Hommage an E. R. Nele : Im Zentrum der Mensch (1)
Von Erhard Metz
Wer des Abends in Frankfurt auf Kultur-Tour ist, braucht mitunter nicht lange auf eine Begegnung mit ihr zu warten: mit einer ungemein charmanten, zierlichen Dame, deren Haarschopf ihm im heitersten Pumuckl-Rot schon von weitem entgegenleuchtet. Allein der Blick in ihre jugendlichen, blau-strahlenden Augen verwandelt jeden – sei es ob schlechten Wetters oder zuvor angetroffener schlechter Kunst nörgelnden – Griesgrämer alsbald in einen hoffnungsvollen Optimisten. Spätestens jetzt kann kein Zweifel daran bestehen, vom wem wir heute handeln: von der bedeutenden Frankfurter Bildhauerin Nele, eigentlich E. R. Nele, noch eigentlicher – es steht ohnehin in den Lexika zu lesen – Eva Renée Nele Bode.
Und wenn jemand – wie der Verfasser – aus Kassel stammt und früh mit der weltweit bedeutendsten Schau für Gegenwartskunst „documenta“ sozialisiert wurde, der erinnert sich sofort an Nele, die in dieser kriegszertrümmerten Stadt aufwuchs und wirkte, die der Kasseler Bevölkerung mit der Installation „Die Rampe“ ein erschütterndes Mahnmal an die Verschleppung der Juden und den Holocaust schuf und deren Arbeiten bereits auf der documenta 2 und 3 zu sehen waren.
Nele mit ihrer Arbeit Red Dancer, 2011, Edelstahl, Lack, 65,5 cm H; Sockel Edelstahl, 113,7 x 31,5 x 31,5 cm, in der Galerie Heike Strelow
Zu Neles 80. Geburtstag widmet ihr die Stadt Frankfurt am Main, in der sie seit 1965 lebt und arbeitet, eine Jubiläumsausstellung im Institut für Stadtgeschichte/Karmeliterkloster, und eine weitere Ausstellung ist (bis zum 24. März 2012) in der bekannten Frankfurter Galerie Heike Strelow zu sehen.
Im Kreuzgang des ehemaligen Karmeliterklosters steht mit „Yesterday & Tomorrow“ das der Schau titelgebende Hauptwerk der Geburtstagsausstellung: eine grosse, fünfteilige, raumbezogene Installation. Nele hat sie aus verschiedenen, zum Teil schon vor längerem entwickelten Elementen für die ortsspezifische Situation des Kreuzgangs zusammengesetzt. Es ist eine Art Kreuzweg, was wir sehen. Wir können – und sollen – ihn durchschreiten. Fünf etwa gleich grosse, in einer jeden Dimension rund 2,30 Meter messende Kuben aus Stahl sind aneinandergeschweisst. Die Kälte des dunklen Stahls kontrastiert mit den warmen Tönen des im Kreuzgang allgegenwärtigen, heiteren Buntsandsteins. Begeben wir uns auf den Weg durch diese Kuben, stellt sich sogleich ein Gefühl des Eingegrenztseins, der Gefangennahme ein. Der Gang durch die Kuben wird selbst zum Leidensweg. Wir sind unversehens aus der Geborgenheit der fügenden, vertrauten klösterlichen Architektur in der kalten globalen Wirklichkeit des Frühjahrs 2012 angekommen.
Der erste Käfig-Kubus beinhaltet zwei weitere, engmaschige Käfige, sie sind aus eisigem blanken Stahl gefertig. Darin unentrinnbar eingekerkert eine menschliche Figur, ebenfalls stahlglänzend, in geschlossener, mit den gekreuzten Füssen fast meditativer, jedoch hilfloser, ohnmächtiger Haltung. An den Wänden des äusseren Käfigs Papierstreifen mit Namen: Namen in den Diktaturen und von den Regimen dieser Welt eingesperrter Künstler und Schriftsteller, Journalisten und Fotografen. Viele Länder liessen sich hier aufzählen, wir kennen sie alle aus dem, was wir glücklicherweise eine freie, unverfälschte Berichterstattung nennen können.
Der nächste Kubus zeigt die „Europeans“ – Neles bekannte Kleinfiguren, dieses Mal in Bronze auf Stahl, wiederum kaltem, glatten Stahl. Die Europeans sind wir, wir alle? Fröhlich-frei scheinen sie sich zu bewegen, fast übermütig werfen sie die Arme in die Höhe, laufen kreuz und quer, tanzen selbstverliebt einher. Jeder für sich. Kommunikation findet nicht statt.
Im dritten Kubus ein übermannshoher Zylinder, aus herabhängenden Kettensträngen gebildet, auf ihnen tanzen erneut Neles Figuren, strecken Arme und Beine von sich, aus gewelltem Stahlblech sind sie gefertig, im auffallenden Licht erscheinen sie wie in früher übliche gestreifte Häftlingstrikots gekleidet. Ketten wecken zwiespältige Gefühle, zuerst denken wir an Gefangenschaft und Kerker, heute stellen sich auch positive Assoziationen ein, sprechen wir doch von Menschenketten, die sich gegen Willkür und Gewalt zusammenschliessen. Neles Zylinder ist begehbar – und er soll begangen werden. Stehen wir in ihm, möchten wir doch alsbald wieder hinaustreten. Gibt eine von oben scheinende Lampe Erleuchtung?
Kubus Vier: gemarterte Köpfe, leer die Augenhöhlen, offen die gequälten, nun schreilosen Münder. Inbegriff dessen, was Menschen einander antun können. Darüber das Kriegswerkzeug, gehalten von einem Handschuh im Guerilla-Muster. Und doch: Auf der Schussbahn tanzen Neles Menschenfiguren. Weist das grün über dem Spitzbogen leuchtende Exit-Schild den Weg zum Ausgang, zum Ausstieg aus Terror und Gewalt?
Kubus Fünf „Island of Hope“ könnte eine Antwort geben. Wir sehen einen grossen, stilisiert geschuppten Fisch. Ein stilisierter Fisch war vor knapp zweitausend Jahren das Erkennungssymbol der frühen Christen – noch heute finden wir ihn als Autoaufkleber. Die biblische Erzählung im Buch Jona kommt uns in Erinnerung: Jona, vom Walfisch verschlungen, nach drei Tagen und Nächten von diesem wieder an Land ausgepien. Jona kann daraufhin die sündige Stadt Ninive vor dem Untergang retten.
Nun auf einmal tanzen Neles Menschen im Bauch des Fisches auf eine ganz andere Weise, und wir sehen: ja, sie kommunizieren miteinander.
Yesterday & Tomorrow: Cage in Cage (writers, artists, photographers, journalists in prison), 2011, Stahl, Edelstahl, Papier, 230 x 230 x 230 cm
Yesterday & Tomorrow: Europeans, 2002, Bronze auf Stahl, 9 -14 cm
Yesterday & Tomorrow: Chained, 2010, Stahlketten, Stahl, 230 cm, ∅ 120 cm; rechts: Victims, 2011, Stahl, Kunststoff, Gips
Nele in „Chained“
Yesterday & Tomorrow: Victims, 2011, Stahl, Kunststoff, Gips
Yesterday & Tomorrow: Detail Warn-Tarn-Weapon, 2007, Kunststoff, Leder
Yesterday & Tomorrow: Island of Hope, 2001, Stahl, Kunststoff, Schwarzlicht, 90 x 220 cm
Island of Hope im Schwarzlicht bei Nacht
„E. R. Nele. Yesterday & Tomorrow, Skulpturen und Installationen“, Institut für Stadtgeschichte, Karmeliterkloster, Garten und Kreuzgang, bis 20. Mai 2012
„E. R. Nele, Leben – Eine Hommage“, Galerie Heike Strelow, bis 24. März 2012
(abgebildete Werke © E. R. Nele; Fotos: Erhard Metz)
→ Hommage an E. R. Nele: Im Zentrum der Mensch (2)
→ E. R. Nele in der Frankfurter KunstKulturKirche Allerheiligen