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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„La Calisto“ von Francesco Cavalli in der Oper Frankfurt

Amor, der Taugenichts – Amor, der Glücksbringer
Irdische Liebe – himmlische Liebe

Von Renate Feyerbacher

Feuerrot ist sein Kostüm. Grazil, knabenhaft, beflügelt, beobachtend, lauernd, mit Flöte bewaffnet, hockt Amore (Amor) alias Eros, um seine Intrigen zu beginnen.

Anna Fusek (Amore), Foto: © Barbara Aumüller

Ein schön anzusehender Liebesgott in Gestalt der Musikerin und Schauspielerin Anna Fusek. Mal listig, mal traurig, mal rabiat, pantomimisch nuanciert, lenkt sie betörend die Verwirrspiele mal vom schmalen Bühnensteg aus, mal aus dem Publikum. Sinneslust pur.

„Alle sind verrucht, die an Amor glauben“

Calisto (Kallisto), die Schöne, ein Mensch, eine Nymphe im Gefolge der Jagdgöttin Diana, wird als Erste Amors Opfer sein. Giove (Jupiter) kommt zunächst als fürsorglicher Obergott. Er bedauert den Zustand der Welt, den der Krieg zwischen Göttern und Menschen angerichtet hat, und will helfen. Die Erde ist verbrannt und kahl. Er erspäht Calisto. Sie klagt über die ausgetrockneten Quellen und gibt Giove die Schuld. Der weibertolle Gott will ihr imponieren und lässt ad hoc die Quellen sprudeln. Natürlich will er nicht nur beeindrucken, sondern naschen.

Anna Fusek (Amore) und Christiane Karg (Calisto), Foto: © Barbara Aumüller

Aber Calisto, die Keuschheit schwor, verweigert sich. Gioves Sohn Mercurio (Merkur), Schutzpatron der Kaufleute und des Handels, aber auch der Diebe und Lügner, rät zur List, zur Täuschung, zur göttlichen Metamorphose. Giove verwandelt sich in die Gestalt der Göttin Diana, der Jagd- und Mondgöttin, Göttin der Keuschheit. Wohlgemerkt – es ist seine Tochter mit Giunone (Juno). Das ist besonders infam von dem verwandlungsgeübten Gott, der oft denen, die er begehrt, als Tier erscheint: bei Europa als Stier, bei Leda als Schwan, bei Ganymed als Adler. Calisto merkt den Betrug nicht und lässt sich von der vermeintlichen Göttin küssen und noch mehr. Der Gott schwängert sie.

„Betrogen von Jupiters Liebesglut“

Der römische Dichter Ovid (43 v. Chr bis um 17 n. Chr) hat in den „Metamorphosen“, seinem 15bändigen Meisterwerk, auch die Geschichte von Kallisto erzählt. Giovanni Faustini (1615 bis 1651), der Librettist der Oper „La Calisto“, verknüpft zwei antike Mythen miteinander, „die ursprünglich nichts miteinander zu tun haben“, sagt der Librettoforscher Albert Gier. Aber Diana tritt in beiden auf, allerdings in unterschiedlichen Rollen. Calisto gegenüber ist sie hart und streng und verbannt sie. Sie selbst, die Hüterin der Keuschheit, verliebt sich in den schönen Hirten Endimione (Endymion). „Faustini war der Erfinder solcher, in der venezianischen Oper des 17. Jahrhunderts sehr beliebten Doppelintrigen, die den Vorteil haben, vier etwa gleichwertige Hauptrollen zu ermöglichen“ (Albert Gier).

Luca Tittoto (Giove) und Christiane Karg (Calisto), Foto: © Barbara Aumüller

Francesco Cavalli (1602 bis 1676) kleidete dieses Drama in Musik. Er komponierte schnell, auch noch während Librettist Faustini probte. Die Uraufführung war in Venedig und könnte im Herbst 1651 oder im Frühjahr 1652 gewesen sein. Letzteres Datum entspräche dem venezianischen Karneval. Als Karnevalsoper wird daher „La Calisto“ auch bezeichnet. „Die Freiheit Venedigs billigt alles … Die berühmte Freiheit Venedigs zieht die Fremden haufenweise an, die Lustbarkeiten und die Vergnügungen halten sie dort fest und erschöpfen ihre Börse“ schrieb der Wissenschaftler Alexandre Toussaint de Saint Didier 1680 in „La ville et la République de Venise“. Suffisant führt er das Beispiel des Herzogs von Savoyen an, der unter falschem Namen verschwenderischen Aufwand trieb.

Luca Tittoto (Giove) und Daniel Schmutzhard (Mercurio), Foto: © Barbara Aumüller

Cavalli hiess ursprünglich Giovanni Battista Caletti und war der Sohn eines Domkapellmeisters. Seine schöne, vielgerühmte Knabenstimme faszinierte den Statthalter von Venedig Federico Cavalli, der den Vierzehnjährigen mit in die Lagunenstadt nahm. Dort erhielt er die beste musikalische Ausbildung und war Schüler von Claudio Monteverdi. Er dankte seinem Förderer, indem er seinen Namen annahm und bis zum Lebensende San Marco als Tenorsänger, Organist, Kapellmeister und Komponist verpflichtet blieb.

„Alle Männer sind verrückt“

Das Künstler-Gespann Faustini-Cavalli konzentrierte sich auf die Liebesintrige, auf die Paare Diana – Endimione und Giove – Calisto. Und es geht ihnen um zwei verschiedene Spielarten der Liebe. Beim ersten Paar ist es himmlische Liebe, die sich in Küssen und Träumen erschöpft, beim zweiten Paar geht es um irdische Liebe, die im Geschlechtsakt endet. Beide nähern sich jedoch an, beziehungsweise ihre Liebe unterliegt auch einer Metamorphose: Mondgöttin Diana muss vom Sternenhimmel steigen, um ihrem keuschen Geliebten, den sie in ewigen Schlaf versenkte, nahe zu sein. Sie gibt sich also irdischer Liebe hin, Calisto wird zum Sternbild und ist so dem Geliebten nahe. So wird die Liebe himmlisch.

Brenda Rae (Giunone), Foto: © Barbara Aumüller

Wie kommt es dazu? Giunone (Juno), Jupiters Gemahlin, hat natürlich den Betrug ihres Mannes schnell erkannt. Aber nicht ihn straft sie, sondern Calisto. Und das sehr hart, obwohl die junge, unschuldige Nymphe betrogen wurde, einer Vergewaltigung zum Opfer fiel. Sie lässt Calisto durch die Furien quälen und verwandelt sie in eine Bärin. Daraufhin verspricht Giove ihr eine weitere Metamorphose: als Sternbild wird sie neben ihm Göttlichkeit erlangen.

„Alle Frauen sind verrückt“

„Rollen- und Partnertausch, aber mit Rückverwandlungsgarantie, für zwei Wochen, eine Nacht, eine Stunde, einen Rausch: her damit – nur bitte danach weiter wie  bisher, um eine Erfahrung reicher, ein bisschen Krise als Chance“ – das schrieb Jan Bosse im Programmheft zur Baseler Inszenierung von „La Calisto“ 2010.

Jan Bosse (1969 geboren), Hausregisseur am Berliner Maxim Gorki-Theater, aktiv an Züricher und Basler Theatern, inszenierte in Frankfurt während der Intendanz von Elisabeth Schweeger Werner Schwabs sogenanntes Fäkaliendrama „Die Präsidentinnen“ mit Karin Neuhäuser. Eine grandiose Inszenierung.

Nach „L’Orfeo“ von Monteverdi ist „La Calisto“ von Cavalli nun seine zweite Operninszenierung, zunächst am Theater Basel und nun an der Oper Frankfurt, genauer im Bockenheimer Depot. Sie wurde neu einstudiert im Bühnenraum von Stéphane Laimé, der seit 14 Jahren für Bosse entwirft (und 2011 „Bühnenbildner des Jahres“ wurde) sowie in den Kostümen von Kathrin Plath. Grandios Laimés Idee mit den Wasservorhängen, auf denen erotische Videoinstallationen projiziert werden.

Mitgebracht hat Bosse aus Basel Anna Fusek als Amore,  Luca Tittoto als Giove und Flavio Ferri-Benedetti als Linfea.

„Ich möchte vernascht werden“

Die Spielstätte Bockenheimer Depot ist ideal für dieses frivole, sinnliche Verwirrspiel. Männer und Frauen sitzen sich in zwei Zuschauerblöcken gegenüber, strikt getrennt durch den Bühnensteg. Und die Protagonisten tummeln sich, je nach Gelüsten, mal in dem einen, mal im anderen Block.

Linfea (Lynfea), zum keuschen Gefolge Dianas gehörend, dreht plötzlich durch, entledigt sich ihres weissen, wallenden Gewandes, stürzt sich im kurzen Leopardenkostüm auf die Tribüne der Männer und sucht und findet einen männlichen Schoss. „Ich möchte vernascht werden.“

Flavio Ferri-Benedetti (Linfea) und Christopher Robson (Satirino), Foto: © Barbara Aumüller

Amore leistet tolle Arbeit. Sie hetzt den kleinen Satyr, ein Mischwesen aus Mensch und Tier, auf Linfea, die natürlich angewidert ist.

Das Publikum kommt aus dem Staunen nicht heraus, auch wenn man bedenkt, wie alt diese Geschichte beziehungsweise dieser Text ist und – wie modern. Jacques Offenbach könnte sich hier Ideen geholt haben und auch Mozart: das Duo Jupiter und Merkur erinnert an Don Giovanni und Leporello.

Ein Heidenspass, der dank einer glänzenden Regie nichts mit Klamotte zu tun hat.

Die Musik: eine Entdeckung

Francesco Cavalli, der mehr als 30 Opern schrieb, war damals der führende Opernkomponist Italiens und damit Europas. Selbst seinen Lehrer Monteverdi übertraf er mit seinen musikalisch-durchstrukturierten Formen. „Welche Oper stellt so offen wie diese Sinnlichkeit und Sexualität in den mannigfaltigsten Formen dar?“ fragt Dirigent René Jacobs im CD-Booklet von „La Calisto“ (2005).

Cavalli begeistert durch Nuancenreichtum der Stimmen: da ist der leidenschaftlich-verzweifelte Sopran der Calisto, der dramatische von Diana und der fast hysterische, in Koloratur sich steigernde von Giunone.

Jenny Carlstedt (Diana), Foto: © Barbara Aumüller

Nymphomanin Linfea wird von einem Countertenor gesungen, der sich auf Travestierollen spezialisiert hat. Der kleine Satyr ist auch ein Countertenor mit hoher Stimmlage. Das Mischwesen Pane (Pan), der Hirtengott, singt manchmal überdreht in seiner Tenorstimmlage. Weich, zart, poetisch-träumerisch ist die Stimme von Endimione, Dianas Liebhaber, „des männlichen Altisten“ (René Jacobs). Zwei Basspartien sind dabei: Panes Begleiter Silvano imponiert mit ruppigem Bass. Gioves Klangfarbe ist dagegen locker, verführerisch und steigert sich als Diana ins Falsett. Sein Helfershelfer, Sohn Mercurio, ist ein kecker Bariton wie Leporello. Selten ist so viel stimmliche Vielfalt zu hören.

Nur Amore, Anna Fusek, singt nicht, spielt Flöte und Geige und eilt beweglich durch alle turbulenten Liebesspiele, die er entfachte, und die ein grandioses Sängerinnen- und Sängerteam spielfreudig realisiert: allen voran Christiane Karg als Calisto, Luca Tittoto als Giove, ein italienischer Casanova, Daniel Schmutzhard als Mercurio, Jenny Carlstedt als Diana, Brenda Rae als Giunone, Valer Barna-Sabadus als Endimione, Flavio Ferri-Benedetti als Linfea, Martin Mitterrutzner als Pane, Florian Plock als Silvano, Christopher Robson als Satirino und als Chor das Ensemble Barock vokal der Hochschule für Musik in Mainz.

Last not least dirigiert – sehr einfühlsam, spritzig und fein – der englische Barockspezialist Christian Curnyn die wenigen Musiker  des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters vom Cembalo aus.

Anna Fusek (Amore), Foto: © Barbara Aumüller

Selten besinnt sich Amore und hält inne.

Den Sternenhimmel am Ende produziert das Publikum mit kleinen, in der Pause verteilten Lampen.

Weitere Vorstellungen der Oper Frankfurt am 2., 4., 6. und 7. Januar 2012. Ort des Geschehens: das Bockenheimer Depot, jeweils um 19.30 Uhr.

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