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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kunsthalle Mainz: „km 500 4“

Von Vera Mohr

Die Kunsthalle in Mainz präsentiert zum vierten Male die Werke der Kunststipendiaten des Landes Rheinland-Pfalz und des Künstlerhauses Schloss Balmoral unter dem Titel „km 500 4“. 13 Künstlerinnen und zwei Künstler, die zum überwiegenden Teil in den Siebzigern geboren wurden, zeigen bis Mitte Januar 2012 ihre Werke.


Kunsthalle Mainz – Aussenansicht (Foto: Kunsthalle Mainz)

Draussen beherrschte der Nebel die Stadt und fast möchte man „endlich“ sagen in diesem Jahrhundert-November, der so viel Farbe und Glanz nach Mainz brachte, dass man kaum den Blick wenden mochte. Doch an jenem diesigen Freitag war man froh für die schützenden Mauern der Kunsthalle, während man erste Blicke auf die „rheinland-pfälzischen“ Kunstwerke warf, die sich nur selten auf ein Medium beschränkten, wie der Kurator und Leiter der Kunsthochschule Mainz, Justus Jonas, bei seiner Einführung versprach.

Die aus dem Iran stammende Sara Rajaei lässt uns in einen verfallenen Hinterhof von Bad Ems blicken, dessen Trostlosigkeit von spärlich spriessenden Pflanzen in Blumentöpfen gebrochen wird. Eine mit Wasser gefüllte Badewanne scheint ihr Überleben zu sichern, und die leicht geöffnete Tür garantiert den Ausstieg aus der Szene. Eine Anspielung auf den Kurort? Denn schon längst sind die guten Zeiten des Badeortes vorbei, der vor mehr als 100 Jahren die Mächtigsten der Nation anzog und Weltgeschichte schrieb. Nur Kassenpatienten sicherten in der jetzigen Republik das Überleben, bis auch die Krankenkassen den Geldhahn zudrehten. Könnte „Wellness“ der Ausweg sein? Aber für Rajaei ist das Bild nur der Hintergrund, denn gleichzeitig lässt sie einen Text aus dem Off vorlesen. Es kommen Hinterbliebene zu Wort, die an die Opfer erinnern, die in einem iranischen Flugzeug sassen, das abgeschossen wurde. Für die Insassen gab es damals keinen Fluchtweg. Der morbide Hinterhof mit Badewanne signalisiert viel grössere Bedrohung, jenseits der bundesrepublikanischen Interpretation.

Sara Rajaei, A leap year that started on a Friday, 2010, Videostill, Foto: Kunsthalle Mainz

Sara Rajaei: Anwesenheitsstipendium Künstlerhaus Schloss Balmoral. 1976 geboren in Abadan, Iran. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Den Haag und Teheran. 1996-1998 University of the Arts, Teheran, 1999-2002 Royal Academy of Art, Den Haag, 2005-2006 Leiden University, Leiden.

Auch in den Videos von Sandra Schäfer spielt die politische Situation im Iran eine Rolle. Die ausgebildete Filmerin bereist seit zehn Jahren Afghanistan und Iran. Sie engagiert sich in Projekten, die sich mit der Rolle der Frau in jenen Ländern beschäftigen. Ihr Interesse gilt aber auch der Frage, wie es zur islamischen Revolution im Iran kommen konnte, die das Weltgeschehen so grundlegend veränderte. Welche Rolle spielten die Medien? Ihr Video „Wire the Pictures“, das parallel auf zwei Leinwänden abgespielt wird, informiert über die westliche Berichterstattung, bevor Khomeini in den Iran zurückkehrte.

Sandra Schäfer: Balmoral Stipendium für TrAIN, University of the Arts, London. 1970 geboren in Altenkirchen. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin. 1991-1998 Studium der Freien Kunst, Soziologie und Politikwissenschaften, Universität Kassel, 1996-1997 Studium der Freien Kunst, Slade School of Fine Arts, University College London, 1999-2004 Postgraduiertenstudium Medienkunst/Film, Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.

Karina Nimmerfall, The Glass House (Modern Contemporary), 2010, Mixed Media Installation, Installationsansicht, Foto: Kunsthalle Mainz

Mit ganz anderen Vorurteilen beschäftigt sich Karina Nimmerfall, deren „Glas House“ die Interdependenz von Architektur und medialer Beachtung im wahrsten Sinn durchleuchtet. Während die kastenförmige, schnörkellose Architektur des Bauhauses bei uns als fortschrittlich, modern, ja sogar als demokratisch gefeiert wurde, ist es gerade dieser Bautyp, der nach Nimmerfalls Recherchen in zahlreichen Filmen die Kulisse für kriminelle Handlungen gab. Villen der gefeierten Architekten Philipp Johnson und Richard Neutra wurden so zum Hort des Bösen.

Karina Nimmerfall: Projektstipendium des Landes Rheinland-Pfalz. 1971 geboren in Deggendorf. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin. 1990–1995 Studium der Kunstgeschichte an der Universität Wien, 1996–2001 Studium der Freien Kunst an der Hochschule für bildende Künste Hamburg.

Rebecca Ann Tess, Missing Image # 1 (From the Green Belt), 2010, Digital C-print, courtesy Rebecca Ann Tess und Figge von Rosen Galerie, Foto: Kunsthalle Mainz

Das Böse lauert auch in der Fotoreihe von Rebecca Ann Tess. Oder? Zu sehen ist es jedenfalls nicht. Denn nur wenige Stellen der Bilder sind ausgeleuchtet, der Rest liegt im Dunkeln und entzieht sich der Kontrolle. Dargestellt sind Jugendliche, die sich nachts zum „Cruisen“ im Park und am Flussufer treffen. Posen, die auf sexuelle Bereitschaft schliessen lassen, erhöhen das Interesse des Betrachters, mehr sehen zu wollen. Doch vieles bleibt im Dunkeln und nährt den Verdacht, dass im Schattenreich jenseits der Norm agiert wird.

Rebecca Ann Tess: Balmoral Stipendium für Residency Unlimited und Flux Factory, New York. 1980 geboren in Annweiler. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. 2002-2007 Studium der Bildenden Kunst, Universität der Künste Berlin, 2004-2005 Studium der Bildenden Kunst, Chelsea College of Art and Design London, 2006 Gaststudium MFA Visual Arts Program, Columbia University New York City, 2007-2009 Studium der Bildenden Kunst, HfBK Städelschule Frankfurt am Main.

Den Aspekt der Kunstfertigkeit thematisiert Sabine Boehl in ihrem Werk „Keeping“, und sie stemmt sich gegen die weit verbreitete Meinung, die „Können“ und „schön“ in den Bereich Handwerk und Design verbannte. Aus winzigen Glasperlen, die sie auf die Leinwand stickt, entstehen Figuren und geometrische Figurationen, die an arabisch-islamische Ornamente erinnern.

Sabine Boehl: Anwesenheitsstipendium Künstlerhaus Schloss Balmoral. 1974 geboren in Darmstadt. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Düsseldorf. 1995-1999 Hochschule für Gestaltung, Offenbach, 1999-2003 Kunstakademie Düsseldorf bei Professoren Gerhard Merz und Daniel Buren, 2003 Meisterschülerin von Gerhard Merz.

Zhu Hong, Le génie des arts, 2010, Öl auf Leinwand, Foto: Kunsthalle Mainz.

Fides Becker, Wandmalerei (Vor Ort-Malerei), Foto: Vera Mohr

Auf „Vergangenes“ beziehen sich auch die Werke von Zhu Hong und Fides Becker. „Le génie des arts“ greift das Kopieren alter Meister auf, das als Lehrfach an Kunstschulen noch heute in Asien grosse Tradition hat, und verfremdet seine Motive, die wie überdimensionierte verpixelte Fotoausschnitte daherkommen. Während die Wandmalereien von Becker an Architekturskizzen erinnern, mit denen Auftraggebern das Geld für zukünftige Bauten aus der Tasche gelockt werden sollte, damals vor der Computeranimation. So richtige „Eyecatcher“ in ihrer Farbigkeit.

Zhu Hong: Austauschstipendium des Landes Rheinland-Pfalz mit Burgund. 1975 geboren in Shanghai. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Dijon. 1993-1997 Shanghai University Fine Arts College, Spezialisierung auf Ölmalerei, Bachelor of Art, 2004-2007 Ecole Nationale Supérieure d’Art (ENSA) de Dijon, Diplôme National Supérieur d’Expression Plastique.

Fides Becker: Stipendium des Landes Rheinland-Pfalz für die Cité Internationale des Arts, Paris. 1962 geboren in Worms. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. 1981-1985 Studium an der Städelschule, Frankfurt am Main, 1985-1988 Studium an der Academie voor Beeldende Kunsten, Rotterdam, 1986-1989 Studium an der Hochschule der Künste, Berlin, 1985-1996 Rotterdam, seit 1996 wieder in Frankfurt am Main.

Auf das Hier und Heute reagieren dagegen die Werke von Heike Bollig, die der Abfallgesellschaft die Rohstoffe für ihre Installationen abgewinnt. Eine auf Ampel getrimmte Skulptur entpuppt sich als Halter für ausrangierte Deckel von Kochtöpfen.

Heike Bollig: Anwesenheitsstipendium Künstlerhaus Schloss Balmoral. 1973 geboren in Karlsruhe. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin. 1994-1997 Ausbildung zur Holzbildhauerin an der Berufsfachschule in Berchtesgaden, 1997–2004 Studium der Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste, München, 2001–2002 Studium der Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.

Verónica Aguilera, Parkplatz, Parken auf eigene Gefahr, 2010-2011, Installation im Aussenraum, Farbausdruck, Ausschnitt Dokumentation, Foto: Kunsthalle Mainz

Wie einfach es sein kann, bestehende Systeme zu verändern und das Verhalten von Mitmenschen zu beeinflussen, demonstriert Verónica Aquilera. Sie traut sich und malt Linien auf einen verwilderten Parkplatz. Und, was passiert? Ab jetzt stehen die parkenden Autos in Reih‘ und Glied.

Verónica Aguilera: Anwesenheitsstipendium des Künstlerhauses Schloss Balmoral. 1976 geboren in Barcelona. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und Barcelona. 1999 Kunststudium an der Universität Barcelona, 2000 Aufbaustudium der Experimentellen Raumkonzepte bei Professor Heiner Blum an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, seit 2007 Ph. D. Studies, Doktorarbeit an der Universität von Barcelona.

Ausser den genannten Künstlerinnen sind Susanne Bürner, Nicky Coutts, Michael Heym, Sebastian Meschenmoser, Johanna Reich und Denise Ritter an der Ausstellung beteiligt.

Ausstellung „km 500 4“ in der Kunsthalle Mainz, bis 15. Januar 2012

 

 

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