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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zero Reiko Ishihara öffnet ihr Bestiarium

„Fairy Tales, der Beweis für Nichts“

– so lautet der Titel der neuen Ausstellung der weitbekannten Künstlerin Zero Reiko Ishihara in der Frankfurter Galerie Wolfstädter – letztere ist seit langem geschätzt als Garant für qualitätshaltige Präsentationen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler.

Von Erhard Metz

Galerist Jürgen Georg Wolfstädter

„Why do we exist in this universe? Where are we from and where are we going? These are questions that human beings have long asked“ – mit diesen Fragen eröffnet die Künstlerin ihre Homepage. Und: „I believe it shows many possible forms of existence. There could be other ways to live. I could exist not as I, but despite the many possibilities I am who I am.

Wieso existieren wir in diesem Universum? Gibt es Beweise dafür, dass wir leben, herrschen und bestehen? Was ist Fiktion und was Realität – so steht es als Motto auch über der laufenden Ausstellung.

Natürlich beginnt alles mit dem bekannten Motiv der Künstlerin, dem wurmähnlichen Wesen, nennen wir es der Einfachheit halber hier schlicht Wurm, und denken wir dabei – noch einfacher – an den allgegenwärtigen Regenwurm: eine Millionen Jahre alte, unser Erstaunen auslösende androgyne Spezies, ein Zwitter, besitzt dieses Wesen doch an beiden Enden männliche und weibliche Geschlechtsorgane und pflanzt sich auf diese Weise in sich selbst fort; und nicht minder erstaunlich besitzt es die Fähigkeit der Regeneration nach Fremd- und sogar Selbstverstümmelung.

Ouroboros, 2011, Keramik mit Sockel, ca. 50 x 50 x 55 cm

Nun präsentiert uns die Künstlerin – wir erinnern uns ihrer Ausgangsfrage – dieses wundersame Geschöpf als Ouroboros, als „Selbstverzehrer“, ein schon in der altägyptischen Ikonografie bekanntes Symbol (der sich selbst in den Schwanz beissenden Schlange) für den geschlossenen Kreis als die vollkommenste aller Formen, für das vollkommenste, sich selbst erhaltende Wesen. Symbol auch für den einen Weltkreis, für die kosmische Einheit, für ein „Eins ist alles“.

Zum einen als Wurm und Keramik-Skulptur ausgeführt, zeigt uns Zero Reiko Ishihara den Ouroboros – nun in Gestalt eines geflügelten Drachens – auch als feinst ausgeführte Tuschezeichnung. Sie greift dabei auf eine mittelalterliche Darstellung (Stich von Lucas Jennis, 1590 bis 1630) zurück, die sie mit zusätzlichen, uns auf den ersten Blick als naturwissenschaftlich erscheinenden Zeichnungen und Texten in japanisch anmutenden Schriftzeichen ergänzt. Aber sie verführt uns auf eine listige wie humorvolle Weise: Es handelt sich bei diesen Texten keineswegs um wissenschaftliche Bildlegenden, sondern um Inhalte, die sie uns nicht verrät und die wir – über keinen Entschlüsselungsgscode verfügend – nicht dechiffrieren können.

Ouroboros, 2011, Tusche auf Papier, 29,4 x 42 cm

Und weiter geht es mit den ironisch-pseudowissenschaftlichen Zeichnungen: Vom hermaphroditischen Wurm ist es nicht weit zu den „Androgynos“, den Hermaphroditen in der Welt der Insekten und auch der Menschen. Der – wiederum wurmähnliche – Hinterleib des Insekts erhält in komischer Vergrösserung und Verfremdung einen evulutionsgeschichtlich auf den „Legebohrer“ der Weibchen zurückgehenden Stachel.

Androgynos 1, 2011, Tusche auf Papier, 29,4 x 42 cm

Androgynos 2, 2011, Tusche auf Papier, 29,4 x 42 cm

Schon in den alten Mythen gab es die Vorstellung der Androgynie, wie übrigens letztlich auch in der Genesis des Alten Testaments, da Gott das Weib aus der Rippe des Mannes schuf. Umgekehrt in der griechischen Mythologie, in der Zeus dem Weib ein Stück Lehm entnahm und es dem Mann zur Vervollständigung hinzufügte (was ja, pardon, irgendwie plausibler erscheint).

Nun möchten wir natürlich auch hier allzu gern wissen, was sich zu diesen delikaten Themen in den Texten der Künstlerin verbirgt. Nur: Sie wird es uns ums Verplatzen nicht verraten. So bleibt uns denn die Vermutung, dass unsere Suche nach eigenen Antworten darauf Teil der künstlerischen Strategie ist.

Balaena monstrosa, 2011, Tusche auf Papier, 29,4 x 42 cm

Auch der Walfisch, genauer gesagt ein Wal aus der Familie der Balaenidae (Glattwale) muss herhalten, wenn Zero uns aufs (wie wortspielerisch) Glatteis ihrer Kunst führt. Ob sie nun schon einmal einen Balaena monstrosa gesichtet hat, wissen wir nicht wirklich; Wissenschaftlern (selbst japanischen) scheint dieses Tier bislang verborgen geblieben zu sein.

Aber im Ernst: Japan nimmt bekanntlich beim Thema Walfang eine höchst unrühmliche Rolle ein. Und es wunderte uns keinesfalls, wenn da ein Zusammenhang bestünde zwischen diesem traurigen Kapitel japanischer Un-Kultur und der intelligenten Kunst unserer von uns geschätzten Protagonistin.

Harpie, 2011, Tusche auf Papier, 29,4 x 42 cm

Sie sind verführerisch wie Zero Reiko Ishiharas Kunst: die Harpyien, Töchter des Thaumas und der Elektra. Wiederum zitiert die Künstlerin zunächst eine alte Gravur, hier von Mitte des 17. Jahrhunderts. Schön und attraktiv sollen sie nach den Überlieferungen der einen gewesen sein, hässlich und bösartig nach denen der anderen, diese Harpyien. Sie wohnten auf Kreta (nach anderen alten Erzählungen auf Inseln westlich des Peloponnes) und trugen die Seelen der Verstorbenen in den Tartarus.

Und nun kommen wir zum Drachen, dem schlangenartigen, zuweilen mehrköpfigen, oft geflügelten, mit Klauen und Krallen versehenen, meist feuerspeienden Wesen, das in den Mythologien aller Kulturen und so auch in der japanischen eine wesentliche Rolle spielt. Wobei der Drache im ostasiatischen Raum gar kein richtiger Bösewicht ist, sondern in all seiner Ambivalenz ersehnten Regen und Fruchtbakeit und vor allem auch Glück bringt. Und japanische Drachen sollen die Fähigkeit zur Metamorphose besitzen, sich in Menschen zu verwandeln, wie umgekehrt Menschen in Drachen wiedergeboren werden können.

Wiederum zitiert die Künstlerin zeichnerisch, jetzt einen japanischen Drachen, nach einem kolorierten Holzschnitt chinesischer Schule des 19. Jahrhunderts, in der Pariser Bibliothèque des Arts Décoratifs. Sie gesellt ihm eine Schlange, das im alten Griechenland heilige Tier, im jüdisch-christlichen Bereich zur Verführerin Adams und Evas mutiert, sowie zwei Hippocampi (Seepferdchen) hinzu, deren Vorfahren der griechischen Mythologie zufolge einst den Streitwagen des Meereskönigs und Zeus-Bruders Poseidon zogen. Nun haben Seepferdchen einen wurmartigen Hinterkörper, womit sich der Kreis schliesst und wir wieder zu Zero Reikos Lieblingstier zurückkehren.

Und noch immer wissen wir nicht, welche Weisheiten und Erkenntnisse uns die Künstlerin in den uns verschlossen bleibenden Texten vorenthält. Es bleibt uns nur, eines dieser Werke zu erwerben und täglich anzuschauen, so lange, bis wir eines Tages Zero Reikos schmunzelndes Wissen teilen.

Zero Reiko Ishihara vor „Drache“, 2011, Tusche auf Papier, 50 x 70 cm

Zero Reiko Ishihara, 1976 in Okayama geboren, studierte von 1995 bis 2000 an der Kyoto City University of Arts mit dem Abschluss Bachelor of Fine Art. Von 2000 bis 2005 schloss sie ein Studium an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – Städelschule – in Frankfurt am Main an, das sie als Meisterschülerin im Fach Interdisziplinäre Kunst bei Professor Ayse Erkmen abschloss. Sie bestritt zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen in Frankfurt am Main und Umgebung, in Belgrad, Ellwangen, Fukushima, Gelsenkirchen, Istanbul, Iwaki, Krems, Kyoto, Lincoln, London, Salzburg, St. Petersburg und Strassburg. Sie erhielt eine Reihe von Preisen und Stipendien. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Und es soll nicht verschwiegen werden, dass sie eine sehr gute Geigerin ist, die auch mit ihrem Instrument in der Öffentlichkeit auftritt.

Zero Reiko Ishihara: „Fairy Tales, der Beweis für Nichts“, Galerie Wolfstädter, bis 3. Dezember 2011

(Abgebildete Werke © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotos/Scans: die Künstlerin und Erhard Metz)

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