Biennale Arte Venedig 2011 (9): „Gloria“ von Allora & Calzadilla
Auch sie ein ultimativer Hingucker der diesjährigen Biennale in Venedig: die mehrteilige Installation im und vor dem Pavillon der Vereinigten Staaten von Amerika, jenem 1930 in einem „Presidential“-Stil errichteten Gebäude in den Giardini pubblici, mit repräsentativ-antikisierendem Portikus und einer – wenn auch gegenüber dem Washingtoner Capitol verschwindend kleinen – Kuppel über der mittleren Rotunde.
Das Künstlerduo Allora & Calzadilla bespielt, mit eigens dafür entwickelten Arbeiten, den US-amerikanischen Pavillon in diesem Jahr, organisiert, will sagen kuratiert vom Indianapolis Museum of Art.
Jennifer Allora, 1974 in Philadelphia geboren, erwarb an der University of Richmond den Bachelor of Arts und am Massachusetts Institute of Technology den Master of Science. Guillermo Calzadilla wurde 1971 in Havanna geboren. Er beendete sein Studium an der Escuela de Artes Plásticas in San Juan, Puerto Rico, mit dem Bachelor of Fine Arts. Anschliessend studierte er am Bard College in Annandale-on-Hudson, New York, mit dem Abschluss Master of Fine Arts.
Die beiden Künstler, die sich in Florenz kennenlernten, leben und arbeiten seit 1995 in San Juan. Ihre Werke befinden sich unter anderem im New Yorker Museum of Modern Art (MOMA), der Tate Modern in London und im Pariser Centre Georges Pompidou.
Allora & Calzadilla warten auf dem Freigelände vor dem Pavillon sowie in dessen Rotunde und Galerien mit einer insgesamt sechsteiligen Installation auf, in der sich unter dem Titel „Gloria“ Skulpturen, Performances, Video und akustische Elemente miteinander verbinden.
„Track and Field“ – Leichtathletik – auf schwerem Gerät. Vor dem Repräsentationsportal ein umgedreht, wie der Kafka’sche Gregor-Samsa-Käfer hilflos auf dem Rücken liegender sandfarbener 60 Tonnen-Panzer; auf einer seiner beiden Ketten ein Laufband aus dem Sportstudio, auf dem zu festgelegten Zeiten bei ohrenbetäubend lärmendem Kettenantrieb ein Athlet läuft. Schwerter zu Pflugscharen – Panzer zu Fitnesstrainern? Rüstungs- zu Freizeitindustrie? Kriegsgerät lächerlich gemacht – Symbol auch und gerade für nicht gewinnbare Kriege, Vietnam, Irak, Afghanistan lassen grüssen.
„Track and Field“
In ähnlicher Weise kritisch die Arbeit „Armed Freedom Lying on a Sunbed“, mit der sich Allora & Calzadilla wiederum mit der US-amerikanischen Gesellschaft, ihrer patriotischen Symbolik und zugleich mit deren nationalem Auftritt auf der Biennale auseinandersetzen: Die Statue der „Freedom“, die die Kuppel über der Rotunde des Washingtoner Capitols – einer Stätte nationalen Rangs – bekrönt, liegt als eine auf rund ein Drittel verkleinerte Kopie in der Rotunde des Pavillons auf einer Sonnenbank! Wellness statt Frieden?
„Armed Freedom Lying on a Sunbed“
Und wieder treten Athletinnen und Athleten auf, die zu bestimmten Tageszeiten während der Dauer der Biennale den Zuschauern Gymnastisches wie Tänzerisches vorführen – balancierend auf nachgebautem, edel-konfortablem First- und Business Class-Gestühl für zahlungskräftige wie spesenfreudige Geschäftsreisende der American Airlines und der Delta Air Lines.
oben: „Body in Flight (American)“; unten: „Body in Flight (Delta)“; hier ohne die temporären Darbietungen
Und dann „Algorithm“: die zum Bankautomaten umgebaute – sprich garstig degenerierte – Klais-Orgel: Den Spieltisch mit Manualen, Pedal und Registerzügen hat das Künstlerpaar gegen einen Diebold ATM Bankomaten ausgetauscht; steckt man eine Kreditkarte hinein, entweicht hässliches Geräusch den Pfeiffen, und ein Zufallsgenerator bringt wirre Noten auf den Bildschirm. Kultur und Finanzwelt prallen aufeinander – unversönlich.
„Algorithm“
Das Indianapolis Museum of Art als Biennale-Kommissariat, vertreten durch dessen Senior-Kuratorin Lisa D. Freiman, hat für den US-Pavillon eine ungemein kritische künstlerische Arbeit nach Venedig gebracht, die sich mit der Dominanz von Kommerz und Finanzwirtschaft, mit Militärdoktrin und Grossmachtgebaren, mit den Zusammenhängen von Krieg und Wirtschaft, mit dem allgegenwärtigen Wettbewerbs- und Leistungsdenken, mit Hochleistungssport, Wellness und Körperkult, mit Patriotismus wie auch der Gefahr bedrohlichen Macht- und Bedeutungsverlustes in vehementer und schockierender Weise auseinandersetzt. Und zugleich mit dem Zusammenhang von Kunst, Politik und nationaler Identität und Repräsentation.
Installationskomplex “Gloria” © Allora & Calzadilla; Fotos der Ausstellungsansichten: FeuilletonFrankfurt
→ Biennale Arte Venedig 2011 (10): Raja und Shadia Alem “Black Arch”