Artists in Residence 2011 – Jahresausstellung der Gastkünstler in Frankfurt
Joerg Auzinger (Wien), Akos Czigany und Erik Mátrai (Budapest), Katrin Huber (Salzburg), Oskar Hugal und Wouter van der Hallen (Antwerpen), Magnus Logi Kristinsson (Helsinki), Jaehyung Lee (Seoul), Nives Sertic (Dubrovnik) und Sonia Shiel (Dublin) – so lauten die Namen der zehn diesjährigen Gastkünstler – besser auf Neuhochdeutsch Artists in Residence – in den beiden städtischen Gastateliers hoch oben auf dem „Kulturbunker“. Ihre Arbeiten, kuratiert von Professor Peter Weiermair, sind wiederum im AtelierFrankfurt zu sehen – bis zum 26. Januar 2012.
Corinna Bimboese (AtelierFrankfurt), Susanne Kujer (Kulturamt) und Kulturdezernent Felix Semmelroth bei der Eröffnung der Gastkünstler-Ausstellung am 18. November 2011
„Neben dem Grundgedanken eines kulturellen, Länder und sogar Kontinente übergreifenden Künstleraustausches“, sagt Kulturdezernent Professor Felix Semmelroth, „ist es ein zentrales Anliegen des Artist in Residence-Programms der Stadt Frankfurt, Freiräume und neue Impulse für künstlerische Arbeiten zu ermöglichen sowie den Dialog zwischen den unterschiedlichen Partnerstädten weiter auszubauen.“ Ein Künstler könne in einer globalisierten und digitalisierten Welt, so sollte man meinen, eigentlich an jedem Platz der Erde sein Atelier einrichten und von jedem Platz aus künstlerisch arbeiten; umso erstaunlicher erscheine der Befund, dass rund 40 Prozent der Künstlerinnen und Künstler letztendlich an einem einzigen Lebens- und Arbeitsort festhielten.
„Seit jeher gehören“ – so das Kulturamt weiter – „Reisen und das Arbeiten im Ausland zum integralen Bestandteil des Schaffens der – wie wir neudeutsch sagen würden – ‚Kreativen‘. Doch die Zeiten ändern sich … Statt der klassischen Kunst-Pilgerfahrt nach Rom werden uns heute Aufenthalte in der ganzen Welt ermöglicht. Hatte man früher vor allem handwerkliches Wissen und technische Fähigkeiten im Bereich der Bildenden Kunst ausgetauscht, sind heute eher die ‚Softskills‘ für die Künstler von Bedeutung: Wie funktioniert der Kunstmarkt in einem anderen Land? Welche neuen Impulse und Bewegungen gehen von der Kunstszene in der jeweiligen Stadt aus? Woran orientieren sich Kunstkritik und mediale Vermarktung? Wie gehen Künstler in einem anderen Land mit ihrer Existenz als Künstler um? Wie erfahre ich mich selbst und meine künstlerische Arbeit in einem fremden Kontext?“
Eine Auswahl von sechs der zehn Gastkünstlerinnen und -künstler mit zumeist sehr konzeptuellen Arbeiten stellen wir vor und lassen sie zum Teil unmittelbar zu Wort kommen:
Wouter Van der Hallen wurde 1984 in Antwerpen geboren. Er studierte 2002 bis 2006 an der Royal Academy of Fine Arts in Gent und an der Faculdade de Belas Artes der Universität Lissabon mit dem Abschluss Master of Fine Arts. Er stellte vielfach in Belgien sowie in Durban, Innsbruck, Linz, Lissabon und London aus. Der Künstler lebt und arbeitet in Antwerpen.
Three Candles, 2011, Archival pigment print on Baryt, (with frame) 63 x 49 x 2,6 cm;
Beginning and end (The Dolphin), 2011, Line drawing, white neon, 50 x 50 x 15 cm
Wouter Van der Hallen beschäftigt sich mit Architekturen, Strukturen und Objekten, mit Methoden der Konstruktion, Dekonstruktion und Rekonstruktion – oft auf der Ebene der Matapher. Natürlich denken wir bei „Three Candles“ sofort an Nam June Paiks „One Candle“, die Fotografie ist ein Mittel, das Werk, auf das sich der Künstler bezieht, zu zitieren.
Der Delphin in „Beginning and end“ basiert auf einem Emblem, das die Bar eines – angeblich berüchtigten – Londoner Pubs ziert. Jede Neonröhre – vom Handwerker gezogen – sei, so der Künstler, eine in den Raum gezogene Linie von skulpturaler Qualität, egal welche Absicht der Produktion zugrunde liege, egal, ob sie ein Werbesignet oder ein Kunstwerk darstellen solle. Obwohl die beiden Arbeiten in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen, ergibt sich zwischen dem schwarz-weissen Foto-Zitat und der hoch darüber platzierten Neonskulptur ein reizvolles Spannungsfeld.
Sonia Shiel, 1975 in Dublin geboren, studierte dort am National College of Art and Design und anschliessend am Institute of Art, Design and Technology mit den Abschlüssen Bachelor of Art und Master of Visual Art Practice. Studienaufenthalte führten sie unter anderem nach Berlin und Calgary, sie stellte über Irland hinaus in Berlin, London, New York und in Finnland aus.
the end of the world in pictures, 2011, Installation, oil on canvas (250 x 400 cm / 20 x 30 cm), slats, paint, corn, cardboard, dimensions variable
Shiels mehrteilige Installation, die ein Tafelbild in Öl auf Leinwand einschliesst, basiert auf dem Material Popcorn oder Puffmais, was ja wohl auf dasselbe herauskommt, sieben in durchsichtigen Gewändern gegürtete Frauen rösten ihn – in graduellem Optimismus, wie es heisst – über offenem Feuer in einem virtuellen Raum. Auch die Teppichrolle ist mit Puffmais überzogen – oder ist es ein krumm geschossenes Kanonenrohr? Zuvor muss man sich durch ein grob „gezimmertes“ Papp-Portal zum „end of the world“ begeben. Doch Vorsicht, die kleine Puffmais-Zeitzünderbombe lauert, also entweder Reissaus nehmen oder das Ganze gleich als Scherz erkennen!
Humorvolle Kritik an den Dingen und Unternehmungen der Menschheit lautet das Motto der Künstlerin, Kritik auch nicht zuletzt am Umgang der Gesellschaft mit der Kunst. Poesie, Witz und Spielfreude gesellen sich hinzu.
Und noch jemand beweist Humor: Er sass den ganzen Eröffnungsabend lang im weiss gestrichenen Kasten, nur durch drei winzige Tür-Spione, mittig, links und rechts an der Kiste angebracht, konnte man ihn betrachten; nein, es mangele ihm an nichts, verlautete es von der Ausstellungsleitung, er habe zu lesen bei sich und zwei kleine Bierchen: Magnus Logi Kristinsson.
Der Performance-Künstler, 1975 in Reykjavík geboren, lebt und arbeitet in Helsinki. Sein Werdegang: 1999 bis 2003 Bachelor „Time Based Art“, Gerrit Rietveld Academy Amsterdam; 2002 „Exchange student in Sculpture“, Academy of Fine Arts Helsinki; 2003 bis 2005 Master „Time Based Art“, Academy of Fine Arts Helsinki.
Seine Performances zeigte er unter anderem in Berlin, Helsinki, New York, St. Petersburg, Suomenlinna und Turku sowie auf dem Plateau Festival in Frankfurt am Main.
List Performance, 18.11.2011, Podium, Music Stand, Performance during the opening untitled, 2011, Digital-Print, 20 x 30 cm, 4 units
Lassen wir den Künstler selbst sprechen:
„My art involves around performances and I do not like to show a documentation of my performances and they usually break down the strength of the real performance so for this exhibition I wanted to show photographs of my performances but not as a documentation of a performance but rather as work on its own, this selections of photographs are my attempt to do this. They are details of the performances, movements, body parts, props … it can be whatever performances and from whomever … My performances are language based, I often chooses particular words, lines them up into lists and recites them out loud. Sometimes it is the pronunciation that is a key element, where I play with foreign or local accents, eloquent intonation or careful, literal diction. I traditionally appear well dressed in my performances, like a classical music performer, often with a note stand at hand or other basic props. My listings become a mix of concrete poetry and music as the meaning of language is blurred in my structural format.“ (Magnus Logi Kristinsson)
Die 1980 in Salzburg geborene Katrin Huber kann auf folgenden Ausbildungsweg verweisen: 1996 bis 2001 Höhere Technische Lehranstalt für Grafik Design, Linz; anschliessend dort Meisterschule für Kommunikationsdesign; anschliessend Kunst- und Werkerziehung, Lehramtsstudium an der Universität Mozarteum, Salzburg; 2002 bis 2005 Klasse Bildhauerei bei Rudolf Arnold an der Universität Mozarteum; seit 2005 dort Malerei bei Dieter Kleinpeter. Die Künstlerin erhielt mehrere Stipendien und stellte bislang in Salzburg, Helsinki, Neumarkt, Saalfelden, Strobl und Wien aus.
sp 60, 2011, Acryl auf Baumwolle, 80 x 238 cm;
ffm 1, 2011, Acryl auf Kreppband, 110 x 70 cm;
ffm 2, 2011, Acryl auf Kreppband, 100 x 260 cm
Und wieder lassen wir die Künstlerin sprechen:
„Den malerischen Schwerpunkt meiner Arbeiten legte ich seit 2005 auf das Thema Selbstportrait … Dies zeigt sich in meinen Bildern in einer fragmentarischen und verdichteten Weise. Der Entstehungsprozess spielt dabei eine bedeutende Rolle und wird in einigen Bildern als ‚gemaltes Bild‘ vorgeführt. Grobe Zeichnung, klare Flächen, starke Kontraste, präzis gemalte Partien – durch die Mischung verschiedenster Strukturen und Malweisen stellt sich der Grad zwischen Zerfall und Zusammenhalt eines Bildes dar. Aber auch die Wahl des (oft sehr grossen) Formates ist für meine Arbeit sehr wichtig, da dies für mich auch eine Auslotung räumlicher und körperlicher Grenzen bedeutet.“ (Katrin Huber, 2010)
„Das Netz als Struktur fasziniert mich seit einigen Jahren und findet sich in vielen meiner Bilder wieder. Netz als Symbol von verfestigten, in Form gebrachten Strukturen: Gegliedert, beengend, formbar – aber auch Verbindungsstück – vernetzt. Im Kulturbunker in Frankfurt stiess ich auf eine vorherrschende Architektur, in der ich das Netz in erstarrter Form von Gittern und Linien vorfand. Diesen Teil der Architektur griff ich nun in meinen Arbeiten auf und verband sie mit meinen Netzen, die ich in meinen Selbstportraits meist als Form gebenden Teil der Kleidung einsetze. Den Kontrast von freien, in einem Strich durchgezogen Netzen und einer (er)starr(t)en Struktur von Gitterlinien empfinde ich dabei bezeichnend für die Organisation des Systems, in dem wir uns derzeit bewegen.“ (Katrin Huber, 2011)
Joerg Auzinger, 1972 in Linz geboren, lebt und arbeitet in Wien und Graz. Von 1987 bis 1992 studierte er Audiovisuelle Medien an der Höheren Technischen Bundeslehranstalt für Kunst und Design in Graz, von 1992 bis 1994 Filmregie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Wien und anschliessend in der Meisterklasse für Visuelle Medienkunst bei Professor Peter Weibel an der Universität für Angewandte Kunst, Wien. Er erhielt Stipendien und stellte unter anderem in Frankfurt am Main, Graz, Krakau, Ljubljana, Madrid, München, New York, Nova Gorica, Peking und Wien aus. Auzinger lehrt an der Universität für Angewandte Kunst in Wien „Expanded Photography“.
Adjustierung des Glücks, 2011, Installation, Globus, Sockel, Prints (42 x 59 cm)
„Adjustierung des Glücks“ heisst eine thematische Serie von Arbeiten des Künstlers aus verschiedenen Elementen, die in Frankfurt am Main entstanden und in denen er sich auf metaphorische Weise mit Weltbildern befasst. Zwei Globusse rotieren in gewissen Zeitabständen, so dass keine Länder und Orte mehr erkennbar sind, und an der Wand hängen drei Tafeln mit Weltkarten, die jedoch keine Länder- und Ortseinzeichnungen enthalten. Übrig bleibt der Betrachter, der sich in Selbstreflexion und Selbsterkenntnis neu vermessen, neu positionieren und sein Glück adjustieren soll.
Akos Czigany, 1972 in Budapest geboren, studierte von 1990 bis 1995 Humanwissenschaften an der dortigen Eötvös Loránd Universität. Er erhielt mehrere Preise und stellte bislang in Budapest, Chemnitz und Paris aus.
Gallery (The light of art): Frankfurter Kunstverein, Liebieghaus Skulpturensammlung, Museum für Moderne Kunst, Museum für Angewandte Kunst, Städel Museum, Galerie BRAUBACHfive, Galerie Bärbel Grässlin, 2011, Digital Print, 50 x 70 cm
Akos Czigany setzt sich mit Kunst und Licht auseinander und fragt, ob in heutiger Kunst Licht sei. Dazu fotografiert er metaphorisch die Licht- und Beleuchtungssituation an beziehungsweise in den Decken verschiedener Frankfurter Museen und Galerien.
Der Künstler über seine Arbeit:
Is there light in today’s art?
I.
Photography in museums and galleries is restricted.
It is prohibited in many art spaces.
II.
In some, only photography of artworks is allowed but photography of the building, of the space of art, is prohibited.
In others, only photography of the building, of the space of art is allowed but photography of artworks is prohibited.
III.
Flash is prohibited everywhere. It is a universal consensus.
‘You must not bring your light. Do not add your own. We already have it.
We provide it. We construct, modify, filter, interpret and use it.
We own it.‘
IIII.
Since walls are needed to hang the artworks,
most of the light comes from above in most museums.
IIIII.
Who does look up in art spaces?
There is nothing to see there.
IIIIII.
Nothing to see there, except for the ceiling.
Usually it is a flat and transparent construction, providing natural and/or artificial illumination for the interior.
It is imbued with light.
A membrane between interior and exterior, art world and profane world, the closed and the open.
IIIIIII.
Light embodied between art space and Space.
IIIIIIII.
So there is an element up there
and in galleries everywhere
that makes art visible
therefore it seems invisible
most of the time.
IIIIIIIII.
Is light
a supreme work of art
above all?
IIIIIIIIII.
Is there light
in today’s art?
( Akos Czigany)
Anstoss für Kreativität wie kritische Auseinandersetzung, seit 2005 verfügbar: zwei je 80 qm grosse Wohnateliers für die Gastkünstler (neben drei Arbeitsateliers für heimische Künstlerinnen und Künstler) im preisgekrönten, die Mauern überkragenden „Huckepackaufbau“ auf einem alten Luftschutzbunker.
Der „Kulturbunker“:
Blick von der Atelierplattform auf die Containerstadt …
… der „Brunnen“ an der Bunkermauer
UND NUN ZU ALLERLETZT DIE GROSSE ÜBERRASCHUNG:
Der Performance-Künstler Magnus Logi Kristinsson ist irgendwann des nachts nach der Eröffnungsveranstaltung aus seinem Kasten herausgestiegen, wir besuchten ihn am folgenden Tag in seinem Gastatelier und trafen ihn bei bester Stimmung an; gut sei es ihm in der Box ergangen, versicherte er, nur das Publikum habe sich schlecht benommen, es habe auf der Kiste herumgetrommelt, nein, das sei nicht sehr kultiviert gewesen …
Ob es seinerzeit dem Diogenes von Sinope in seinem Fass ähnlich erging?
(Abgebildete Werke © jeweilige Künstler; Fotos: FeuilletonFrankfurt)