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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Tamara Grcic: „outside-here“ auf dem Frankfurter Rossmarkt

Tristesse und Stadtverschandelung haben in Frankfurt am Main einen Namen: Rossmarkt, Goetheplatz, Rathenauplatz. Besonders der Rossmarkt: Man achtet diesen Platz nicht beim hastigen Überqueren, man richtet den Blick auf das rettende Ufer, damit einen nicht die Krise packt und der heilige Zorn übermannt. Als Frankfurter schämt man sich vor auswärtigen Besuchern dafür, dass gestalterische und geschmackliche Inkompetenz der damals Planenden und Handelnden das Gutenberg-Denkmal in solch einer Basaltwüste, „designt“ wohl einzig für das mühelose Befahren mit der Kehrmaschine, seinem Schicksal überliess. Und wir bedauerten den grossartigen Künstler Tomás Saraceno, der es auf sich nahm, im Dezember 2010 als erster diesen Platz mit einer Skulptur zu „bespielen“.

Der totbasaltierte Frankfurter Rossmarkt, im Sommer zu heiss, im Winter zu kalt, öde, leer, trostlos und von allen guten Geistern verlassen, da konnte auch Tomás Saracenos Skulptur „Cloud Cities/Air-Port-City“ nicht helfen

Tomás Saracenos – an der Situation unschuldiger – Skulptur haftete jenes Stigma an, das allzu oft „Kunst am Bau“ und „Kunst im öffentlichen Raum“ – verurteilt zur Erträglichmachung bedeutungsloser oder vermurkster Architektenhervorbringungen – kennzeichnet. Niklas Maaks Analyse vom 6. Januar 2011 in der FAZ hat dies schonungslos wie überzeugend dargelegt.

Tamara Grcic: „outside-here“ auf dem Frankfurter Rossmarkt

Nun aber spricht einiges dafür, dass der zweiten „Bespielung“ des unsäglichen Platzes ein besseres Schicksal beschieden ist. Die bekannte wie renommierte Frankfurter Künstlerin Tamara Grcic scheut nicht den „Ritt über den Bodensee“, nimmt sich der Zumutung und Herausforderung an und fährt eine Installation – oder vielleicht besser gesagt eine Intervention – mit dem Titel „outside-here“ in der Nähe des Gutenberg-Denkmals auf den Ort der Trostlosigkeit auf, die aufschauen und ebenso aufhören lässt.

Das fing schon recht vielversprechend damit an, dass das verdächtig erscheinende Wohnwagengespann in der Fussgängerzone – ein älterer Mercedes-Kombi der Baureihe 124 nebst einem ebenso in die Jahre gekommenen doppelachsigen Wilk-Trailer, beide ohne amtliche Kennzeichen, der Zugwagen überdies mit  hässlichem Loch, wo als Kühlerfigur der Stern prangen sollte – am Aufstellungs- und Eröffnungstag rund zehn Mal den Unmut der Frankfurter Polizei hervorrief, wie Kuratorin Juliane von Herz augenzwinkernd bemerkte. Und schon vor der feierlichen Eröffnung des Ereignisses durch Frankfurts Kulturdezernent Professor Felix Semmelroth näherten sich zahlreiche Neugierige dem Wohnwagen, der mit seinen vier riesigen, sich alsbald als Lautsprecher entpuppenden trichterförmigen Öffnungen so gar nicht dem gleicht, was man sich unter einem normalen Wohnwagen vorstellt.

Die Neugier, die Erwartungshaltung sind gross: Mag da vielleicht etwas aus dem Lautsprecher herausflattern? Wohl kaum, aber zu hören gibt es Erstaunliches!

Tamara Grcic vor einem der vier Lautsprecher

Kulturdezernent Felix Semmelroth eröffnet „outside-here“

Was  nun verkünden uns diese Lautsprecher? Was sind das für Botschaften, die über den Platz hastende Menschen zum Zuhören, zum Innehalten bewegen sollen? Nun, es ist das Ticken von Uhren, in Beständigkeit und unbeirrbarer Konsequenz, denn die soeben noch „gehörte“ Sekunde ist bereits verstrichen, wird niemals wiederkehren. Es ist die Besinnung auf das vielleicht Kostbarste, was wir Menschen besitzen: die Zeit.

Es spricht uns stets in besonderer Weise an, wenn sich Künstlerinnen und Künstler mit dem Phänomen Zeit beschäftigen, wenn sie Zeit zu erfassen und zu visualisieren versuchen, wenn sie den Ablauf von Zeit bewusst und erlebbar machen, wenn sie uns Zeit-Zeichen setzen in einer rastlosen Welt.

Zeit vor den Frankfurter Bankentürmen, in denen im Computerhandel in der soeben vergangenen Sekunde Millionen-, wahrscheinlich Milliardenbeträge rund um den Globus gejagt wurden, zum Profit der einen, zum Ruin der anderen.

Stehenbleiben, Hören, den Blick ruhen lassen, warum nicht auch auf den Hunderten und Tausenden der absatzgrossen Pflastersteine des Platzes, ihrem Bogenverlauf folgen. Wieviel an Frankfurter Geschichte und Geschichten mögen unter ihnen verborgen sein?

Im kleinen dahinfliessenden Sekunden-Ticken das grosse Raster finden, den Orientierung gebenden Stundenschlag: Von 8.00 bis 20.00 Uhr ertönt zum Ticken der Uhren jeweils zur vollen Stunde eine Klangkomposition, in ihrer zeitlichen Dauer aufsteigend bis zu über sechs Minuten um 19.00 Uhr. Auch Zinken und Trompeten, die uralten Musikinstrumente, kommen zum Einsatz. Wie werden sich diese Klänge zu den Stundenschlägen der Kirchturmuhren ringsum verhalten?

Das Werk „outside-here“ wird sich im Lauf der sechsmonatigen Ausstellungszeit auf dem Rossmarkt fortbewegen und sich in seiner räumlichen und klanglichen Situation verändern. Im Fenster des Wohnwagens wechselt das ankündigende Programm. Kein Zweifel: Es macht uns neugierig. Wir werden den ungeliebten Platz des öfteren aufsuchen, werden schauen und hören, was sich dort ereignet. Wird es uns gar zu neuen An- und Einsichten führen?

Nun sind Tomás Saraceno und Tamara Grcic nicht von ungefähr auf den Frankfurter Rossmarkt gekommen: Da gibt es, unter der Leitung von Juliane von Herz, das Skulpturenprojekt namens ROSSMARKT³ – „Rossmarkt hoch drei“; drei deshalb, weil sich zum Gutenberg- und zum Goethe-Denkmal jeweils für einen befristeten Zeitraum ein wechselndes drittes hinzugesellen soll. Das ambitionierte Unterfangen wird von der Stadt Frankfurt und prominenten Sponsoren wie der Stiftung Polytechnische Gesellschaft unterstützt. Das Besondere dabei: Eine Gruppe von Frankfurter Schülerinnen und Schülern gymnasialer Oberstufen bildet die Jury zur Auswahl des jeweiligen Künstlers, begleitet von einem Expertengremium aus den Bereichen Kunst, Architektur und Städtebau.

ROSSMARKT³-Projektleiterin und Kuratorin Juliane von Herz

„Partizipation sei der tragende Gedanke des modellhaften Projektes“, so heisst es vielversprechend, und die Mitglieder der Auswahljury seien „Repräsentanten der gesamten Bürgerschaft und des Bürgerwillens“. Schön und gut und aller Anerkennung wert, aber warum erst jetzt, wo das Kind längst im Brunnen liegt, und nicht bereits zuvor? Mag der „nach der letzten bürgerfernen Umgestaltung … völlig entleerte, steinige Platz“ (Zitate ROSSMARKT³) jenseits seiner auch kommerziellen Nutzung dank solcher Initiativen durchaus zu einer Art Bühne für Kunst und Kultur werden. Doch schauen wir genauer hin und sehen: mehr oder weniger ein Feigenblatt nur für vorangegangene städtebauliche Verfehlungen der bösen Art im Herzen Frankfurts. Denn solche Einsichten kommen spät, viel zu spät. ROSSMARKT³ rettet den Rossmarkt nicht; nur eine weitgehende Umgestaltung könnte solches erreichen.

Tamara Grcic

Tamara Grcic, 1964 in München geboren, studierte zunächst in Wien Kunstgeschichte und anschliessend bis 1988 Kulturanthropologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von 1988 bis 1993 folgte ein Studium an der Städelschule. Im Zentrum ihrer Arbeiten stehen Fotografie, Filme und Video sowie Installationen. Grcic stellte vielfach aus und erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, unter anderen den begehrten Maria Sibylla Merian-Preis und den Kunstpreis der 1822-Stiftung. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

(Installation © Tamara Grcic; Fotos: FeuilletonFrankfurt)

 → Karl-Ströher-Preis für Tamara Grcic

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