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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Paul Strecker in der Galerie „Mainzer Kunst!“

„Männliche Lyrik & Existentielle Erzählungen“

von Vera Mohr

Paul Strecker; Bildnachweis: Galerie „Mainzer Kunst!“

Er ist dorthin zurückgekehrt, von wo er einst auszog, und schreit mit Verve hinaus in den Hinterhof der Mainzer Altstadt. In direkter Nachbarschaft zum weltberühmten Schott-Verlag, der seinem Vater gehörte und noch heute von der Familie geleitet wird, sind für einige Wochen die Bilder des Malers Paul Strecker zu sehen.

Abgestürzte Akrobatin und Der Aufschrei, 1949; Foto:Vera Mohr

Das Bild „Der Aufschrei“, das im Jahr 1949 wenige Monate vor dem plötzlichen Tode von Paul Strecker entstand, springt dem Besucher der Galerie „Mainzer Kunst!“ sofort ins Auge. Zu offensichtlich wurde sich an Munchs Schrei orientiert. Doch auch das grossflächig verwendete intensive Rot lockt zur Staffelei. Daneben hängt, mit den gleichen knalligen Farben gemalt, die „Abgestürzte Akrobatin“. Die Rückseiten bestätigen den ersten Eindruck: beide Bilder wurden mit der gleichen Farbpalette gemalt, denn nur wenige Tage liegen zwischen den genannten Entstehungsangaben.


Abgestürzte Akrobatin und Der Aufschrei, 1949; Foto: Vera Mohr

Blicken wir hier auf das Ende eines Künstlerlebens? Ahnte Strecker den nahenden Tod? Wohl eher nicht, denn er starb plötzlich an einer Infektion. Auch war Paul Strecker zu jener Zeit Professor an der Kunsthochschule in Berlin und konnte als Bühnenmaler grosse Erfolge verzeichnen. Ihm ging es damals offensichtlich besser als vielen anderen im Nachkriegsdeutschland. Oder vermisste der lebenslange Einzelgänger, der sich nie einer Richtung verschrieb, sondern nur der eigenen Intuition vertraute, zwischen allen Terminen und Absprachen das ungebundene Künstlerleben? Brüllte hier einer, gefangen auf dem roten Teppich, seinen Schmerz, den keiner verstehen würde, im fremden Körper heraus? Wir wissen es nicht.

Finale, 1949; Foto: Vera Mohr

Allerdings schreibt Strecker, dass er bei den Akrobatenbildern, die in seinem letzten Lebensjahr entstanden, die ständige Gefahr vor Augen hat, die auf den Artisten am Hochseil und Trapez lauert, und er möchte in ihnen das „Tragische, Hoffnungslose des Artistendaseins spüren, ohne allerdings Sentimentalität dazu zu setzen“. Auch ihm als Künstler, als Maler ist das Gefühl der ständigen Existenzbedrohung durchaus vertraut.

Häufig sind es blasse grünlich-gelbe Figuren, die sich verbiegen an angedeuteten Geräten, und obwohl sich die Körper sehr nahe kommen, entsteht keine Kommunikation, jeder bleibt für sich. Auch die umher fliegenden Bälle können keinen Bezug herstellen.

Die Ringer und  Akrobaten XI, 1949; Foto: Vera Mohr

Es erinnert an einen Tagebuch-Eintrag Streckers über die Frühstücksrunden mit französischen Künstlern, die das Deutsche Institut anlässlich der Breker-Ausstellung 1939 in Paris organisierte: „Alles sitzt um den Tisch herum und diskutiert die propagandistischen Aufgaben. In Wirklichkeit verfolgt jeder seine Sonderinteressen und nur in einem sind sich alle einig: in der gänzlichen Uninteressiertheit am Brekerschen Werk. Und im Hass, den einer gegen den anderen nährt“ (7. April 1942).

Turnhalle mit vier Turnern, 1934; Foto: Vera Mohr

Einen völlig anderen Stil verwendete Strecker im Gemälde „Turnhalle mit vier Turnern“, das 15 Jahre früher entstand. Ein Hauch von de Chirico weht durch den Raum. Die an der Wand hängende Kleidung schwebt förmlich vor sich hin, und selbst den Turnern scheint der feste Grund unter den Füssen zu fehlen. Doch schon hier findet keine Kommunikation statt, und jeder ist mit sich selbst beschäftigt.

Höhepunkte der Ausstellung sind zweifellos Streckers Bilder aus jener Pariser Zeit, die noch vor seiner Internierung und dem Einmarsch der Deutschen in die französischen Hauptstadt liegt.

Spanier, 1934; Foto: Vera Mohr

Die „Spanier“ malte Strecker 1934. Eine Gruppe junger Männer, die sich hektisch an- oder auszieht. Den herantretenden Betrachter erwarten misstrauische Blicke, so dass er unwillkürlich das Bild nach einer Bedrohung absucht. Doch die grossen Schatten auf der beleuchteten Rückwand stammen von den Männern selbst. Wobei wurden sie überrascht? Droht ihnen Gefahr von aussen oder stehen interne Konflikte vor der Eskalation? Wer ist der Mann, der im Hintergrund in roter Unterhose die Situation ruhig beobachtet?

Männergruppe am Strand, 1934; Bildnachweis: Galerie „Mainzer Kunst!“

Viel ruhiger dagegen die „Männergruppe am Strand“ (1934). Halbnackte Jugendliche in Unterhose oder Badehose, manche streifen sich in aller Ruhe die Kleidung vom Körper, stehen und liegen am Sandstrand. Etwas tiefer und entfernt lockt das ruhige Wasser. Ein ganz alltäglicher Blick auf eine Strandidylle, wäre da nicht die Turnergruppe, die in einiger Entfernung mit zackigen, gleichartigen Bewegungen ihre Übungen macht. Die hochgereckten Arme erinnern zu sehr an den „Hitlergruss“. Auch die kleine Frau, die am rechten Bildrand das Geschehen mit einem Fernglas beobachtet, irritiert den Betrachter, während dunkle Wolken über den Protagonisten dem ungezwungenen Beieinander eine düstere Note verleihen.

Die mehr als 40 Arbeiten, die in der Ausstellung zu sehen sind, zeigen einige der Stilrichtungen des Künstlers, der sich nicht festlegen liess. Immer wieder änderte er seinen Stil und griff neue Sujets auf. So hinterliess er, der früh starb, ein weit gefächertes Œuvre, das eine Einordnung erschwert und breite Anerkennung behindert. Es wurde ruhig um ihn. Zu Lebzeiten wurden seine Gemälde und Bühnenbilder häufiger ausgestellt und angekauft. Sogar der französische Staat erwarb in den dreissiger Jahren einige seiner Werke. Der Berliner Galerist Alfred Flechtheim war schon zur Studienzeit in München auf den jungen Maler aufmerksam geworden und stellte immer wieder seine Bilder aus, was sich auf der Rückseite des Porträts „Kopf eines Griechenjungen“ (1928) ablesen lässt.

Kopf eines Griechenjungen, 1928; Galerist Rolf K. Weber-Schmidt; Fotos und Montage: Vera Mohr

Wie der Titel der Ausstellung bereits thematisiert, soll die Homosexualität des Künstlers in die Interpretation seiner Bilder durchaus einfliessen, und männliche Porträts und Akte dominieren die Präsentation. Die Freude am männlichen Körper zieht sich durch alle Räume und macht die Ausstellung nicht zuletzt für Frauen zum „wahren Hingucker“. Entziehen kann man sich auch nicht der latenten Bedrohung, die aus vielen Werken spricht. Strecker ist es hervorragend gelungen, die Ängste von Einzelgängern einzufangen. Wer nicht zum „mainstream“ gehört, ist letztlich nicht eingebunden, nicht integriert, und auf ihn lauert Ausgrenzung und sogar Gefahr.

Dass Paul Strecker seinen Geburtsort wegen seiner sexuellen Neigung verlassen und es ihn deshalb in Grossstädte gezogen hat, wäre durchaus möglich. Jedoch übten die Städte München, Berlin und Paris auch auf heterosexuelle Künstler einen nahezu unwiderstehlichen Sog aus.

Paul Strecker, 1898 in Mainz geboren, studierte an der Akademie der Bildenden Künste München, bevor er dem berühmten Galeristen Alfred Flechtheim nach Berlin folgte. Nach einem Studienaufenthalt in Rom liess er sich in Paris nieder, floh jedoch nach der deutschen Besetzung der Stadt nach Südfrankreich. 1945 nach Deutschland zurückgekehrt, verbrachte er seine letzten fünf Jahre wieder in Berlin, wo er 1946 Professor an der Hochschule für Bildende Künste wurde. Strecker starb 1950 im Alter von 51 Jahren.

„Männliche Lyrik & Existentielle Erzählungen“ – Bilder von Paul Strecker, Galerie „Mainzer Kunst!„, bis 4. Februar 2012

 

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