitphänomenen der Informationsgesellschaft beschäftigt den Absolventen der Offenbacher Hochschule für Gestaltung, Oliver Raszewski (geboren 1962), beinahe obsessiv in seiner computergenerierten Malerei als Inkjet eines malerischen Punktecodes auf Leinwand mit pastellfarben horizontalem Liniendruck. Es sind Bilder, die geheime Notenschriften assoziieren lassen.
Oliver Raszewski: Junk-Bilder (l-r): Stop, 2008, Tinte/Lack auf Leinwand, 130 x 140 cm; Brag, 2008, Tinte/Lack auf Leinwand, 150 x 180 cm; Anime, 2008, Tinte/Lack auf Leinwand, 130 x 130 cm
In diesen Arbeiten von 2008 steigt der konzeptuell arbeitende Künstler, laut Carsten Müller, „tief in das persönliche Postfach der Computernutzer ein und fördert daraus Überraschendes zutage. ‚Junk‘ betitelt er seine Werkreihe, die einen Algorithmus unerwünschter oder überflüssiger Kommunikation abbildet. Es geht um sogenannte Spam-Mails, die täglich weltweit Postfächer mit Angeboten zu Liebesdiensten, Geldgeschäften, Potenzmitteln oder Schönheitsoperationen fluten. Oliver Raszewski hat darin einen eigenen Code identifiziert. Diese in Farbe und Form gefassten Kommunikations-Störungen entwickeln auf den linear strukturierten Farbflächen einen eigenen Rhythmus. Die chromatische Unbuntheit des Hintergrunds und die gepixelten vordergründigen Unregelmässigkeiten und Störungen eines kommunikativen Gesamtrauschens lassen den Betrachter in eine psychodelische Welt abtauchen, die den Alltag der Informationsgesellschaft transzendiert.„
Durch seine konzeptuelle Arbeitsweise generiert Oliver Raszewski eine ästhetische Spiegelung der in ständigem Umbruch befindlichen Dienstleistungs- und Kommunikationsgesellschaft.
Oliver Raszewski: Trademarks, 2008, Tinte/Lack auf Leinwand, 50 x 90 cm; Abstract Systems, 2004, Tinte/Lack auf Leinwand, 75 x 75 cm
Dabei nutzt er seit 1990 technische Mittel und computergesteuerte Fertigungstechnologien und gilt deshalb als Pionier der Digital Art „the medium is the message“.
Die Aulich-Merkle Stiftung wurde vom Mäzenatenpaar Gisela Merkle und Herbert Aulich gegründet. Der dem Konstruktivismus verbundene Offenbacher Maler und Objektkünstler Herbert Aulich (geboren 1927) zählt zu den anerkannten Vertretern der deutschen Kunst der 1960er Jahre. Gisela Merkle, die 2011 verstarb, hat als Kieferorthopädin in Offenbach gearbeitet und war eine engagierte Sammlerin junger Kunst.
Aus der Aulich-Merkle-Sammlung: Oliver Raszewski, Abstract Systems IV, 2004, Tinte/Lack auf Leinwand, 50 x 50 cm; Joachim Raab, The essence of my woodlands, 2007, Klaarlack/Pigment auf Leinwand, 3 je 50 x 40 cm
Aus der Aulich-Merkle-Sammlung: Heide Weidele, Pappe trifft Vase, 1993, Materialcollage, 20 x 35 x 12 cm
Ausstellungsraum für aktuelle Kunst, Frankfurter Strasse 59, 63067 Offenbach am Main, mail@aulich-merkle-stiftung.info, Mobil +49 173 4593008. Die Ausstellung ist bis zum 21. April 2012 jeden Samstag und Sonntag sowie nach Vereinbarung zu sehen.