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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„L’Étoile“: Opéra bouffe von Emmanuel Chabrier an der Oper Frankfurt

Musik: vital, elegant –
Libretto: skurril, grotesk, aktuell

von Renate Feyerbacher

Immer wieder sind Stücke von Emmanuel Chabrier im Radio zu hören. Ein französischer Komponist, schöne Musik, klassisch-leicht. Wer war dieser Komponist?

Die Erstaufführung von „L’Ètoile“ – Der Stern – am hiesigen Opernhaus macht ihn bekannt.

Ein fleissiger Beamter und genialer Komponist

Emmanuel Chabrier (1841 bis 1894) war Jurist und arbeitete bis zu seinem 39. Lebensjahr im französischen Innenministerium. Aber schon früh hatte er auch Musik studiert, allerdings nicht am Pariser Konservatorium wie die anderen grossen Komponisten des Landes. Und er spielte gut Klavier, obwohl er kleine, dicke Finger hatte. Er bewunderte Wagners Werke und reiste zu Aufführungsorten seiner Opern, auch nach Bayreuth.

Er war Freund der Impressionisten, die ihn in Gemälden verewigten (Edouard Manet, Edgar Degas, der Realist Henri Fantin-Latour, Édouard Detaille), nicht weil er schön war. Im Gegenteil: Chabrier war klein, beleibt und gedrungen, aber er war witzig, humorvoll. Ein Mensch, der die Aktenberge vergass und im Café zum Mittelpunkt wurde. Ein sogenannter Bonvivant, ein Lebemann, der Essen und Trinken und schöne Frauen schätzte.

Seine Komponisten-Kollegen (Claude Debussy, Maurice Ravel, Eric Satie und Francis Poulenc und sogar Igor Strawinsky) huldigten ihm.

L’Étoile“ – nicht nur ein astrologischer Spass

Mit dieser Opéra bouffe, die 1877 im Théâtre des Bouffes-Parisiens uraufgeführt wurde, in dem auch Offenbachs Operetten gespielt wurden, konnte Chabrier einen ersten grossen Erfolg verbuchen. Da war er noch Justizangestellter. Drei Jahre später quittierte er den Dienst, verschrieb sich ganz der Musik und verdiente sein Geld als Chordirigent, als Korrepetitor und als Sekretär einer Konzertgesellschaft.

Dramaturg Zsolt Horpácsy hält „L’Étoile“ für „eines der originellsten Beispiele der Belle Époque“. Es ist jene Zeit, die nach dem deutsch-französischen Krieg (1870/71) begann. Es herrschte Frieden. Aber die „Schöne Epoche“ in Europa war natürlich nur für bestimmte Kreise schön, für das mittlere und gehobene Bürgertum. Die Kultur erlebte einen grossen Aufschwung. In den Cafés, Ateliers, Salons trafen sich die Künstler. 1914 endete diese Friedenszeit mit den 1. Weltkrieg.

Christophe Mortagne (König Ouf I., auf dem Sessel sitzend) sowie Tänzer und Chor der Oper Frankfurt; Oper Frankfurt, Foto: © Wolfgang Runkel

Eine Zeit, in der sich der Bonvivant Emmanuel Chabrier gut entfalten konnte. Mit seiner Opéra bouffe traf er den Geschmack der Zeit mehr inhaltlich als musikalisch. Die Textvorlage begeisterte. 47 Vorstellungen gab es in Paris.

Der lebens- und liebeslustige Inhalt beflügelte die Fantasie der Zuschauer, die in Moralvorstellungen gefestigt schienen. „Ist man verliebt, ja hilft es dann, sich den Kopf zu zermartern über eine Lapalie namens Ehemann? … ein Ehemann, der stört nicht“ (2. Akt). Seitensprung oder mehrere Liebschaften, c’est la vie.

Auch politisch wird alles ganz locker gehandhabt.

König Ouf I., ein grausamer Verrückter, von denen es auch in der neueren Geschichte einige gab, feiert jedes Jahr seinen Namenstag mit einer Hinrichtung. Aber ein Kandidat fehlt und Ouf begibt sich inkognito unter die Bürger, um ein Opfer zu finden.

Christophe Mortagne (König Ouf I. und Simon Bailey (Siroco; im Hintergrund); Oper Frankfurt, Foto: © Wolfgang Runkel

Er provoziert zunächst erfolglos, dann gerät er an den Strassenhändler Lazuli. Dieser hat soeben seine grosse Liebe in spe, Prinzessin Laoula, gesichtet, die verkleidet zum Hof des Königs reist, um Ouf zu heiraten. Aber Fürst Hérisson de Porc-Epic trennt das Paar, das sofort turtelt, und gibt Laoula als seine Frau aus.

Stinksauer lässt Lazuli seine Wut an König Ouf aus, indem er ihn sogar ohrfeigt. Nun hat der Herrscher sein Opfer. Sofort wird Lazuli verhaftet.

Nun kommt das Horoskop ins Spiel, der Stern, der eines jeden Schicksal leiten soll.

Natürlich hat Ouf eine astrologische Abteilung, verkörpert durch Siroco. Der rät dringend von der Hinrichtung ab, weil Oufs und Lazulis Sterne verbunden sind. Stirbt der eine, so wird ihm der andere einen Tag später folgen. Und Siroco hat ein Eigeninteresse, den König von der Hinrichtung abzuhalten. Denn er selbst darf nur eine Viertelstunde den König überleben. So ist es testamentarisch festgelegt.

Aber wie bekannt: Horoskope sind ohne Garantie.

Simon Bailey (Siroco), Paula Murrihy (Lazuli), Juanita Lascarro (Prinzessin Laoula) und Christophe Mortagne (König Ouf I.); Oper Frankfurt, Foto: © Wolfgang Runkel

L’Étoile“ – ein musikalisches Meisterwerk

Chabrier war ein Dilettant in Sachen Komponieren. Manchmal glaubt man Offenbach zu hören, aber diese Einschätzung vergeht schnell. Seine Musik ist viel komplizierter, weshalb die Orchestermitglieder des Théâtre des Bouffes damals rebellierten. Es war üblich, mit etwa sechs Proben das Stück im Griff zu haben. Chabrier: „Ich habe es so einfach gemacht, wie ich konnte“ (zitiert nach Programmheft S. 6).

Verschiedene Stilelemente, Melodien mit Schwung, poetische, anrührende, sentimentale Romanzen bietet die Musik. Dazwischen gibt es, wie in der Operette üblich, Textpartien. Aber allein Lazuli hat vier Soli, in denen er sich vorstellt, seinen Stern besingt, triumphiert, als er Laoula heiraten darf, und schliesslich die Ehemänner verspottet, die kaum ein Hindernis sind im Liebesduell.

Geradezu anrührend das Duett von Siroco und König Ouf, das dem Chartreuse verte huldigt. Denn die Zwei scheinen ja kurz vor ihrem Tod zu stehen, weil Lazuli als tot gilt. Das bedeutet laut Horoskop auch für sie: Tod. Die übergrosse Digitaluhr, die beide, Herrscher und Astrologe, manipuliert haben, tickt unermüdlich weiter. Nun ja, das Horoskop hat gesponnen, alles wird gut. Nichts geht in Erfüllung, was Siroco vorhersagte.

Michael McCown (Fürst Hérisson de Porc-Epic), Simon Bailey (Siroco) und Christophe Mortagne (König Ouf I.); Oper Frankfurt, Foto: © Wolfgang Runkel

Dirigent Henrik Nánási, der zukünftige Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin, hat die „Ausgelassenheit und Leichtigkeit und auch ihre Frivolität“, wie er die Musik beschreibt, mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester ironisch fein, gekonnt und vital umgesetzt. Schöne Musik konnte entdeckt werden. Und auch dem Chor, den Michael Clark einstudierte, gehört volles Lob.

So verrückt im guten Sinne wie der Inhalt ist die Inszenierung. Kein Moment kommt Langeweile auf. Ununterbrochen bietet der amerikanische Regisseur David Alden einen neuen Einfall, der manchmal ausufert, sich aber vom Klamauk fern hält. Ideenreich bindet er die witzigen, spritzigen Choreografien von Beate Vollack ein. Das Bühnenbild, das sich später als Flughafenhalle entpuppt, und die Kostüme von Gideon Davey erfreuen durch Vielfalt. Gelungen das exklusiv eingerichtete Zimmer mit poppigem, wandfüllendem Bild des Königs, mit schwarz gekachelter Nasszelle nebst Prunkbett, in dem Ouf noch schnell vor dem Tod ein Kind zeugen will.

David Alden hat grossartige Interpreten zur Verfügung: allen voran Christophe Mortagne als Jönig Ouf I. Ein Multitalent, das einmal Mitglied der berühmten Comédie Française war. Der in Paris ausgebildete Tenor debütiert im kommenden Frühjahr an der Metropolitan Opera New York und wenig später an der Mailänder Scala. Quirlig, unglaublich verschlagen ist dieser Typ.

Paula Murrihy (Lazuli) und im Hintergrund Tänzerinnen; Oper Frankfurt, Foto: © Wolfgang Runkel

Die irische Mezzosopranistin Paula Murrihy singt die diffizil ausgearbeitete Hosenrolle, den Lazuli. Lebendig ist ihr Spiel und anmutig ihr Gesang.

Simon Bailey als Siroco ist nicht wiederzuerkennen. Falstaff-ähnlich wurde er verändert. Sein ausgewogener Bariton kommt nur im Chartreuse-Duett zur Geltung. Auch die anderen Sängerinnen und Sänger gefallen.

Die Oper Frankfurt, die erneut zur „Oper des Jahres“ gekürt wurde, die das beste Orchester und den „Sänger des Jahres“ im Ensemble hat, nämlich Johannes Martin Kränzle, ist kein Haus für Operettenseligkeit. Emmanuel Chabriers „L’Étoile“ hat damit auch nichts zu tun, insofern gehört dieses Werk auch hierher.

Paula Murrihy (Lazuli, links in schwarz-goldenem Morgenmantel) sowie Tänzer und Chor der Oper Frankfurt; Oper Frankfurt, Foto: © Wolfgang Runkel

Weitere Aufführungen am 15., 21., 23. (15 und 20 Uhr), am 9. und 12. November 2011.

 

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