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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kunsthalle Mainz: Peter Sauerer, Elly Strik, Eva Weingärtner

Peter Sauerer. Trabant
Elly Strik. Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke
Eva Weingärtner. we are one

Von Vera Mohr

Mainz näherte sich dem Höhepunkt der Fastnachtskampagne, und die klirrende Kälte liess ungeschützte Oberflächen platzen, wohl dem, der sich in der närrischen und frostigen Zeit hinter einer Maske verstecken konnte. Und die gibt’s nicht nur bei Occupy, sondern für einige Zeit in der Kunsthalle Mainz.

Der Künstler Peter Sauerer hat im obersten Geschoss der Kunsthalle, von wo der Blick auf das im Wandel befindliche Hafengebiet schweift, seine Werke positioniert.

An der Wand hängen Frauenmasken, die jedoch irritieren. Vier  Augen verweigern dem Betrachter, die Frauengestalten zu fixieren. Die eigenen Augen springen zwischen dem Doppelpaar hin und her und behindern klares Erkennen, denn bis heute bleibt die Funktion der „Vril-Gesellschaft“ im Dunkeln. Der zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestehende Geheimbund soll die Nationalsozialisten  mit Plänen für den Bau von „Reichsflugscheiben“ versorgt haben. Die ausgestellten Masken tragen die Vornamen von weiblichen Mitgliedern.

Sieht sie mehr, wenn sie hinaus auf das Mainzer Hafenbecken blickt, vermischt sich vor ihren Augen die Zukunft mit der Gegenwart und sieht sie schon heute, wie es dereinst sein wird? Kann sie hinter den öffentlichen Verlautbarungen das politische Ränkespiel durchschauen? Bilden sich auch hier, neben dem Wasser des Rheins jene Geldströme, die zur Jahreswende der Stadt und der Republik zu schaffen machen? Doch ihr Mund bleibt stumm und ihr glattes Gesicht verbirgt mehr, als es offenbart, sie schweigt. Zurück bleibt Zweifel.

Seine eigene Maske hat der Künstler in eine offen stehende Schachtel gesteckt. Er zeigt Gesicht. Oder bietet er an, sich hinter seiner Maske zu verstecken, wenn’s zur Sache geht?

Im Erdgeschoss, kaum hat man die Ausstellung betreten, ziehen zwei farbige Köpfe den Blick nach hinten zum Ende der Ausstellungshalle. Aus angemalten Totenköpfen blitzen die Augen wie Diamanten. Hirst lässt grüssen. Elly Strik dominiert mit ihren grossformatigen Gemälden die Kunstpräsentation.

Fotos und Fotomontagen: Vera Mohr

Doch zuvor laden Mischwesen und lesende Affen zur Betrachtung ein. Der Gorillakopf, der auf einem Frauenkörper sitzt, freut sich auf den Besucher. Das geöffnete Hochzeitskleid ist bis auf die Hüften herunter gezogen und hängt an den Armen. Es gibt den Blick auf die Brüste der Frau frei, während über die Schultern lange zottige Haare wie eine Pelerine hängen. Willkommen zur Hochzeitsnacht? Willkommen, für wen?

Elly Strik greift hier tief ins Erbgut des Menschen und bringt verborgene Ausprägungen ans Licht, die wir beim Gang durch die Evolution weit hinter uns liessen. Der Mensch und der Affe trennten sich schon lange. Oder lassen sich gemeinsame Anlagen womöglich aktivieren, können sie bei veränderten Umständen wieder durchbrechen? Das Thema erhält mit der Diskussion um Stammzellenforschung und Designerbabys neuen Zündstoff. Wie weit sind wir wirklich vom Affen entfernt? Wie viel Animalisches wird beim Sex gewünscht?

Die Arbeiten der Künstlerin irritieren. Ihr Spiel mit den Mischwesen bringt das tiefe Unbehagen zutage, das dem Anblick von Nichtalltäglichen oft innewohnt. Doch gibt es nicht schon viele manipulierte Wesen? Die Genforschung hat längst die Finger jenseits der Pflanzenwelt ausgestreckt. Und wird der Mensch nicht bald mit Kreaturen konfrontiert sein, die es ihm erschweren, die so trügerische Grenze zwischen Mensch und Tier aufrechtzuerhalten?

Und wie steht es mit der Zeit? Ist die Schwelle zwischen Leben und Tod nicht schon lange fliessend? Kann es sein, dass Haut und Muskel aus einem Kopf verschwinden, so wie der Haarwuchs des menschlichen Körpers immer weiter zurückgegangen ist? Gibt es dann Totenköpfe, aus denen lebende Augen strahlen? Wie würden wir mit diesen Mitbürgern umgehen? Wie stünde es mit Integration?

Bei den vielen Fragen, die verunsichern, ist man dankbar für die klare und ruhige Hängung der Bilder. Die Künstler bestimmten selbst die Präsentation ihrer Werke. Strik hat einen Teil ihrer Bilder auf einen grauen Hintergrund gehängt, der ihre Strahlkraft intensiviert.

Nähern wir uns zum Schluss der dritten Künstlerin: Eva Weingärtner hat ihre Videos über mehrere Stellen der Kunsthalle verteilt. In allen ihren Filmen tritt die Frankfurterin nur selbst auf. Sie zieht die Aufmerksamkeit auf ihr eigenes Verhalten und irritiert mit Aktionen, an denen in der Realität meist mehrere Personen beteiligt sind. Sie schafft Situationen, in denen der Agierende und Reagierende ein und die gleiche Person sind, und verhindert so, übliche Bewertungsschemen anzuwenden, wo beispielsweise der Schlagende schlecht ist und der Geschlagene Mitleid verdient.

The only thing that’s real, 2010, Videostill (DVD), 5’45, © Eva Weingärtner, Foto: Norbert Miguletz

Sie tastet sich mit ihren Fingern übers Gesicht, sie wird  ungestümer und zerrt unsensibel an ihren Mundwinkeln und Wangen, bevor sie wenig später mit den Handflächen ins Gesicht schlägt, um anschließend mit tastenden Fingern nach den Tränen suchen, die sich in den Augen bilden.

2me, 2010, Videostill (DVD), 4’19, © Eva Weingärtner und Bischoff Projects

In „2me“ reibt sie sich das Gesicht an einem Spiegel und bildet mit ihrem Spiegelbild ein Paar, das sich sehnsüchtig aneinander schmiegt und küsst. Wohl dem der liebt, aber – gilt dies auch, wenn er sich selbst liebt?

Kurzbiografien: Peter Sauerer, 1958 in München geboren, studierte nach einer Steinmetzlehre Bildhauerei als Meisterschüler von Professor Eduardo Paolozzi. Der Künstler lebt und arbeitet im oberbayerischen Walleshausen. Elly Strik wurde 1961 in Den Haag geboren. Sie studierte an der Akademie für Bildende Kunst ABK Minerva in Groningen und der Jan van Eyck-Akademie in Maastricht. Strik lebt und arbeitet in Brüssel. Eva Weingärtner, 1978 in Worms geboren, lebt und arbeitet nach ihrem Studium an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung HfG in Offenbach und Frankfurt am Main.

Kunsthalle Mainz, bis 22. April 2012

 

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