Der Pianist Martin Stadtfeld
Leidenschaft, Begeisterung und eiserner Wille
Text und Fotos: Renate Feyerbacher
März 2011, die Aula der Musterschule Frankfurt, ein Gymnasium, das sich als Zentrum zur Förderung musikalisch Begabter versteht.
Die Schulaula ist fast voll besetzt
Zu dem Schülerkonzert, genauer dem Gesprächskonzert mit dem Echo-Klassik-Preisträger Martin Stadtfeld, sind Schüler von Frankfurter Schulen gekommen. Dabei ist auch der 15jährige Lan Phien Pham aus Vietnam, der bereits an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Klavier studiert und beim Neujahrskonzert am 22. Januar 2012 im Holzhausenschlösschen spielen wird.
Lan Phien Pham
Gefördert hat die Veranstaltung das Bankhaus Metzler und initiiert hat sie die Frankfurter Bürgerstiftung im Holzhausenschlösschen, die sich für eine kindgerechte Vermittlung von klassischer Musik einsetzt. Zu Pianist Martin Stadtfeld hat der Geschäftsführer der Bürgerstiftung, Clemens Greve, schon länger gute Kontakte. Bereits 2003 ermöglichte die Frankfurter Bürgerstiftung Stadtfelds erste CD mit den „Goldberg-Variationen“ von Johann Sebastian Bach.
Schulleiter Stefan Langsdorf, Musiklehrer Ulrich Bruggaier und Martin Stadtfeld nach dem Konzert
Ein Jahr zuvor, 2002, gewann der junge Pianist, der zuvor mehrfach Preisträger des Bundeswettbewerbs „Jugend musiziert“ war, den ersten Preis des Internationalen Bach-Wettbewerbs in Leipzig und wurde über Nacht zum neuen deutschen Klavier-Star. Seitdem stehen ihm alle Konzertsäle offen. Auf die Frage eines Schülers, an welchem Wettbewerb er demnächst teilnehmen werde, antwortet Martin Stadtfeld: „Ich will nur einmal an einem Wettbewerb teilnehmen.“
Sehr ernst betrat der Künstler im März die Aula des Gymnasiums Musterschule. Er wirkte verschlossen, introvertiert. Wird er die Schüler interessieren können? Schon bald wird klar: er kann. Am Klavier sitzend, Bach spielend, erzählt er von seinem Lieblingskomponisten. Hin und wieder greift er zum Mikrofon und unterhält sich mit den Schülern. Er lässt nicht zu, dass über einen Schüler, der musikalisch nicht informiert ist, gelacht wird, als er eine Frage stellt. „Nicht lachen, es ist mutig.“ Er lässt den Schüler nach vorne kommen.
Gesprächskonzert am 22. März 2011
Seit Jahren geht Martin Stadtfeld zu Kindern und Jugendlichen in Schulen, um ihnen von der klassischen Musik, von Komponisten, vom Klavierspiel, von seiner Arbeit als Pianist zu erzählen. Er versteht es als Mission und als Notwendigkeit. Er möchte das klassische Konzert wieder in der Mitte der Gesellschaft sehen, wie er einmal in einem Interview sagte. Aber er weiss, dass dieser Wunsch der Grundstimmung unseres Zeitgeistes widerspricht. Wenn man noch nie in einem klassischen Konzert war, nicht vertraut ist damit, was einen erwartet, dann bedürfe es Mut, der aber belohnt werde durch ein wunderbares Erlebnis. Klassische Musik und vor allem die von Johann Sebastian Bach löst Emotionen aus.
Martin Stadtfeld
Martin Stadtfeld spielt Stücke aus dem Zyklus „Das Wohltemperierte Klavier“ und spricht zu den verschiedenen Passagen. Zum Beispiel: „Stille ist Zwiesprache des Menschen mit sich selbst“; oder zu einer Fuge: „Streitgespräch. Es geht hoch her.“ Indem er ein Mädchen anblickt: „Mutter zur Tochter: ‚Du hast nicht gelernt‘ – Mädchen: ‚Ich hab doch gelernt‘ – Vater: ‚Du hast nicht‘.“ Oder als er in cis-Moll spielt: „Niedergeschlagenes, trauriges Gefühl. Schmerz kann durch Musik überwunden werden.“ Er demonstriert, wie Bach aus der traurigen Stimmung zum Aufbruch gelangt und den Schmerz überwindet. So bezieht er die jungen Menschen ein, die nicht gelernt haben, diese Musik zu hören und zu verstehen, und vielleicht selbst darin Trost zu finden. Das ist sehr persönlich. „Leidenschaft ist wichtig – nicht wie in der Welt von Dieter Bohlen.“ Danach spielt er die Stücke, die er erklärte, einfühlsam und lebendig ohne Unterbrechung.
Für Martin Stadtfeld sind gerade die Stücke des „Wohltemperierten Klaviers“ eine Achterbahn der Gefühle. Bach hat als erster Komponist alle 24 Dur-und Moll-Tonarten in einem Klavierzyklus vereinigt. Feierlich, tänzerisch, virtuos, chromatisch geht es zu. Vielfältig sind die Ausdrucksformen.
Dank der Schülerinnen und Schüler
Elf Einspielungen stehen auf der Liste von Stadtfelds Diskographie. Die meisten sind Johann Sebastian Bach gewidmet. Die letzte CD erschien im Oktober 2011. Stadtfeld interpretiert die Klavierkonzerte D-Dur BWV 1054, g-Moll 1058 und A-Dur 1055, ausserdem acht kleine von ihm bearbeitete Präludien und Fugen für Orgel. Bereits 2006 hat er andere Bach’sche Klavierkonzerte und Solostücke eingespielt.
CD „Martin Stadtfeld, J. S. Bach, Klavierkonzerte Vol. II“,
Philharmonisches Kammerorchester München,
Leitung Lorenz Nasturica-Herschcovici;
mit freundlicher Genehmigung Sony Music Entertainment, 88697964732 – 2011; alle Rechte vorbehalten
Eine sehr persönliche Aufnahme: Bach und der Pianist gehören zusammen.
Martin Stadtfeld bleibt dem Bach’schen Gedanken eng verpflichtet, findet aber eine Interpretation, die wir heutigen Hörer verstehen: modern-lebendig und dennoch einem genauem Bach-Spiel verpflichtet. Mal spielt er beschwingt, mal sehr nachdenklich, sein Anschlag ist klar, zart, kraftvoll, sehr differenziert, nuanciert. Das, was er den Schülern an Emotionen erklärte, ist wiederzufinden. Das Philharmonische Kammerorchester München unter seinem Dirigenten Lorenz Nasturica-Herschcovici folgt seiner Diktion ebenso kraftvoll wie einfühlsam. Alles klingt wie aus einem Guss.
Wunderbar auch die kleinen Pretiosen für Orgel, von denen nicht sicher ist, ob sie alle von Johann Sebastian Bach stammen. Das tut nichts zur Sache. Stadtfeld hat sie für Klavier eingerichtet und interpretiert sie exzellent. Da zeigt sich, dass er, wie bereits im Schülerkonzert erlebt, sich den kleinen Stücken genauso hingibt.
Der 31jährige Pianist, in Koblenz geboren, gab mit neun Jahren sein erstes Konzert und studierte ab dem 14. Lebensjahr an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt bei Professor Lev Natochenny.
Jahr für Jahr stellt dieser russische Klavierpädagoge in der Alten Oper Frankfurt die Schüler seiner Meisterklasse vor, deren Pianistenkarriere bereits vorgezeichnet ist. Er war auch der „Meistermacher“ von Martin Stadtfeld, der bereits viermal den Echo-Klassik Preis erhielt – nicht nur für seine Bach-Interpretationen.
CD „Martin Stadtfeld, Deutsche Romantik“;
mit freundlicher Genehmigung Sony Music Entertainment, 88697754502 – 2010; alle Rechte vorbehalten
Begeistern kann man sich für diese Ouvertüre zu „Tannhäuser“ von Richard Wagner, die sein Schwiegervater Franz Liszt für Klavier bearbeitete. Wie das virtuos perlt. In allen Stücken auf dieser CD „Deutsche Romantik“, manche selten gehört oder wie die „Mondnacht“ aus Robert Schumanns Liederkreis vom Pianisten für Klavier bearbeitet, fängt er die romantische Stimmung ein: feine schwärmerische Momente ohne pathetische Ausrutscher. Zweifellos wieder eine sehr persönliche Einspielung von Martin Stadtfeld.
Prall gefüllt ist Martin Stadtfelds Konzertkalender. Mehrfach im Jahr 2012 ist er in ganz Deutschland mit dem Philharmonischen Orchester München unterwegs. Seine Solo-Auftritte beginnen gleich am 13. Januar in der Kölner Philharmonie. Weiter geht es Schlag auf Schlag: am 25. März ist er dann bei einem Pro Arte-Konzert in der Alten Oper Frankfurt zu hören, wo er die acht kleinen Präludien und Fugen von Bach spielt und sechs „Moments musicaux“ von Sergej Rachmaninow. Im Juli gastiert er im Wiesbadener Kurhaus und beim Rheingau Musik Festival.